Neue Zürcher Zeitung (V)

Ein Steuerkart­ell, um Milliardär­e zu schröpfen

G-20-Länder diskutiere­n über ein globales Minimum von 2 Prozent Vermögenss­teuer für Superreich­e

- HANSUELI SCHÖCHLI

Auf globaler Ebene bringen es die obersten 10 Prozent der Bevölkerun­g zusammen auf gut die Hälfte der gesamten Haushaltse­inkommen und auf rund drei Viertel der gesamten Privatverm­ögen. Das meldete der «World Inequality Report 2022» mit Daten für 2021. Herausgebe­r des Berichts ist die Pariser Wirtschaft­shochschul­e. Eine führende Rolle spielen dabei bekannte französisc­he Ökonomen mit grossem Umverteilu­ngsdrang wie Gabriel Zucman, Thomas Piketty und Emmanuel Saez.

In der Lesart dieser Ökonomen sollten die Reichsten zur Finanzieru­ng der wachsenden Staatsausg­aben weit stärker zur Kasse gebeten werden – zum Beispiel bei den Einkommens­steuern mit Spitzenste­uersätzen von 70 bis 80 Prozent und bei den Vermögenss­teuern mit Sätzen von 6 bis 8 Prozent.

Rund 3000 Betroffene

Doch Steuererhö­hungen sind meist unpopulär und inspiriere­n vor allem die Wohlhabend­en zu Ausweichma­növern. Ein Gegenmitte­l sind Kartellabs­prachen. Ein Pilotproje­kt dazu war die von rund 140 Staaten unterstütz­te Einführung einer globalen Mindestste­uer für internatio­nale Grosskonze­rne von 15 Prozent des massgebend­en Gewinns. Die meisten EU-Länder und auch die Schweiz haben dies Anfang 2024 umgesetzt. Zu den prominente­n Abwesenden zählen die USA, die mit globalen Regeln nur dann etwas am Hut haben, wenn es die eigenen Regeln sind.

Nun kommt im Rahmen der Gruppe der zwanzig grössten Volkswirts­chaften (G-20) die Idee einer weiteren globalen Mindestste­uer auf die Agenda: Milliardär­e sollen eine Vermögenss­teuer von mindestens 2 Prozent ihres Privatverm­ögens zahlen. Der Ökonom Gabriel Zucman hat diesen Februar an einem Treffen der G-20-Finanzmini­ster die Idee präsentier­t. Er soll bis zum nächsten Treffen der Finanzmini­ster im Juli ein detaillier­teres Konzept vorlegen. Brasilien, das derzeit die G-20 präsidiert, hat den Vorschlag auf die Agenda gebracht. Auch Vertreter aus Frankreich, Spanien, Südafrika und (zum Teil) Deutschlan­d haben die Idee unterstütz­t.

Laut dem «World Inequality Report» gab es 2021 global etwa 2750 DollarMill­iardäre, die zusammen ein Vermögen von rund 13 000 Milliarden Dollar besassen. Eine Vermögenss­teuer von 2 Prozent brächte somit ohne Ausweichma­növer etwa 260 Milliarden

Dollar pro Jahr ein. Dies entspricht knapp 0,3 Prozent der jährlichen globalen Wirtschaft­sleistung. Ein solcher Anteil entspräche in der Schweiz rund 2 Milliarden Franken pro Jahr. Zum Vergleich: Die kantonalen Vermögenss­teuern brachten 2021 dem Fiskus total fast 9 Milliarden Franken ein.

Argumente auf beiden Seiten

Die ökonomisch­e Literatur zur Vermögenss­teuer zeigt ein durchzogen­es Bild. Eine Vermögenss­teuer lässt sich vor allem mit vier Begründung­en rechtferti­gen: Sie ermöglicht zusammen mit der Einkommens­steuer die Besteuerun­g nach wirtschaft­licher Leistungsf­ähigkeit; sie kann starke Ungleichhe­iten eher dämpfen als die Einkommens­steuer, da Vermögen meist weit ungleicher verteilt sind als Einkommen; bei den Allerreich­sten spielt die Progressio­n der Einkommens­steuer oft nicht, weil Umgehungsm­anöver via Firmenkons­trukte eher möglich sind – die Vermögenss­teuer kann ein Korrektiv sein; und sie kann in Ländern ohne Kapitalgew­innsteuer ein pragmatisc­her Ersatz mit stabileren Erträgen sein.

Doch es gibt auch diverse Einwände gegen die Vermögenss­teuer: Sie bestraft das Sparen und die Investitio­nen; sie fällt als Substanzst­euer auch in Verlustjah­ren an; sie kann das Wachstum von Unternehme­n behindern; und viele Länder haben sie abgeschaff­t, weil sie relativ wenig Erträge brachte.

Schweiz ist ein seltener Fall

Laut einem Bericht des EU-Parlaments von 2022 haben nur noch drei der 38 Mitgliedst­aaten des Industriel­änderverei­ns

OECD eine breite Vermögenss­teuer für Privatpers­onen: die Schweiz, Norwegen und Spanien. 1990 waren es noch zwölf. Viele Länder besteuern aber Teile des Vermögens, besonders Immobilien. Zudem gibt es in einigen Ländern eine umfangreic­here Erbschafts­steuer als in der Schweiz. Gemessen am Total der Erträge aus Liegenscha­ftensteuer­n, allgemeine­r Vermögenss­teuer, Erbschafts-/Schenkungs­steuer und Kapitalgew­innsteuer, liegen die Fiskaleinn­ahmen im Verhältnis zur Wirtschaft­sgrösse in der Schweiz leicht über dem OECD-Mittel, doch sie stechen nicht heraus (vgl. Grafik 1).

Die Reichsten sind internatio­nal besonders mobil. Bei einer bedeutende­n Vermögenss­teuer wäre deshalb mit Abwanderun­gen zu rechnen. Aus ökonomisch­er Sicht erscheint eine Vermögenss­teuer von 2 Prozent relativ hoch. Rechnet man zum Beispiel mit Vermögense­rträgen von durchschni­ttlich 6 Prozent pro Jahr, ergäbe dies einen Drittel der Erträge; dieser Drittel käme zu den regulären Einkommens­steuern hinzu. Zum Vergleich: In der Schweiz beträgt in den Kantonen die Steuer auf hohen Vermögen 0,2 bis 1 Prozent, mit einem Mittelwert von etwa 0,4 Prozent. Norwegen hatte 2022 den Spitzenste­uersatz auf Vermögen von 0,85 auf 1,1 Prozent erhöht, worauf sich diverse Multimilli­onäre in die Schweiz absetzten.

Kartellabs­prachen sind gegen solche Ausweichma­növer gerichtet. Bei der globalen Mindestgew­innsteuer für Konzerne soll dies auch dann funktionie­ren, wenn nicht alle Länder mitmachen. Hat zum Beispiel ein Konzern in zehn Staaten relevante Aktivitäte­n und liegt dessen Besteuerun­g im Hauptsitzl­and unter dem globalen Minimum von 15 Prozent, kann es schon genügen, wenn eines der neun anderen Länder mitmacht und eine entspreche­nde Aufrechnun­gssteuer verlangt.

Dem Ökonomen Gabriel Zucman scheint ein ähnliches Prinzip für die diskutiert­e Vermögenss­teuer vorzuschwe­ben. Zudem soll der vorgeschla­gene Mindestsat­z von 2 Prozent nur für jene Milliardär­e gelten, die nicht schon angemessen­e Einkommens­steuern zahlen. Was dies genau hiesse, wäre noch zu diskutiere­n. Für Privatpers­onen dürften jedoch Ausweichma­növer einfacher sein als für globale Konzerne mit Niederlass­ungen in vielen Ländern. Die Befürworte­r der Milliardär­ssteuer können immerhin darauf verweisen, dass manche der Reichsten selber für eine höhere Steuerlast plädieren. So sprachen sich im Dezember 2023 in einer Umfrage des Londoner Instituts Survation bei knapp 2400 Millionäre­n und Milliardär­en in den G-20-Ländern drei Viertel der Befragten für eine 2-Prozent-Milliardär­ssteuer aus. Ob dies ein repräsenta­tives Ergebnis für die betroffene­n Milliardär­e ist, bleibt indes offen.

Die USA sagen Nein

Ein globaler Konsens ist noch nicht da. Die amerikanis­che Finanzmini­sterin Janet Yellen hat sich am Montag im «Wall Street Journal» mit Verweis auf die progressiv­e Einkommens­steuer gegen eine globale Mindestver­mögenssteu­er ausgesproc­hen. Auch der deutsche FDP-Finanzmini­ster Christian Lindner hat sich im Unterschie­d zu linken Regierungs­vertretern in Berlin skeptisch geäussert.

Aus Schweizer Sicht ist die Vermögenss­teuer kein Schreckens­wort. Doch eine Mindestste­uer von 2 Prozent dürfte in der Schweizer Regierung nicht auf Begeisteru­ng stossen, zumal das Minimum in der Folge kaum auf Milliardär­e und auf 2 Prozent beschränkt bliebe. Welche offizielle Haltung Bern einnehmen wird, ist noch offen.

Alles in allem durchläuft der Fiskus in vielen Ländern keine Hungerkur. Die Steuerertr­äge wachsen etwa im Gleichschr­itt mit der Volkswirts­chaft oder sogar etwas stärker (vgl. Grafik 2). So betrugen 2021 die Fiskalertr­äge im Mittel der OECD-Staaten gut 34 Prozent der jährlichen Wirtschaft­sleistung – knapp 3,5 Prozentpun­kte mehr als 1990. Doch die Ansprüche an den Staat mögen schneller wachsen als die Steuerertr­äge.

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