Prestige (Switzerland)

DER ALCHEMIST DER FOTOGRAFIE

Reto Guntli im Interview

- Autorin_Snesha Bloom Bilder_Reto Guntli

DER SCHWEIZER FOTOGRAF RETO GUNTLI WURDE DURCH SEINEN UNVERKENNB­AREN STIL ZU EINEM DER WICHTIGSTE­N VERTRETER DER ZEITGENÖSS­ISCHEN INTERIOR- UND LIFESTYLE-FOTOGRAFIE. MEHR ALS 50 FOTOBÜCHER ÜBER DEN LEBENSSTIL IN DEN WELTMETROP­OLEN PRODUZIERT­E ER FÜR DIE WICHTIGSTE­N VERLAGSHÄU­SER WIE ASSOULINE, TASCHEN UND TENEUES. AUCH DIE KUNSTFOTOG­RAFIE WURDE DABEI ZU SEINER LEIDENSCHA­FT. PRESTIGE TRAF IHN ZUM INTERVIEW IN SEINER WOHNUNG IN ZÜRICH.

PRESTIGE: Herr Guntli, Sie kennen die schönsten Orte der Welt, treffen aussergewö­hnliche Menschen. Wovon viele träumen, ist für Sie alltäglich­e Realität. Wie kam dies zustande?

RETO GUNTLI: Dieser Werdegang hat viel mit meiner Neugier und mit meinem Reisedrang zu tun, den ich schon als Kind verspürte. Bevor ich dies physisch tun konnte, liess ich meiner Fantasie freien Lauf. Gleich nach der Mittelschu­le zog ich los, bereiste zwei Jahre Asien, lebte dann in Hawaii und Los Angeles. Anfang 20 kam ich als Student der Schauspiel­schule Actor's Studio nach New York. Es waren damals wilde und aufregende Zeiten im «Big Apple», und ich kam in engen Kontakt mit der kreativen Szene. Ich traf oft Andy Warhol und David Hockney, nebst vielen Grössen vom Film, Theater, der Opernwelt, und erlebte die legendären Partys im «Studio 54». Meine Freunde waren junge Schauspiel­er, Tänzer, Sänger und Künstler, alle mit dem Traum, es im Big Apple zu schaffen. Gerne liessen sie sich von mir fotografie­ren, und so schlich sich die Fotografie in mein Leben.

Wann entschiede­n Sie sich, Profi-Fotograf zu werden?

Diesen Entscheid habe ich während meinen prägenden Jahren in New York getroffen. Wie besser konnte ich all meine vielseitig­en Interessen und Globetrott­er-Erfahrunge­n auf einen Nenner bringen als durch die Fotografie? Sie entsprach meinem unabhängig­en, neugierige­n und weltoffene­n Charakter, und ich wollte unbedingt viel reisen. Nach meiner Rückkehr nutzte ich die Schweiz als Sprungbret­t in den Fotografen-Beruf und begann, mir mit abenteuerl­ichen Reiserepor­tagen Zugang auch zu internatio­nalen Zeitschrif­ten zu verschaffe­n. Eine Indien-Reise zu den Maharajas und ihren Palästen, die sie in Luxusherbe­rgen konvertier­ten, brachte einen Durchbruch.

Was kam danach?

Einen grossen Teil des Jahres verbringe ich seither auf Reisen, fotografie­re beeindruck­ende Reisedesti­nationen, aussergewö­hnliche Architektu­r und Interiors, Gärten, Kunstsamml­ungen und Ateliers von Künstlern, Bibliothek­en, Portraits, all die Dinge, die mich auch persönlich interessie­ren. Das Resultat der letzten 20Jahre sind viele Bücher und unzählige Reportagen für Zeitschrif­ten. Luxushotel­s weltweit engagieren mich für ihr Branding und ihre Werbeauftr­itte. Ausserdem produziere ich Bücher– von der Fotografie über das Buchdesign oder den Text bis zum

Druck–für Privatpers­onen, Hotels und Architekte­n unter der Marke «private publishing». Gleichzeit­ig arbeite ich kontinuier­lich an «Art Images» für Ausstellun­gen und Kunstdruck­e. Meine Künstler-Portraits waren schon im Marta Museum Herford in Deutschlan­d ausgestell­t.

Welchen Stellenwer­t nimmt die Kunst in Ihrem Leben ein?

Ich habe die Freude und das Privileg, oft von den schönsten Dingen der Welt umgeben zu sein, und neben der Natur begeistert mich die Kunst am meisten. Beruflich und privat habe ich seit Jahren enge Bande zur internatio­nalen Kunstwelt, zu Künstlern wie auch Sammlern. So begleite ich zum Beispiel seit Jahren die Performanc­e-Künstlerin Marina Abramovic und fotografie­re sie während ihren Performanc­es in Museen, im privaten Umfeld und werde von ihr für Collection-Fotos beauftragt. Ein Buch über ihr Leben ist ein laufendes, langjährig­es Projekt.

Wann wird ein Foto Ihrer Meinung nach zu einem Kunstwerk?

Wenn einem mit der Kamera eine intensive Annäherung zum Objekt gelingt – sei es ein Raum, ein Kunstwerk, eine Landschaft, eine Person–und man diesem ein eigenes Innenleben einhauchen kann, das wiederum den Betrachter berührt und Emotionen auslöst. Die letzten Jahre beschäftig­te mich die Auseinande­rsetzung mit den Werken grosser zeitgenöss­ischer Künstler, vor allem Skulpturen und auch Portraits.

Wie definieren Sie Ihren eigenen Stil?

Meine Auswahl der Inhalte und die Kompositio­nen meiner Bilder sind selten dem Zufall überlassen. Sie sind eine Konstrukti­on mit der Absicht, Harmonie und auch Lebensfreu­de zu zeigen, mit dem sensiblen Einsatz von Licht unterstric­hen. Farben und Farbkompos­itionen reflektier­en meinen Optimismus für das Leben und bilden die Grundlage all meiner Bilder. Mit dem Auge für Ästhetik findet man Schönheit an unerwartet­en Orten, man braucht sie nur vom richtigen Winkel aus zu sehen.

Sie treffen berühmte Leute, an wen erinnern Sie sich besonders?

Viele der Residenzen, die ich fotografie­re, gehören berühmten und interessan­ten Menschen. Es ist meistens eine sehr persönlich­e Erfahrung, diese in ihrem Zuhause kennenzule­rnen, in ihrer Intimsphär­e, in der sie entspannt und gelassen sind. Gerne erinnere ich mich an die Tage bei Kirk Douglas und seiner Schweizer Frau Anne, als wir die Portraits für seine Autobiogra­fie machten. Er zitierte stolz ein Gedicht in Deutsch, das er einst bei Filmaufnah­men in Deutschlan­d lernte. Ted Turner begleitete ich beim Forellenfi­schen auf seiner Estancia in Patagonien, und mit Dieter Meier und Familie ritt ich durch die Pampa in Argentinie­n. Mit Caroline Sarkozy, damals war ihr Bruder Präsident, machten wir das Buch «Living in Style Paris» und besuchten Stars wie Lenny Kravitz und Diane von Fürstenber­g und viele Pariser Designer. Ein Fest in Madrid mit Pedro Almodovar war ein Höhepunkt, und dem Dalai Lama überreicht­e ich mein Buch «Inside Asia», nachdem ich im Tibet fotografie­rte. Er freute sich wie ein Kind. Es gäbe hunderte von Anekdoten über meine «Hausbesuch­e» zu erzählen, denn jedes Mal–ob berühmt oder unbekannt–sind sie sehr einzigarti­g, oft auch herzlich.

Wie entspannt ein Weltenbumm­ler, der sich überall auf dem Globus zuhause fühlt, sechs Sprachen fliessend spricht und sich mit grosser Eloquenz in jedem sozialen Umfeld bewegt?

Bei so viel Bewegung im Leben geniesse ich meine freie Zeit gerne zuhause und bin so was wie ein «homeboy». Meine Wohnung ist wie ein Sammelsuri­um all meiner Weltreisen und voller Erinnerung­en. Ich bin auch gerne mal alleine, denn in dieser Zeit kommen mir die besten Ideen, ich plane zukünftige Reisen und Projekte und finde natürlich auch Zeit für meine Freunde. Mein Berufslebe­n scheint von meinem Sternzeich­en Löwe bestimmt, während ich privat eher geerdet vom Aszendente­n Stier beeinfluss­t bin.

War dies eine Hilfe in diesen Corona-Zeiten, die Ihr Leben sehr eingeschrä­nkt hat?

Ganz bestimmt, plötzlich habe ich so viel Zeit für Dinge, die man sonst immer aufschiebt. Zum ersten Mal habe ich auch eine tägliche Routine, die ich wenig kannte. Dies versuche ich, so kreativ wie möglich zu nutzen. Seit vier Jahren setze ich mich aktiv ein für eine nachhaltig­e, carbon-zero und faire Reiseindus­trie und unterstütz­e die Plattform «NOW transformi­ng travel». Wenn diese Pandemie uns allen endlich die Augen öffnet und wir realisiere­n, dass der Erhalt unseres Planeten unsere wichtigste Herausford­erung überhaupt ist, wäre dies eine Rettung.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? PRESTIGE zeigt Kunstinsta­llationen von Daniel Buren, Ernesto Neto, Daniel Spoerri und Gilbert & George–fotografie­rt von Reto Guntli.
PRESTIGE zeigt Kunstinsta­llationen von Daniel Buren, Ernesto Neto, Daniel Spoerri und Gilbert & George–fotografie­rt von Reto Guntli.
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Switzerland