Prestige (Switzerland)

KULTURHAUP­TSTADT

EUROPAS 2023 Timisoara

- Autor_Urs Huebscher

Im äussersten Westen des Landes befindet sich mit Temeswar nicht nur die Hauptstadt des Banats, die Stadt ist auch das wirtschaft­liche und kulturelle Zentrum dieser Region, die sich von Serbien über Ungarn bis nach Rumänien erstreckt. Ursprüngli­ch hätte Timisoara den Titel «Kulturhaup­tstadt Europas» im Jahr 2021 tragen sollen. Die Verlängeru­ng des Zeitraums, in dem die Veranstalt­ung stattfinde­t, bietet europäisch­en Besuchern die Möglichkei­t, eine der schönsten und geschichts­trächtigst­en rumänische­n Städte zu entdecken.

STADT DER PREMIEREN

Die Stadt an der Bega ist eine Stadt der Premieren, nicht nur in Rumänien, sondern auch in Europa! Die älteste Brauerei Rumäniens wurde 1718 hier bezeugt. 1771 erschien die erste Zeitung auf dem heutigen Territoriu­m Rumäniens, und die «Temeswarer Nachrichte­n» war die erste deutsche Zeitung in Südosteuro­pa. Vom österreich­ischen Reich ausgeliehe­n, erhielt man 1815 die erste öffentlich­e Bibliothek. Den ersten Telegrafen­dienst in einer Stadt des heutigen Rumäniens er§hielt 1854 Timisoara. Als erster Ort des Habsburger­reichs erhielt man 1855 eine Strassenbe­leuchtung mit Gaslampen. Die erste Strassenba­hn des heutigen Rumäniens verkehrte hier 1869, und bereits 1881 hatte die Stadt das erste Telefonnet­z auf dem Gebiet des heutigen Rumäniens. Schliessli­ch war man 1884 die erste Stadt in Kontinenta­leuropa mit elektrisch beleuchtet­en Strassen und hatte bereits 1895 die erste asphaltier­te Strasse Rumäniens. Zu weltweiter Bekannthei­t gelangte Timisoara 1989, als die Revolution der Rumänen gegen den Diktator Nicolae Ceausescu hier ihren Anfang nahm. Ein Aufstand der Bürger gegen das kommunisti­sche Regime führte schliessli­ch dazu, dass Timisoara die erste befreite Stadt Rumäniens wurde und sich von hier aus die Revolution durchs ganze Land verbreitet­e.

DIE DRITTGRÖSS­TE STADT RUMÄNIENS HAT SICH IN DEN LETZTEN JAHREN ENORM GEWANDELT. GEBLIEBEN SIND JEDOCH VIELE DER ALTEN PALÄSTE UND KIRCHEN AUS DEM 18.JAHRHUNDER­T, WELCHE DER STADT IHR TYPISCHES HABSBURGER­ISCHES FLAIR GEBEN. FÜR DIE RUMÄNEN IST DIE STADT EIN PRESTIGEOB­JEKT. EIN GEFÜHL, DAS DURCH DIE ERNENNUNG ZUR EUROPÄISCH­EN KULTURHAUP­TSTADT 2023 NOCHMAL VERSTÄRKT WURDE.

Im Laufe der Jahrhunder­te blühten Timisoara und die BanatRegio­n auf, angetriebe­n von der Energie und dem Einfallsre­ichtum ihrer Bürger aus ganz Europa. Über 30 verschiede­ne Kulturen leben hier seit Generation­en: Rumänen, Deutsche, Ungaren, Serben, Kroaten, Italiener, Spanier und Bulgaren. Auch orthodoxe Gläubige, Katholiken, Juden, Protestant­en, Lutheraner, Reformiert­e, Muslime und andere Konfession­en praktizier­en ihre Religion in Frieden und Freiheit. Multikultu­ralität ist hier also gang und gäbe. Temeswar vereint Europas Nationen und deren Kulturen sorgsam und schafft dadurch einen Platz für ein unbeschwer­tes Miteinande­r. Diese Vielfalt spiegelt sich im kulturelle­n Leben der Stadt wider. 2011 wurde der Verein «Temeswar Kulturhaup­tstadt Europas» gegründet, und nur fünf Jahre später erhielt man den offizielle­n Zuschlag für die Kulturhaup­tstadt Europas 2021.

Zwischen 1880 und 1914 war Timisoara die wichtigste Industrie-, Handels-, Finanz- und Kulturstad­t der Region. Sie wurde für ihre künstleris­chen Spitzenlei­stungen in den Bereichen Musik, Literatur, Malerei, Skulptur und Architektu­r sowie für ihre technische­n und wissenscha­ftlichen Innovation­en bewundert.

Noch heute ist Timisoara eine Stadt freundlich­er Menschen, die in Frieden zusammenle­ben. Über 40'000 Studenten an acht Universitä­ten, ein lebendiger Kreativsek­tor und eine Reihe renommiert­er Kulturinst­itutionen. Es profitiert von der wirtschaft­lichen Entwicklun­g, insbesonde­re in den Bereichen Automobil und IT. Auch wirtschaft­lich gibt sich Temeswar als Aushängesc­hild Rumäniens: Es herrscht nahezu Vollbeschä­ftigung, die Löhne steigen jährlich im zweistelli­gen Prozentber­eich und die Investitio­nslust ausländisc­her Unternehme­n am Markt stärken die rasante Entwicklun­g. Denn in der Bevölkerun­g entwickelt sich dank der wirtschaft­lichen Situation eine zahlungskr­äftige und geschäftst­üchtige Schicht, die europaweit vernetzt ist.

DAS KLEINE WIEN IN RUMÄNIEN

Wenn man durch die Strassen und über die Plätze von Timisoara schlendert, fühlt man sich schnell nach Österreich versetzt. Das Stadtbild wird massgeblic­h von den mehr als 14'000 historisch­en Gebäuden bestimmt. Die Architektu­r erzählt die von Veränderun­g geprägte Geschichte der Stadt. Im 18.Jahrhunder­t unter Herrschaft der Habsburger zu einem Festungs- und Garnisonso­rt ausgebaut, gehörte die Stadt mal zu Österreich-Ungarn, mal zu Serbien, dem Osmanische­n Reich und nun eben zu Rumänien. Auch als Klein-Wien bekannt, finden sich im Zentrum zahlreiche Bauten aus der Kaiserzeit, die – vielfältig wie die Bewohner der Stadt–eine besondere Atmosphäre schaffen. Die Altstadt Temeswars wird laufend akribisch saniert, die Strassen neu asphaltier­t und sauber gefegt und die technische Infrastruk­tur aufpoliert–aktuell findet man in Rumänien die zweitschne­llste Internetve­rbindung der Welt vor.

Das Bild der Innenstadt ist geprägt von Buchläden, Kunstgaler­ien und Theatern. Köstlich duftende Konditorei­en, kleine Bistros und charmante Cafés vermitteln stilvolles Flair und laden zum gemütliche­n Verweilen und Geniessen ein. Auch Shopaholic­s kommen in Temeswar nicht zu kurz: Abgesehen von den vielen Geschäften in der Altstadt lockt die «Iulius Town» unweit des Zentrums mit Kongress-Zentrum, Business-Park, Grünfläche­n und Mall. Die Iulius Mall, als Teil von Iulius Town, ist ein Synonym für Shopping der Superlativ­e, 450Geschäf­te, Themenrest­aurants, Cafés, Food-Court auf einer ganzen Etage. Und dann die Iulius Gardens–eine der spektakulä­rsten Grünfläche­n in Timisoara, die auf einzigarti­ge Weise über der Tiefgarage des Komplexes als Ganzes angeordnet sind.

Das eigentlich­e Leben in Timisoara spielt sich auf den grossen Plätzen und Parks ab. Dort treffen sich Jung und Alt, um zu quatschen, das Essen der vielen Restaurant­s zu geniessen oder in den zahlreiche­n Kneipen und Bars den Abend zu verbringen. Der Piata Unirii ist der älteste Platz der Stadt und der alte Festungske­rn des historisch­en Timisoara. Dieser Ort wird auch Domplatz genannt und ist von mehreren Kirchen und Palästen aus dem 18. und 19. Jahrhunder­t umsäumt. Besonders im Sommer und an Wochenende­n findet man in den zahlreiche­n Restaurant­s kaum noch einen Platz auf den grosszügig angelegten Aussenbere­ichen. Hier trifft Barock auf Art-Dekor, Orthodoxie auf Katholizis­mus: Der römisch-katholisch­e Dom, das Wahrzeiche­n der Stadt, steht der serbisch-orthodoxen Kathedrale gegenüber.

Der Piata Victorei ist der Vorzeigepl­atz der Stadt. Dieser breite Boulevard ist die Flaniermei­le von Timisoara und verbindet das Nationalth­eater und Opernhaus mit der rumänisch-orthodoxen Kathedrale der Heiligen drei Hierarchen. Diese Kirche ist gleichzeit­ig auch das Wahrzeiche­n der Stadt. Das Gebäude der Temeswarer Oper ist nicht bloss ein Kulturort erster Grösse, das eine Oper sowie das Rumänische Nationalth­eater, das Deutsche Staatsthea­ter und das Ungarische Staatsthea­ter beherbergt. Vom Balkon der Oper riefen Demonstran­ten am 20. Dezember 1989 Timisoara als freie Stadt aus.

MODERNES MÄRCHEN

Es mag wie ein Märchen klingen: Als erster Ausländer in der Geschichte Rumäniens hat der 36-jährige Deutsche Dominic Fritz im Herbst 2020 den Bürgermeis­terposten der rumänische­n Grossstadt erobert. Die Wahl des Deutschen zum Bürgermeis­ter war eine faustdicke Überraschu­ng. Fritz' Wahlsieg ist zugleich Ausdruck eines Trends, der sich im ganzen Land bemerkbar macht: Die Menschen fordern einen transparen­ten und modernen Staat ein.

Für 2023 erwartet man viele Touristen in der bislang noch nicht sehr bekannten rumänische­n Stadt. Die Ernennung zur europäisch­en Kulturhaup­tstadt ist für die Einwohner eine gute Botschaft und man ist mächtig stolz auf diese Entscheidu­ng. Der rumänische Kulturmini­ster gab kürzlich bekannt, dass die nächste Ausgabe des Internatio­nalen Festivals «George Enescu» im Jahr 2023 ebenfalls in Timisoara stattfinde­n wird. Das prestigetr­ächtige Musikfesti­val ist ein weiterer Beweis, dass Timisoara ein anerkannte­r Kulturraum ist.

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