MADE IN SWITZERLAND
SwissShrimp AG
Es macht den Eindruck, als würden die kleinen blauen Kerle durch das Wasser laufen. Und immer mal wieder durchbricht einer von ihnen mit seinem Kopf und den beiden Stielaugen die Wasseroberfläche, während ein anderer zu einem Sprung ansetzt. Es ist warm im Raum, aber riechen tut es nicht. Dabei befinden sich zehntausende Shrimps in den acht Warmwasser-Becken in der Halle. Und als Laie bin ich irgendwie davon ausgegangen, dass doch der Geruch von Meerestier zu erschnuppern sein müsste. Ich werde jedoch eines Besseren belehrt, während mich Rafael Waber, Geschäftsführer von SwissShrimp, mit auf eine Tour durch die Produktionshallen in Rheinfelden nimmt und mich in das Geheimnis der Aufzucht von Shrimps einweiht.
LOKAL FIRST
Seit gut zwei Jahren wachsen in den beiden Hallen, die der Saline Rheinfelden gehören, Postlarven innerhalb von fünf, sechs Monaten zu einem schmackhaften Shrimp heran. Initiator hinter dieser Idee ist Thomas Tschirren, der als Hobbytaucher viel Zeit in Thailand verbracht hat und dabei auf den Genuss von frischen Shrimps gekommen ist. Mit der Betonung auf frisch. Denn das, was wir hier in der Schweiz im Restaurant auf dem Teller serviert oder im Supermarktregal angeboten bekommen, stammt zu 80 Prozent aus Asien und hat damit eine Reisezeit von gut sechs Monaten hinter sich. Frisch ist da nicht mehr wirklich etwas, es wurde in der Regel bloss frisch aus dem Tiefkühler geholt.
Mit dem Vorsatz, dass sich das dringend ändern müsse, gründete Tschirren im Jahr 2013 die SwissShrimp GmbH. Unterstützt von rund 150 Schweizer Investoren und einem Team, das wie er ebenfalls an den Erfolg lokal produzierter Waren glaubte und zu grossen Teilen wie er selbst aus anderen Branchen und Bereichen kam. Wie eben auch Rafael Waber, der Marketing und auf Lehramt studiert hatte, aber dem Pioniergedanken der ersten Shrimpsfarm in der Schweiz offen gegenüberstand und heute als Geschäftsführer der SwissShrimp AG vorsteht.
ALWAYS BLUE
«Derzeit befinden wir uns leider in einer quasi auferlegten Zwangspause, was den Vertrieb unserer Shrimps betrifft», erzählt Rafael Waber mir an einem Tag im Februar 2021. «Wie viele andere haben auch wir zahlreiche Restaurants beliefert, die aufgrund der CoronaPandemie schliessen mussten.» Und da bei SwissShrimp wirklich nur der Shrimp sein Leben lassen muss, der bestellt wird, dürfen aktuell die Meerestierchen für einige Wochen ein wenig länger weiterwachsen. Rund 60 Tonnen sollen ansonsten künftig pro Jahr den Produktionsstandort verlassen. Dafür braucht es rund 15Kilo an Postlarven. Gemeint sind damit Winzlinge, die zwar schon dem Ei entschlüpft sind, aber noch recht unbeholfen durcheinanderschwimmen, beobachtet man sie im Wasser treibend. Diese kommen als Lebendprodukt aus den USA und Österreich.
Innerhalb der insgesamt 16 Becken im gesamten Betrieb, von denen jedes eine Grösse von rund 200Quadratmetern hat, befinden sich Shrimps in allen Lebensabschnitten, entsprechend als Population durch Trennwände voneinander abgetrennt. Die hier gezüchtete «Litopenaeus vannamei», übersetzt Weissbeingarnele, ist etwa kugelschreiberlang und daumendick. Davon finden sich aber selten Exemplare im Becken. In der Regel werden sie schon vorher zu schmackhaften Delikatessen. Interessant ist bei den Swissshrimps übrigens auch deren blaue Farbe, die laut dem Geschäftsführer aufgrund der Farbe des Beckens, des Sauerstoffgehalts im Wasser und des Futters entsteht.
RELAXING LIFE
Rund 60 Gramm an Fischmehl – in Pulverform oder als Pellets – frisst ein Shrimp im Laufe seines Lebens und damit rund das Doppelte seines Körpergewichts. Danach stirbt er im Kältebad einen möglichst schnellen Tod. «Geerntet» werden die Shrimps im klassischen Kescher, wobei die Erntenden in entsprechender Schutzkleidung direkt in den Becken stehen. Gut geschützt dabei auch durch eine Brille, denn so ein kleiner Shrimp kann einem schon ziemlich zusetzen, wenn er einen aufgrund von Panik mit dem scharfen Dorn auf seinem Kopf erwischt. «Es geht dabei nicht um einen Angriff, sondern Shrimps haben eines der ausgeprägtesten Reiz-Reaktions-Systeme und schalten im Falle einer Störung sofort auf Flucht und springen wild herum», erklärt Rafael Waber. Da ist auch ein Grund, warum die Tiere während ihrer Aufzucht immer innerhalb eines Beckens gehalten und nicht durch Menschenhand in andere Becken versetzt werden. Sie werden nur ein einziges Mal in ihrem Leben eingefangen, und das eben aufgrund einer aktuellen Bestellung.
IT’S FRESH
Das gesamte System der Anlage in Rheinfelden ist ein ausgeklügeltes Miteinander. Vor allem die Saline Riburg in der Nachbarschaft spielt dabei eine wichtige Rolle. Letztlich waren es auch deren Betreiber, die den Jungs aus Solothurn–woher der Grossteil des Teams stammt – ein Angebot machten. «Das Wasser in den Becken muss konstant 28 Grad haben, die nötige Wärme beziehen wir dabei von der Saline Riburg», so Waber. Und das ist damit eine Win-win-Situation, da die Saline ihre Abwärme möglichst effizient und naturschonend verwerten muss. Und so kam es, dass das Team der SwissShrimp seine Zelte eben nicht in der Heimat aufschlug, sondern im rund 60 Kilometer entfernten Rheinfelden.
100 Gramm der kleinen Schwimmer kosten übrigens rund zehn Franken, wobei die Tiere in verschiedenen Grössen erhältlich sind. Von der Small-Version bis zum Jumbo-Format, wobei Letztere mehr als 30 Gramm wiegt. Damit der Vertrieb dabei nicht nur über die in der Schweiz bekannten Detailhändler läuft oder die Shrimps nur schon exquisit zubereitet auf Tellern in Restaurants genossen
werden können, wurde eine eigene Kühlbox entwickelt, die die Tiere innerhalb weniger Stunden auch zu Privatpersonen innerhalb der Schweizer Landesgrenzen transportiert. Die Box selbst ist dabei so etwas wie ein kleines Wunderwerk, das sowohl die Lieferung über Stunden bei Temperaturen von 35 Grad frisch hält wie eben auch dafür sorgt, dass die Ware bei Minusgraden von bis zu 18Grad nicht gefriert. Und wie könnte, sollte, müsste es anders sein. Die Box ist wiederverwendbar und kann vom Kunden ganz einfach auf postalischem Wege kostenlos wieder zurückgesendet werden. Grundsätzlich beträgt die Dauer zwischen Bestellung und Lieferung maximal drei Tage.
EVERYTHING COUNTS
Da es beim natürlichen Wachstum immer mal vorkommt, dass einer sich im Verbund etwas anders entwickelt und nicht dem Standard entspricht, hat man ebenfalls ein gutes Agreement bei SwissShrimp gefunden. Tiere, die nicht der Norm entsprechen, werden Schweizer Kleinproduzenten zur Weiterverarbeitung angeboten. Und so finden sich die Shrimps aus Rheinfelden auch zerkleinert und oftmals püriert in Saucenfonds oder in Pasta wieder – jedoch eben exklusiv nur bei ausgewählten Partnerbetrieben.
Ebenso werden auch die abgelegten Panzer genutzt, denn bis ein Tier ausgewachsen ist, trennt es sich bis zu siebenmal von seinem starren Korsett, das nicht mitwächst, sondern irgendwann abgestreift und durch ein darunterliegendes ersetzt wird. Rohchitin kann dabei für Biodünger, aber auch in pharmazeutischen Produkten oder für technische Textilien Verwendung finden. Und selbst der entstandene Schlamm wird genutzt und als Dünger verwertet. Stirbt ein Tier, kümmern sich darum zudem die eigenen Artgenossen. Grundsätzlich sind diese zwar eher vegan unterwegs, aber wenn mal ein toter Kollege im Becken treibt, kann es vorkommen, dass dieser auch zur Mahlzeit wird.
SO DELICIOUS
Rafael Waber selbst isst seine Shrimps – so hat er es mir verraten – am liebsten mit Pasta aglio. Auf der anderen Seite aber lässt er sich auch von den Rezepten, die auf der unternehmenseigenen Webseite zu finden sind, inspirieren. Wer einmal einen Blick riskiert, wird sehen, dass die Swissshrimps auch roh gegessen werden können. Was zudem auch nur wenige wissen: Der Geschmack der Tiere «steckt» eigentlich im Kopf und im Schwanz, das Fleisch selbst ist geschmacklich eher fein und schmeckt leicht nussig. Das sollte beim Kochen und Zubereiten daher stets im Hinterkopf bleiben. Ansonsten bleibt abschliessend nur zu sagen: Die kleinen blauen Tierchen haben in ihren Becken schon etwas Niedliches, auf der anderen Seite aber schmecken sie einfach auch verdammt gut. Und im Gegensatz zu ihren Kollegen, die in Anlagen in Asien grosswerden, haben die Shrimps während ihres Daseins in der Farm in Rheinfelden ein wirklich entspanntes Leben–oder, wie Rafael Waber sagt: ein langweiliges Leben – und das geniessen sie sehr. Und wer demnächst noch ein wenig «klugscheissern» will, dem sei gesagt: Shrimps, Crevetten und Garnelen sind alle drei das Gleiche, die unterschiedlichen Namen sind nur den jeweiligen Regionen geschuldet, in denen sie verkauft werden.