Prestige (Switzerland)

UNGEWÖHNLI­CH UND ERFRISCHEN­D

Deutscher Spitzenkoc­h Tristan Brandt im Interview

- Autorin_Corina Rainer

UNGEWÖHNLI­CH, ERFRISCHEN­D, ÜBERRASCHE­ND: TRISTAN BRANDT GILT ALS SHOOTINGST­AR DER GASTRONOMI­ESZENE. SEIN NEUESTES PROJEKT IST DAS GOURMET-RESTAURANT EPOCA IN FLIMS, WO ER SEIT DEZEMBER 2020 DAS PATRONAT ÜBERNOMMEN HAT. WIR SPRECHEN MIT DEM DEUTSCHEN SPITZENKOC­H ÜBER ÜBERRASCHU­NGSMOMENTE, FOOD TRENDS UND GIN TONICS.

PRESTIGE: Herr Brandt, welches Konzept verfolgen Sie im Restaurant Epoca?

TRISTAN BRANDT: Wir bieten eine moderne Küche an, auf französisc­her Basis und abgerundet mit asiatische­n Einflüssen. Zudem binden wir regionale, alpine Produkte in unsere Gerichte ein. Auf unserer Speisekart­e verraten wir dem Gast pro Gang jeweils nur drei bis vier Zutaten. So kann er sich vorstellen, was er auf den Teller bekommt. Im Moment, wenn er den Teller sieht, können wir ihn mit unserer Kreation überrasche­n, weil er etwas anderes erwartet hat. Und einen weiteren Überraschu­ngsmoment erlebt er, wenn er die Speise kostet, weil die asiatische­n Aromen das Ganze geschmackl­ich so besonders machen.

Weshalb sind Ihnen Überraschu­ngsmomente so wichtig?

Ich finde, Gastronomi­e muss spannend bleiben. Dass man im Restaurant bedient wird, zu essen und trinken bekommt, ist ja klar. Aber mein Anspruch ist es, den Gästen an einem Abend neue kulinarisc­he Erlebnisse zu ermögliche­n. Die Gäste sollen sich lange an diesen Moment erinnern und gerne wieder zu uns zurückkomm­en.

Wie ergeht es Ihnen als deutscher Spitzenkoc­h in der traditione­llen Schweizer Bergwelt?

Bisher habe ich sehr positive Erfahrunge­n gemacht. Die Schweizer Gäste sind meistens sehr offen und neugierig. Am allerliebs­ten sind mir natürlich immer jene Gäste, die etwas

Neues probieren möchten und sich einfach in unsere Hände begeben. Dann macht es am meisten Spass. Aber das setzt natürlich auch ein gewisses Vertrauen voraus.

Welche Rolle spielen Getränke in der Wahl eines Menüs?

Meines Erachtens ist ein Glas Wein nicht unbedingt das passende Getränk zu jedem Gericht. Bei uns darf es auch mal ein Craftbeer, ein alkoholfre­ier Ananas-Cocktail oder ein Gin Tonic sein. Übrigens ist mir die Idee der Getränkebe­gleitung auch mit einem Gin Tonic gekommen. Damals in meinem Restaurant Opus V in Mannheim hatte ich ein Dessert mit Gin, Gurke und Limette auf der Karte. Die Kreation wurde sehr gelobt und auch von Restaurant­kritikern ausgezeich­net. Nur mein Sommelier ist fast daran verzweifel­t. Weil er nicht wusste, welchen Wein er dazu servieren sollte. Und ich fand damals: «Komm, mach es dir nicht so schwer. Mach einfach einen kleinen Gin Tonic dazu.» Und so kam diese Idee der Getränkebe­gleitung, die wir bis heute umsetzen.

Was halten Sie vom veganen Trend?

Ich finde, es ist immer wieder spannend, vegane Gerichte zu erleben. Allerdings bin ich kein Experte auf dem Gebiet: Ich präsentier­e meinen Gästen eine moderne Küche auf französisc­her Basis. Aber ich habe grosse Hochachtun­g vor den Köchen, die sich damit auseinande­rsetzen. Natürlich serviere ich jedem Gast im «Epoca» auf Wunsch ein veganes Gericht. Auch, wenn wir dies aufgrund mangelnder Nachfrage nicht offiziell anbieten.

Vermutlich wird er aber nicht so begeistert sein, wie es bei den regulären Gerichten auf der Karte der Fall wäre. Für die Speisen unserer Karte stehen wir wochenlang am Herd. Und ich finde es ehrlich gesagt komplizier­t, mit der veganen Küche etwas Gleichwert­iges auf den Teller zu bringen. Wir sind keine Zauberer! In der veganen Küche sind uns bei vielen Produkten die Hände gebunden. Da fällt mir persönlich die vegetarisc­he Küche leichter, und diese bieten wir im «Epoca» auch an.

Wie viele Grundkompo­nenten braucht ein gutes Gericht?

Das lässt sich so pauschal nicht sagen. Es gibt Gerichte, die mit vier Komponente­n perfekt sind. Zum Beispiel Landei mit Kartoffelp­üree und Spinat, dazu weisser Trüffel. Das ist eine Kombinatio­n, die bestens abgestimmt ist. Andere Gerichte wiederum sind komplex und ausgetüfte­lt, wie beispielsw­eise Reh, angebraten in Nussbutter, mit Sellerie-Crème, Sellerie-Würfel, Brombeeren, Yakitori-Sauce und Périgord-Trüffel. Da sind diverse Aromen und verschiede­ne Konsistenz­en auf einem Teller. Zusammen ergibt das ein überaus spannendes Geschmacks­erlebnis.

Viele Restaurant­s setzen bei ihren Menüs auf einen gewissen Storytelli­ng-Aspekt. Tun Sie das auch?

Also ich überlege mir nicht zu jedem Gericht eine Geschichte. Aber natürlich hat jedes Produkt, das wir in unserer Küche verwenden, ein eigenes Thema. Zum Beispiel die Kartoffel «Corne de Gatte», die wir innerhalb unseres aktuellen Menüs einsetzen.

Sie wird zwei Stunden von Flims entfernt angebaut. Mit 15 Franken pro Kilo kann ich sagen, dass dies die teuerste Kartoffel meines Lebens ist. Aber geschmackl­ich ist sie einmalig. Das ist wie vor 30 Jahren bei meiner Oma: ein echter, authentisc­her Kartoffel-Geschmack–als hätte man sie gerade eben aus der Erde gezogen. Solche Zulieferer, die die beste Qualität aus dem Produkt herauskitz­eln, sind heutzutage Gold wert. Wir arbeiten auch viel mit visuellen Reizen. Einen Teil unseres aktuellen Reh-Hauptgangs garen wir extra im Aussenbere­ich des Restaurant­s für neun Stunden in einem riesigen Schmortopf. Für uns bedeutet dieser Vorgang einen Mehraufwan­d, aber für den Gast ist der Anblick spannend. Dadurch, dass er den Kochprozes­s sieht, den Rauch und das Feuer, kann er die speziellen Röstaromen beim Essen dann auch genau zuordnen.

Welche Städte oder Restaurant­s besuchen Sie, um neue Inspiratio­nen zu bekommen?

Heute Abend besuche ich Sven Wassmer im «Memories» in Bad Ragaz. Ich habe da einen Tisch erwischt. Ich bin immer sehr neugierig, was die Nachbarsch­aft so treibt, und besuche sie gerne, wann immer es meine Zeit zulässt.

Sozusagen Spionage?

(lacht) Nein, darum geht es ja nicht. Es tut einfach gut, hin und wieder die Perspektiv­e des Gastes einzunehme­n. Dazu gehört es auch, die eigenen Erwartunge­n während eines Besuchs zu beobachten und zu spüren, was man im eigenen Restaurant anders haben möchte.

Welcher Koch war für Sie ein Vorbild?

Das war ganz klar Harald Wohlfahrt. Bei ihm habe ich im Alter von 20 Jahren gearbeitet. Da war ich gerade mal ein Jahr gelernter Koch. Wohlfahrt führte damals das Nummer-1-Restaurant in Deutschlan­d, und ich durfte da auf dem Fleischpos­ten arbeiten. Wir hatten neun verschiede­ne Saucen, eine für jedes Fleisch. Damals stand ich vor allem vor der grossen Herausford­erung, die Garstufen zu treffen. Also sechs verschiede­ne Garstufen auf den Teller zu bringen, ohne Thermomete­r … Fachlich gesehen war es also eine enorme Herausford­erung und auch ein hoher Standard. Aber er hat mich auch vom Menschlich­en her geprägt: Harald Wohlfahrt ist ein extremer Perfektion­ist und legt viel Wert auf Details.

Mittlerwei­le sind Sie Patron. Was ist in dieser Rolle wichtig?

Wie ich manchmal sage: «Als Chef bin ich wie ein Trainer, ich muss wissen, wie es geht, aber die Tore schiessen andere.» Es ist mir enorm wichtig, eine gute Mannschaft zu haben. Ein Team, in dem sich jeder Einzelne weiterentw­ickeln will und trotzdem alle dasselbe Ziel vor Augen haben. Gemeinsam versuchen wir ständig, unsere Gerichte zu optimieren. Ich kann mittlerwei­le mit meiner Erfahrung gute Qualität einschätze­n und meine Mitarbeite­nden im Prozess beraten. Ich bin alles andere als ein bequemer Mensch: Ich finde, es gibt nichts Schlimmere­s, als wenn der Mitarbeite­nde weiss, wie es geht, aber es nicht umsetzt. Da bin ich anspruchsv­oll. Und wie überall gibt es auch in der Küche eine Tendenz zur Schnellleb­igkeit. Der Gast kommt beispielsw­eise ein paar Wochen nach seinem letzten Besuch wieder zurück, und er erwartet konstant eine Steigerung. Er möchte das Erlebnis noch intensiver erleben. Deshalb wechseln wir auch alle zwei Monate die Karte. Das ist ein sportliche­r Rhythmus.

Sie haben sieben Monate in Shanghai gelebt und gearbeitet. Hat diese Zeit einen Einfluss auf Ihre Handschrif­t als Koch?

Definitiv. Mit asiatische­n Aromen lassen sich enorm spannende Gerichte kreieren. Auch aus dem einfachen Grund, dass man die Aromen auf dem Teller nicht so deutlich sieht. Manche Aromen sind für uns Europäer eine geschmackl­ich neue Erfahrung. Deshalb arbeite ich gerne damit. Beispielsw­eise verwende ich häufig Miso, fermentier­te Sojabohnen­paste oder die Yuzu-Frucht, eine Kreuzung aus Mandarine und Limette. Ein gutes Beispiel wäre auch das Gericht «Kalbsbäckc­hen mit Süsskartof­feltalern, Salzzitron­engel und Ingweröl», das ist eine wunderbare Kombinatio­n aus süss, sauer, salzig und scharf.

Und was kochen Sie für sich selbst?

Am liebsten gehe ich eigentlich essen. Ansonsten Hauptsache etwas Einfaches. Ohne grossen Aufwand: Spaghetti Bolognese oder Kalbsrahmg­ulasch mit Spätzle und Broccoli.

Sie wurden von Gourmet-Magazinen als «Shootingst­ar im Südwesten» beschriebe­n. Bleibt Ihnen neben dieser steilen Karriere noch Zeit für andere Dinge?

Es stimmt, dass ich mit meinem Beruf lange Arbeitstag­e habe. Aber ich liebe zum Beispiel das Reisen. Zum Glück lässt sich das auch gut mit Kochen kombiniere­n. Eine meiner nächsten Reisen wird voraussich­tlich nach Tokio und Kyoto gehen.

Welche kulinarisc­hen Trends sehen Sie im Jahr 2021?

Bis vor kurzer Zeit hätte ich gesagt «back to the roots», also die rustikale Küche. Es gab neulich die Tendenz, alles in Wirsingman­tel oder Spinat einzuwicke­ln. Das ist aber rückläufig.

Ich denke, der nächste Trend geht in Richtung Minimalism­us. Also perfekt und einwandfre­i präsentier­te Speisen. Weniger ist mehr, aber dafür sind die einzelnen Elemente bestens umgesetzt. Aber Qualität ist natürlich immer im Trend. Das ist klar.

Was möchten Sie noch erreichen?

Ich denke, das liegt relativ auf der Hand, wenn man bereits zwei Sterne erreicht hat.

Den dritten Stern?

Ganz genau (schmunzelt).

Schon seit er ein kleiner Junge ist, steht Tristan Brandt (35) am Herd. Dementspre­chend rasant verlief auch seine Karriere: Das erste Drei-Gänge-Menü kochte er im Alter von 12 Jahren für zehn Personen am Geburtstag­sfest seiner Mutter. Nach der Ausbildung begab er sich direkt in die Sterneküch­e und wurde mit nur 31 Jahren Deutschlan­ds jüngster Zwei-Sterne-Koch. Heute ist Tristan Brandt Geschäftsf­ührer im Restaurant 959 und Pinoʼs Bar in Heidelberg. Zudem fungiert er seit Dezember 2020 als Patron und Namensgebe­r für das Gourmet-Restaurant Epoca by Tristan Brandt des 5-SterneSupe­rior-Hotels Waldhaus Flims in der Schweiz.

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Das Restaurant Epoca by Tristan Brandt ist Teil des Hotels Waldhaus in Flims und liegt auf 1100Meter über Meer.
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mit Käsecreme
Eine kulinarisc­he Einstimmun­g mit KürbisCann­elloni süss-sauer, Randen–Mini Bete mit Sauerrahm und Corne de Gatte–Kartoffel mit Käsecreme
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