«NO EXCUSES, PLEASE!»
Ausreden des Alltags
Gibt es eigentlich einen Unterschied zwischen Ausrede und Lüge? Laut Wikipedia sind Ausreden «das Vorbringen eines nicht zutreffenden Grundes für einen vermeintlich oder tatsächlich tadelnswerten Umstand. Das von der sich äussernden Person vorgebrachte ungültige Argument soll als Entschuldigung dienen.» Und die Lüge? Hier handelt es sich um «die (auch nonverbale) Kommunikation einer subjektiven Unwahrheit mit dem Ziel, im Gegenüber einen falschen Eindruck hervorzurufen oder aufrechtzuerhalten». Übersetzt heisst das also: Die Ausrede ist eher der Versuch, das Gegenüber und auch sich selbst nicht in eine unangenehme Situation zu bringen. Die Lüge hingegen ist eine böswillige Aussage, mit dem Wunsch, einer Person zu schaden oder sie zumindest in die Irre zu leiten.
AUSREDEN SCHADEN IM BERUFLICHEN ALLTAG
Das Seminar «I do it my way» des Schranner Negotiation Institute beschäftigt sich mit dem Thema «Ausreden». Wobei es detailliert darum geht, wie man am besten ohne auskommt. So mögen Ausreden im Wikipedia-Vergleich gegenüber der Lüge zwar besser wegkommen, doch auch Ausreden bedeuten nichts anderes als sich rausreden. Und damit hat die heutige Referentin nichts am Hut. Zarah Bruhn ist blond, schlank und gebildet. Und sie ist Gründerin, Visionärin und noch mehr ist sie helfende Hand. Sie steht an der Spitze von Social-Bee, einem Unternehmen, das Flüchtlinge in Deutschland bei der Jobsuche unterstützt. Es geht darum, den Menschen ein festes Einkommen zu ermöglichen. Oder um es mit ihren eigenen Worten zu sagen: «Wir arbeiten nach dem Prinzip des Zeitarbeitsmodells, was bedeutet: Wir stellen den Firmen Arbeitskräfte zur Verfügung, und sie brauchen sich um gar nichts kümmern, wir übernehmen sämtliche administrativen und finanziellen Formalitäten.»
Ausreden kann Zarah Bruhn dabei in ihrem Geschäftsalltag weder leiden, noch sind sie nützlich. Vor allem, weil sie sich oft in der Position der Bittstellerin wiederfindet. Sitzt sie einem Vorstand oder der Geschäftsführung eines Unternehmens gegenüber, ist
Ausreden gehören zu unserem Alltag, haben aber im Grunde immer nur kurz einen positiven Effekt. Danach wird es dann erst richtig unangenehm. Lassen wir das mit dem Rausreden doch am besten einfach sein. Eine Anregung nach einem bewegten Jahr.
es immer sie, die es will. Die anderen sind in der feinen Ausgangslage, alles zu können und nichts zu müssen. Übersetzt: Wenig Verhandlungsmasse, ganz viel Hoffnung und vor allem kann sie auch mit Fakten nicht punkten. Da der administrative und formelle Aufwand auf Seite von Social-Bee um einiges grösser ist als bei anderen Zeitarbeitsfirmen, sind die vermittelten Arbeitskräfte daher in der Regel teurer als bei anderen Anbietern. «In dieser Position noch um den heissen Brei herumreden, bringt gar nichts», erklärt die 30-Jährige. «Auf der anderen Seite erwarte ich das aber auch von meinem Gegenüber. Auch hier darf es keine Ausreden geben. Die Kommunikation muss klar und zielführend sein.»
ENTSCHEIDER BRAUCHEN KEINE AUSREDEN
In ihren Verhandlungen spricht Zarah Bruhn jeden mit Du an. Das verwirrt in der Regel, vor allem aber polarisiert es, aber das ist ihr egal. Zudem nutzt sie ihre unterschiedlichen Rollen, um ans Ziel zu kommen ungeniert, offen und ehrlich. Frau, Unternehmerin wie auch mehrfach ausgezeichnete Gründerin. «Es geht immer um den Zweck, es geht darum, ein Ziel zu erreichen», sagt sie. «Daher schlüpfe ich in die Rolle, die am besten zur Situation passt.» In Verhandlungen orientiert sie sich vor allem stets am Alphatier. Dazu sie selbst: «Und das ist eigentlich niemals derjenige, der für die Entscheidung zuständig ist, oder eben der, der so tut, als habe er die Macht.» Keine Ausreden bedeutet somit für sie auch, denjenigen zu erkennen, der schlussendlich die Entscheidung treffen darf.
Wer nun glauben mag, dass die Sozialunternehmerin von allen Seiten Lob erwarten darf, der wird enttäuscht. «Wir leisten viel Aufklärungsarbeit, dennoch werden wir von vielen Seiten angefeindet, für das, was wir tun», erklärt sie. «Nicht alle unterstützen die Integration von Asylbewerbern, andere finden, dass wir deren Lage ausnutzen, um uns im Zuge des Zeitarbeitsmodells zu bereichern.» Doch sie macht weiter und baut ihr Geschäftsmodell weiter aus. Denn auch sie hat in den letzten 12Monaten wie alle die Auswirkungen der Corona-Pandemie gespürt. Daher setzt sie gerade viel Manpower ein, um das bestehende Geschäft digital zu transformieren.
AUSREDEN VERMEIDEN KONFLIKTE
Bruhns Ausführungen an diesem Tag sind spannend, und das, was sie tut, ist es noch mehr. Es lässt mich aber vor allem über das Thema «Ausreden» noch einmal neu nachdenken. Im Grunde wünschen wir uns doch alle Klarheit in der Kommunikation mit anderen. Warum haben wir dann dennoch manchmal das Bedürfnis, uns rauszureden? Und warum tun wir es auch immer und immer wieder? Laut der Psychologin Brigitte Roser sind «Ausreden menschlich. Denn Konflikte auszutragen, ist nun einmal anstrengend, und der Mensch ist eher bequem.» Es geht demnach um den Konflikt, die Auseinandersetzung, die vermieden werden soll. Kollegen von Brigitte Roser und damit ebenfalls psychologisch geschulte Menschen nennen Ausreden daher auch ein «wichtiges soziales Schmiermittel». Sie vermeiden Reibung und damit Abrieb – übertragen auf Beziehungen.
Sind Ausreden demnach also doch gar nicht so schlimm? Vielleicht geht es eher darum, den Kontext zu betrachten, in dem sie stattfinden. Also: Ausreden im sozialen privaten Miteinander und dem Willen, die Beziehung nicht zu schädigen, oder Ausreden im beruflichen Leben, die Arbeitsabläufe stören und Unternehmenskulturen zusetzen. Dass Ausreden in Verhandlungen nichts verloren haben, das wird an diesem Tag auf jeden Fall klar. Denn sie sind weder respektvoll dem anderen gegenüber, noch sind sie zielführend.
ENTSCHULDIGUNGEN KÖNNEN AUSREDEN ERSETZEN
Definitiv klar ist, dass es manchmal besser ist, nicht die Wahrheit zu sagen. Einfach, weil man den anderen schützen will – gerade wenn es um private Beziehungen geht. Doch vielleicht wäre es an der Tagesordnung und ein guter Vorsatz, endlich mal den Mut aufzubringen, den eigenen Fehler zuzugeben und sich schlicht und einfach zu entschuldigen. Denn wie Wikipedia sagt, handelt es bei der Ausrede, dem vorgebrachten Argument, ja um nichts anderes als um eine Entschuldigung. Gerade nach diesem bewegten Jahr, in dem wir alle zahlreiche Ausreden und definitiv auch Lügen präsentiert bekommen haben, ist es an der Zeit, zu einer ehrlichen Kommunikation auf Augenhöhe zurückzukehren. Die Antwort darauf überlasse ich jedem gerne selbst, meine habe ich an diesem Tag aber definitiv gefunden.