Wie geht Wiederaufbau?
Die Flut in Deutschland riss Häuser und Lebensträume mit. Der Staat hat Milliarden an Hilfe gesprochen, doch viele Betroffene warten. Eine Reportage über die Bürokratie des Wiederaufbaus.
Das Haus, in dem Martin Spoo (66) und seine Frau alt werden wollten, ist in den Krater gestürzt. Er zeigt kurz auf die leere Stelle, wendet sich ab: «Ich kann es nicht ertragen.» Vom Haus aus hätten die beiden auf ihr Lebenswerk gesehen: einen Pferdehof. Seit mehreren Generationen bildet die Familie Pferde aus fürs Dressur- und Springreiten, züchtet sie, weltweit renommierte Tiere, sagt Spoo. Auch in der Schweiz haben sie Kunden.
Der Hof stand neben einem Feld. Nun klafft dort eine gigantische Grube. Eine der Reithallen ist eingestürzt, eine andere muss er vielleicht abreissen. Hof, Ställe und mehrere Häuser benötigen Reparaturen. Freunde und Fremde haben geholfen, die Trümmer wegzutragen. Nun stünde der Aufbau an. «Ich weiss gar nicht, wo wir anfangen sollen», sagt Spoo an diesem Tag Ende Oktober.
In der Nacht auf den 15. Juli überspülte eine Flutwelle Blessem, einen Ortsteil von Erftstadt, 20 Kilometer südwestlich von Köln. Erst sammelten sich Wassermassen in der örtlichen Kiesgrube, dann sackte plötzlich der Boden rundherum weg. Ein Krater entstand, über zehn Meter tief. Mehrere Häuser stürzten in den Abgrund, Autos wurden weggespült, Kanalisationsrohre freigelegt. Der Stadtteil Blessem mit 1900 Einwohnern wurde zu einem der Symbole des Hochwassers. Noch immer können die Menschen hier kaum glauben, dass niemand gestorben ist.
Dreieinhalb Monate ist das her, und nun versuchen die Familien in Erftstadt, aus den feuchten Mauern wieder ein Zuhause zu machen. Eines der Probleme des Wiederaufbaus:
Nur die Hälfte der Haushalte sind gegen Elementarschäden versichert, in Blessem sind es laut Bürgerforum sogar weniger als ein Drittel – alle anderen müssten Schäden von Hochwasser oder Erdbeben also selbst bezahlen. Anders als in der Schweiz sind Elementarschäden ein freiwilliger Baustein der Gebäudeversicherung.
Doch am Geld dürfte der Wiederaufbau kaum scheitern. Das Parlament und die Bundesländer stellten 30 Milliarden Euro zur Verfügung, landesweit spendeten Menschen. Aber die Einwohner warten auf das Geld, sind ungeduldig, der Winter naht. Politikerinnen und Experten schätzen, dass der Wiederaufbau Jahre dauern wird. Wie baut man ein Gebiet auf, das von der Natur so stark zerstört wurde?
Seit Mitte September können Menschen und Unternehmen beim
Aufbaufonds Anträge stellen. Auch Pferdezüchter Martin Spoo versicherte sich nie gegen Elementarschäden. Er wollte Aufbauhilfe beantragen. Aber alle in seinem Umfeld, die er um Hilfe bat beim Ausfüllen der Dokumente, winkten ab: Seine Schäden seien zu kompliziert, das lasse sich nicht beschreiben in den vielen vorgegebenen Feldern des Onlineantrags.
Bürokratie und Einzelschicksale
Das System des Aufbaufonds basiert auf ihm: Fritz Jaeckel (58), der die Industrie- und Handelskammer Nord Westfalen leitet. Am 14. Juli sass er in seinem Büro, schaute aus dem Fenster und dachte, so einen starken Regen habe er das letzte Mal vor dem Hochwasser 2013 gesehen. Am Abend holte er mit Eimern Wasser aus seinem Keller in Münster.