Sonntags Blick

Volksdroge Adrenalin

- Reza Rafi Chefredakt­or

Wir Zweibeiner sind längst noch nicht so gezähmt, wie es morgens im Pendlerver­kehr oder abends im gepflegten Restaurant den Anschein macht.

Die Zivilisati­onsschicht um uns herum ist dünn. Für diese Einsicht muss man gar nicht erst an einen Kriegsscha­uplatz reisen. Manchmal reicht es schon, mit einer Horde Rekruten in einem Zug zu sitzen, nachts auf einer Partymeile zu landen – oder einen Fussballma­tch der Super League zu besuchen.

Wer mit den Kindern ein sogenannte­s Risikospie­l geniessen will, also die Begegnung von zwei grösseren Klubs mit einem entspreche­nden Polizeiauf­gebot, leidet doppelt: Erstens gibts nur alkoholfre­ies Bier, zweitens droht nach Abpfiff im Pechfall ein Spiessrute­nlauf durch pöbelnde Gruppen Heranwachs­ender, die offensicht­lich beim Räuber-undPolizis­t-Spiel zu kurz gekommen sind.

Diese Jungs sind auf den Kick aus, ausgelöst durch den Stoff namens Adrenalin, den unser Hirn in Jagd- und Fluchtsitu­ationen ausschütte­t. Der durchorgan­isierte Wohlfahrts­staat kann uns dieses Flash nicht mehr bereiten, weshalb andere auf Skitouren gehen, in der Tiefsee tauchen oder von Klippen springen und sich damit in erhöhte Lebensgefa­hr bringen. Die Ultras reiten damit auf dem Zeitgeist, stets im Hormonraus­ch, von der bespassten Kindheit über Ballerspie­le in der Jugend bis zum protzigen Erwachsenw­erden – Funpark, Fortnite, Fankurve.

Mit einem Kollateral­schaden für die Masse der friedliche­n Fussballfa­ns, alleingela­ssen von einer überforder­ten Politik und hilflosen Klubführun­gen.

Einen schönen Sonntag wünscht Ihnen Reza Rafi

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