Volksdroge Adrenalin
Wir Zweibeiner sind längst noch nicht so gezähmt, wie es morgens im Pendlerverkehr oder abends im gepflegten Restaurant den Anschein macht.
Die Zivilisationsschicht um uns herum ist dünn. Für diese Einsicht muss man gar nicht erst an einen Kriegsschauplatz reisen. Manchmal reicht es schon, mit einer Horde Rekruten in einem Zug zu sitzen, nachts auf einer Partymeile zu landen – oder einen Fussballmatch der Super League zu besuchen.
Wer mit den Kindern ein sogenanntes Risikospiel geniessen will, also die Begegnung von zwei grösseren Klubs mit einem entsprechenden Polizeiaufgebot, leidet doppelt: Erstens gibts nur alkoholfreies Bier, zweitens droht nach Abpfiff im Pechfall ein Spiessrutenlauf durch pöbelnde Gruppen Heranwachsender, die offensichtlich beim Räuber-undPolizist-Spiel zu kurz gekommen sind.
Diese Jungs sind auf den Kick aus, ausgelöst durch den Stoff namens Adrenalin, den unser Hirn in Jagd- und Fluchtsituationen ausschüttet. Der durchorganisierte Wohlfahrtsstaat kann uns dieses Flash nicht mehr bereiten, weshalb andere auf Skitouren gehen, in der Tiefsee tauchen oder von Klippen springen und sich damit in erhöhte Lebensgefahr bringen. Die Ultras reiten damit auf dem Zeitgeist, stets im Hormonrausch, von der bespassten Kindheit über Ballerspiele in der Jugend bis zum protzigen Erwachsenwerden – Funpark, Fortnite, Fankurve.
Mit einem Kollateralschaden für die Masse der friedlichen Fussballfans, alleingelassen von einer überforderten Politik und hilflosen Klubführungen.
Einen schönen Sonntag wünscht Ihnen Reza Rafi