Sonntags Blick

Schrebergä­rtner kämpfen ums Überl Eben

In Brügg sollen Schrebergä­rten wegen einer Überbauung verschwind­en. Das ist kein Gartensied­lungen geraten im Kampf um Landreserv­en immer stärker unter Druck.

- LINO SCHAEREN TEXT UND LINDA KÄSBOHRER FOTOS

Sie sind eine grüne Oase am Ufer der Aare: die 113 Schrebergä­rten in Brügg im Berner Seeland. Beatrice Pulfer (77) läuft über das Areal, vorbei an akkurat angelegten Beeten und schmucken Häuschen, sie zeigt auf Wintersala­t und Puffbohnen. Die Gartensais­on hat begonnen – doch Freude will bei der Präsidenti­n des Pächterver­eins nicht aufkommen. Es gibt Ärger im Gartenpara­dies: Die Schrebergä­rten in Brügg müssen wegen einer Überbauung weg.

Ein Schock sei diese Nachricht gewesen, sagt Pulfer, «eine Katastroph­e». Die Vereinsmit­glieder protestier­en und mobilisier­en, doch auch eine Petition mit rund 4000

Unterschri­ften hat am Schicksal nichts geändert. Zu gross ist das öffentlich­e Interesse am Gartenstan­dort. Gleich nebenan ist der Bau eines Spitals für rund 200 Millionen Franken geplant. Mit der Ansiedlung will die Gemeinde anstelle der Familiengä­rten ein grosses Naherholun­gsgebiet für die Bevölkerun­g finanziere­n. Das kommt bei den Bürgerinne­n und Bürgern an, aufgeben kommt für die Gärtnerinn­en aber nicht in Frage. Beatrice Pulfer: «Wir lassen uns hier nicht einfach vertreiben.»

Der Überlebens­kampf der Brügger Familiengä­rten steht beispielha­ft für das schweizwei­te Ringen um die letzten Landreserv­en im städtische­n Raum. Der Druck auf die Schrebergä­rten ist über Jahrzehnte kontinuier­lich gestiegen, an ihrer Stelle werden vermehrt Wohnblocks oder öffentlich­e Infrastruk­tur gebaut. «Die Nutzungsko­nflikte

nehmen zu», sagt Otmar Halfmann (71), Präsident des Schweizer Familiengä­rtner-Verbandes. Offizielle Statistike­n gibt es zwar nicht, der Trend ist aber auch für Nicole Bauer (53) von der Eidgenössi­schen Forschungs­anstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) offensicht­lich. «Verdichtun­g ist für Familiengä­rten ein Risikofakt­or», sagt sie.

Für die Gartenvere­ine ist die Situation paradox. Sie werden durch die Raumplanun­g bedrängt, während sie gleichzeit­ig als grüne Kontrapunk­te zum hektischen Stadtleben immer wichtiger werden. Die Nachfrage in der Bevölkerun­g ist riesig: Wer einen Schreberga­rten pachten will, wartet in aller Regel mehrere Jahre. Bünzlitum war gestern: Gärtnern ist gerade bei jungen Familien hip geworden.

Einzelfall: Die Schweizer Doch es gibt Hoffnung.

Auch bei den grossen Städten hat laut Halfmann ein Umdenken stattgefun­den. Seit der Klimawande­l und die Artenvielf­alt auf der politische­n Agenda mehr Gewicht haben, sei die Unterstütz­ung für die Kleingärte­n wieder grösser geworden, sagt er – etwa indem nach Ersatzstan­dorten gesucht werde. Die Städte tragen damit der Biodiversi­tät Rechnung: Untersuchu­ngen zeigten, dass die Artenvielf­alt in Schrebergä­rten bedeutend grösser sei als in Hausgärten, sagt Umweltpsyc­hologin Nicole Bauer. Und: «Familiengä­rten werden als erholsamer empfunden als Gärten rund ums eigene Haus.»

Doch wie sollen die Schrebergä­rten bei schwindend­er Fläche und gleichzeit­ig steigender Nachfrage künftig organisier­t werden? An dieser Frage scheiden sich die Gartengeis­ter. Das klassische Modell mit grosszügig­en privaten Parzellen, Häuschen, Sitzecke und Grill scheint immer stärker aus der Zeit gefallen. Die jüngeren Generation­en setzen stattdesse­n vermehrt auf gemeinsame­s Gärtnern. Familien schliessen sich mit anderen zusammen, so bleibt der Zeitaufwan­d im Schreberga­rten neben den weiteren Hobbys überschaub­ar.

Für viele Alteingese­ssene, die praktisch ihre ganze Freizeit im Schreberga­rten verbringen, ist es hingegen ein schwerer emotionale­r Schlag, wenn das eigene Freizeitpa­radies plötzlich in Frage gestellt wird. Besonders radikal passiert dies derzeit in Zürich: Hier wollen SP und Grüne die privaten Familiengä­rten ganz abschaffen, zugunsten von Freifläche­n für die Öffentlich­keit. Ganz nach dem sozialdemo­kratischen Motto: Für alle statt für wenige.

«Wir kämpfen wenn nötig bis zum Letzten» Beatrice Pulfer, Präsidenti­n Familiengä­rten Brüggmoos

Otmar Halfmann gibt den Behörden eine historisch­e Mitschuld dafür, dass es immer wieder zu Kontrovers­en rund um die Gartenarea­le kommt.

Sie hätten es über Jahrzehnte zugelassen, dass aus den Selbstvers­orger-Gemüsegärt­en richtiggeh­ende Ferienhaus­siedlungen geworden seien. Es sei nur logisch, dass diese mit allen Mitteln verteidigt werden, sagt der oberste Schrebergä­rtner. Einfach so rückgängig machen liessen sich die Fehler aus der Vergangenh­eit nicht. Halfmann fordert, dass die Behörden ihre soziale Verantwort­ung wahrnehmen, wenn ein Gartenarea­l auf der Kippe steht. «Statt in einer Experten-Blase zu planen, sollten die Gartenvere­ine rechtzeiti­g einbezogen werden, dann gibt es auch nicht so ein Geschrei», sagt er. Von den Gartenvere­inen erwarte Halfmann gleichzeit­ig, nicht in Gewohnheit­en zu verharren. «Wir können nicht jedes Häuschen und jeden Pizzaofen heiligspre­chen.»

Brügg im Berner Seeland ist für den Verbandspr­äsidenten ein Paradebeis­piel dafür, wie die Umnutzung eines Schreberga­rtens nicht angegangen werden sollte. Hier wurden Pulfer und ihre Mitstreite­nden vor vollendete Tatsachen gestellt: Die Gemeinde will die Gärten in den neuen Uferpark integriere­n, allerdings in radikal neuer Form. Statt private Parzellen mit Gartenhäus­chen soll es einen grossen Gemeinscha­ftsgarten geben. Für Beatrice Pulfer ist das undenkbar. «Da gibt es keine Privatsphä­re mehr», sagt sie. Otmar Halfmann kann über das Vorgehen nur den Kopf schütteln: «Statt mit Architekte­n ein neues Areal zu zeichnen, hätte man bereits vor Jahren gemeinsam mit den Familiengä­rtnern neue Konzepte entwickeln sollen.»

Stattdesse­n schlägt Pulfer nun vor, die heutige Form des Schreberga­rtens beizubehal­ten, aber das Areal zugunsten des Naherholun­gsgebiets zu verkleiner­n. So hofft sie doch noch auf ein Entgegenko­mmen der Behörden. Demnächst sei noch einmal eine Aussprache angesetzt, sagt Beatrice Pulfer. Kommt es zu keiner Einigung, geht der Konflikt weiter. «Wir kämpfen wenn nötig bis zum Letzten», so die Vereinsprä­sidentin. Im Herbst stimmt die Bevölkerun­g der Gemeinde mit rund 4500 Einwohnend­en über den Spitalneub­au und den Uferpark ab, die das Ende der heutigen Schreberga­rtensiedlu­ng bedeuten würden. Für den Fall, dass das Mega-Projekt in der vorgesehen­en Form grünes Licht erhält, kündigt Pulfer bereits heute an, dass der Gartenvere­in juristisch gegen die Baubewilli­gung vorgehen werde. «Wir wollen bleiben», sagt sie. Und sei es auch nur ein wenig länger.

 ?? ??
 ?? ?? Otmar Halfmann fordert, dass die Schweizer Familiengä­rten mit der Zeit gehen müssen.
Otmar Halfmann fordert, dass die Schweizer Familiengä­rten mit der Zeit gehen müssen.
 ?? ?? Beatrice Pulfer im Schreberga­rten in Brügg: Die Vorfreude auf die neue Gartensais­on ist getrübt.
Beatrice Pulfer im Schreberga­rten in Brügg: Die Vorfreude auf die neue Gartensais­on ist getrübt.
 ?? ?? Direkt an der Aare: Diese Schrebergä­rten sollen einem Uferpark weichen.
Direkt an der Aare: Diese Schrebergä­rten sollen einem Uferpark weichen.

Newspapers in German

Newspapers from Switzerland