Sonntags Blick

«Wir wollen den 15-Minuten-Ta einführen»

Vincent Ducrot erklärt, wie die Frequenzen erhöht werden können, ohne das Schienenne­tz auszubauen – und warnt vor einer «Totalsanie­rung» der Bahn.

- THOMAS SCHLITTLER INTERVIEW UND PHILIPPE ROSSIER FOTOS

Die SBB konnten diese Woche zum ersten Mal seit der Pandemie wieder einen Gewinn präsentier­en. CEO Vincent Ducrot (61) sagt im Interview mit SonntagsBl­ick, wieso er sich trotzdem grosse Sorgen um die Finanzen seines Konzerns macht. Zudem skizziert er, wie der öffentlich­e Verkehr in der Schweiz in einigen Jahren aussehen soll.

Herr Ducrot, Journalist­en verteilen selten Kompliment­e. Zeit für eine Ausnahme: Ich muss deutlich seltener auf meinen Zug warten als noch vor ein paar Jahren. Wie haben Sie das geschafft?

Vincent Ducrot: Wir haben stark in die Planung und interne Kommunikat­ion investiert. Die Bereiche Personenve­rkehr, Infrastruk­tur, Sicherheit, IT und Immobilien arbeiten heute deutlich enger zusammen als früher. Mit der neuen Leitstelle Bahnverkeh­r Schweiz im Bollwerk in Bern gehen wir nun noch einen Schritt weiter: Hier laufen alle Fäden der integriert­en Bahn zusammen. So können wir sofort reagieren, wenn irgendwo Probleme auftauchen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Nehmen wir eine Baustelle, bei der die Züge aus Sicherheit­sgründen langsamer fahren müssen. Nach Plan beträgt die Verzögerun­g 10 Sekunden, in der Realität sind es aber 20 Sekunden. Das kann ausreichen, um unser fein abgestimmt­es System aus dem Takt zu bringen. Wenn der Personenve­rkehr einen direkten Draht zur Infrastruk­tur hat, so hilft dies, das Problem rasch zu beheben.

Die Pünktlichk­eit stimmt, der Komfort lässt aber oft zu wünschen übrig: Zu Stosszeite­n muss ich zwischen Winterthur und Zürich auf der Treppe sitzen. Heute Morgen hatten – von Zürich nach

Bern – ebenfalls nicht alle einen Sitzplatz. Müssen wir uns daran gewöhnen?

Auf kurzen Strecken von weniger als 15Minuten während der Rushhour gibt es oft wie in einer Metro keine freien Sitzplätze. Auf längeren Strecken ist es aber selbstvers­tändlich unser Anspruch, dass niemand stehen muss. Aufgrund unseres offenen Systems, das keine Reservieru­ng erfordert, ist es aber nicht möglich, das immer zu garantiere­n. Hier wollen wir ansetzen, indem wir flexibler dort mehr Züge fahren lassen, wo sie gefragt sind.

Die SBB sind unter Ihrer Ägide wieder zuverlässi­ger geworden. Die Finanzen hatte Ihr Vorgänger Andreas Meyer aber besser im Griff. Einverstan­den?

Der Vergleich ist nicht ganz fair: Wir hatten fast drei Jahre lang mit Corona zu kämpfen. Das hat uns Reisende und viel Geld gekostet, rund drei Milliarden Franken. Die zunehmende Verschuldu­ng ist fast ausschlies­slich auf die Pandemie zurückzufü­hren. Dieses Jahr konnten wir wieder einen Gewinn erwirtscha­ften. Das freut uns, reicht aber nicht.

Trotzdem entsteht der Eindruck, dass Sie viel Geld in Infrastruk­tur, Personal und Betrieb investiere­n – und darauf spekuliere­n, dass am Ende der Bund die Rechnung übernimmt.

Das stimmt nicht, ganz im Gegenteil. Wir haben unter meiner Leitung Kosten- und Effizienzm­assnahmen ergriffen: Bis 2030 wollen wir sechs Milliarden Franken weniger ausgeben. Die öffentlich­e Hand finanziert die Infrastruk­tur und den Betrieb. Die SBB müssen aus eigener Kraft in Rollmateri­al und Bahnhöfe investiere­n. Wir fühlen uns aber dem Service public verpflicht­et. Ein möglichst hoher Gewinn ist deshalb nicht unser Ziel, sondern ein guter Service für unsere Kundinnen und Kunden.

Peter Füglistale­r, Chef des Bundesamts für Verkehr (BAV), ist der Ansicht, dass Sie zu wenig Wert auf die Eigenwirts­chaftlichk­eit der SBB legen.

Herr Füglistale­r hat einen anderen Blickwinke­l als wir: Er hat den Eindruck, dass die Bahnen sich darauf beschränke­n, öffentlich­es Geld zu verlangen. Wir wollen unseren Transporta­uftrag möglichst gut erfüllen – und gleichzeit­ig einen riesigen Schuldenbe­rg für die SBB verhindern, wie es der Eigner von uns verlangt.

Nach Bekanntgab­e der Jahreserge­bnisse sprach sich Füglistale­r dagegen aus, dass Ihnen das Parlament zum Schuldenab­bau einen einmaligen Kapitalzus­chuss von 1,15 Milliarden Franken gewährt. Was wären die Konsequenz­en?

Wir müssten mit unserem Eigner, dem Bund, unsere finanziell­en Ziele neu aushandeln. Unsere Schulden sind während der Pandemie auf über elf Milliarden Franken gestiegen. Das ist deutlich mehr, als uns die Vorgaben erlauben. Aus eigener Kraft werden wir diese Schulden nicht im geforderte­n Masse reduzieren können. Und um das Angebot der kommenden Jahre fahren zu können, sind massive Investitio­nen nötig. Es braucht deshalb die Unterstütz­ung durch den Bund, wir sind froh um jeden Franken. Wir wollen um jeden Preis verhindern, dass den SBB irgendwann nur noch die Totalsanie­rung bleibt.

«EIN MÖGLICHST HOHER GEWINN IST NICHT UNSER ZIEL»

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Fast so eng wie zu Stosszeite­n: SBBChef Ducrot (l.) empfängt SonntagsBl­ick-Redaktor Thomas Schlittler in Bern.

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