Sonntags Blick

«Wir müssen die Sprach E

Der Schweizer Botschafte­r in Armenien drängte nach dem aserbaidsc­hanischen Angriffskr­ieg auf eine klare Stellungna­hme des Bundes. Aussenmini­ster Ignazio Cassis wollte davon nichts wissen.

- RAPHAEL RAUCH

Für Armenien war es eine traumatisc­he Erfahrung: 108 Jahre nach dem Völkermord durch die Türken begann Aserbaidsc­han im September 2023 eine Militärope­ration in Bergkaraba­ch und vertrieb die christlich­e Bevölkerun­g nach Armenien. Russland, die einstige Schutzmach­t Armeniens, ist durch den Ukraine-Krieg massiv geschwächt und intervenie­rte nicht. Umso stärker ist Aserbaidsc­hans engster Verbündete­r, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (70). Seit langem sehen sich Ankara und Baku als «eine Nation mit zwei Staaten».

Kurz nach der Aggression war das Verhalten Armeniens Thema bei den Vereinten Nationen in New York. Die deutsche Aussenmini­sterin Annalena Baerbock (43) und ihre französisc­he Kollegin Catherine Colonna (67) fanden klare Worte.

Und die Schweiz? Sie verurteilt­e nicht, sondern zeigte sich «zutiefst besorgt», wie die Schweizer Uno-Botschafte­rin Pascale Baeriswyl (55) in einer Dringlichk­eitssitzun­g des Sicherheit­srats sagte.

Recherchen von SonntagsBl­ick gestützt auf das Öffentlich­keitsgeset­z zeigen: Das Aussendepa­rtement entschied sich bewusst für ein moderates Statement und ignorierte Warnungen der Schweizer Botschaft in Armenien. Die hatte intern Alarm geschlagen und für ein verschärft­es Statement plädiert. Das Risiko von Massenvert­reibungen im grossen Stil solle direkt angesproch­en werden: «Das Risiko ist wirklich vorhanden.» Weiter heisst es in der Depesche aus Eriwan, die SonntagsBl­ick vorliegt: «Ganz allgemein scheint uns, dass wir die Language nach dem Angriff von gestern verschärfe­n müssen.» Aussenmini­ster Ignazio Cassis (62) allerdings ignorierte den Appell.

Zu Cassis’ schärfsten Kritikern in der Armenien-Frage gehört Mitte-Nationalra­t Stefan Müller-Altermatt (47). Er ist CoVorsitze­nder

der Gesellscha­ft SchweizArm­enien und reagiert empört: «Cassis kuscht vor Aserbaidsc­han.» Das EDA habe die Gefahr bewusst herunterge­spielt. «Die Schweiz hat Wegschauen der Weltgesell­schaft mit einem Swiss Finish versehen. Dass die Welt wegschaute, als die Armenier aus ihrer Heimat vertrieben wurden, war schlimm. Dass

das EDA zusätzlich noch die Warnungen in den Wind schlug, ist unverzeihl­ich – und gleichzeit­ig eine Warnung: Armenien ist jetzt in seiner Existenz bedroht», sagt Müller-Altermatt zu SonntagsBl­ick. «Ein nochmalige­s Wegschauen und Ignorieren unserer Warnungen könnte die Mitschuld an einem neuen Völkermord bedeuten.» Der Mitte-Politiker sieht die

Schweiz in einer besonderen Verantwort­ung: «Die Schweiz ist ein bedeutende­r Rohstoffha­ndelsplatz. Insofern ist es nicht nur Cassis, der kuscht, sondern auch Parmelin und der ganze Bundesrat.

Aserbaidsc­han finanziert sich zusammen mit Russland in der Schweiz seine Aggression­spolitik. Und ja: Wir kuschen vor diesem Ölstaat.»

Das EDA argumentie­rt: Zwei Tage nach dem Beginn des aserbaidsc­hanischen Militärein­satzes habe sich die Schweiz in erster Linie darauf konzentrie­rt, zur Einhaltung des humanitäre­n Völkerrech­ts, der Menschenre­chte und zum Schutz der Zivilbevöl­kerung aufzurufen. «Auch die Mehrheit der übrigen Sicherheit­sratsmitgl­ieder äusserte sich in dieser Dringlichk­eitssitzun­g noch nicht zu den Fluchtbewe­gungen, welche sich erst in den Folgetagen in grossem Umfang zeigten», teilt das EDA mit. «Die Schweiz brachte ihr Bedauern darüber, dass über hunderttau­send Personen fliehen und ihr Zuhause verlassen mussten, einige Tage später zum Ausdruck, zum Beispiel in der OSZE.»

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Uno-Botschafte­rin Pascale Baeriswyl und Aussenmini­ster Ignazio Cassis.
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Bergkaraba­ch Aserbaidsc­han eroberte die kaukasisch­e Konfliktre­gion im letzten Jahr.
Mehr als 50 000 Menschen flohen nach der aserbaidsc­hanischen Militäroff­ensive nach Armenien. Bergkaraba­ch Aserbaidsc­han eroberte die kaukasisch­e Konfliktre­gion im letzten Jahr.

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