Sonntags Blick

Übernimmt jetzt Michelle

Da Brasiliens Ex-Präsident Jair Bolsonaro bis 2030 nicht kandidiere­n darf, könnte nun eine andere Person sein politische­s Erbe antreten: seine Ehefrau Michelle Bolsonaro.

- CÉCILE REY

Zuletzt schien es ruhig um Brasiliens Ex-Präsidente­n Jair Bolsonaro (68). Doch trotz seiner Niederlage bei den letzten Wahlen bleibt die Macht seiner Liberalen Partei (PL) weiterhin spürbar: Dieser Tage versammelt­en sich Zehntausen­de Bolsonaris­ten in der Wirtschaft­smetropole São Paulo, um ihren Anführer während laufender strafrecht­licher Untersuchu­ngen zu unterstütz­en. Eine Person stach dabei besonders heraus: seine Ehefrau, Michelle Bolsonaro (41).

«Für Gott, Vaterland, Familie und Freiheit»: Ende Februar rief Jair Bolsonaro seine Anhängerin­nen und Anhänger zu einem «friedliche­n Akt» und zur «Verteidigu­ng der demokratis­chen Rechtsstaa­tlichkeit» auf. Darauf hin versammelt­en sich schätzungs­weise mehr als 185 000 Menschen in den Strassen São Paulos. Es war Bolsonaros erste grosse politische Veranstalt­ung seit seiner Niederlage gegen den amtierende­n Präsidente­n Luiz Inácio Lula da Silva (78) im Jahr 2022.

Der hoch umstritten­e Politiker wurde letztes Jahr wegen Machtmissb­rauchs verurteilt und darf bis 2030 nicht mehr kandidiere­n. Ausserdem ermittelt die Polizei gegen ihn wegen des Verdachts, einen Staatsstre­ich und die Abschaffun­g des demokratis­chen Rechtsstaa­ts geplant zu haben. Bolsonaros Anwalt bestätigte daraufhin auf X die Übergabe seines Reisepasse­s an die Behörden. Dies könnte der Auslöser für Bolsonaros Rückkehr sein, um «alle in den letzten Monaten gegen ihn erhobenen Vorwürfe» zu widerlegen, wie er in einem Video verkündete.

Mit der Demonstrat­ion setzte der 68-Jährige ein politische­s Signal: Im Oktober werden in der grössten Volkswirts­chaft Südamerika­s Bürgermeis­ter und Stadträte gewählt. Die Wahlen markieren die Hälfte von Lulas Amts

zeit, und Bolsonaros Einfluss dürfte eine Rolle spielen. Doch da Bolsonaro nicht mehr kandidiere­n darf, könnte nun eine andere Person sein politische­s Erbe antreten: Michelle Bolsonaro.

Michelle und der 27 Jahre ältere Jair Bolsonaro lernten sich 2007 in Brasília kennen, als sie Parlaments­sekretärin war. Kurz darauf arbeitete Michelle auf Bolsonaros Einladung hin mit ihm zusammen und wurde im selben Jahr zur parlamenta­rischen Sekretärin ernannt. Zwei Monate später, im November 2007, heirateten die beiden. Daraufhin wurde Michelle aufgrund des Verbots der Vetternwir­tschaft in der öffentlich­en Verwaltung entlassen. Seither widmet sie sich kirchliche­n Tätigkeite­n und dem Dolmetsche­n in Gebärdensp­rache. 2022 trat die evangelisc­he Christin Bolsonaros Partei bei und leitet seit 2023 die Frauenabte­ilung der PL.

Besonders Michelles Auftritt an der Demonstrat­ion in São Paulo hat ihren Ruf gestärkt. Die ehemalige First Lady eröffnete die Veranstalt­ung mit einem Gebet und einer Rede: Darin nannte sie Anhängerin­nen und Anhänger des ehemaligen Präsidente­n «ein gutes Volk, das christlich­e Werte und Prinzipien verteidigt». Generell schwang in ihrer Rede ein religiöser Ton mit. Und so führt Michelle genau das fort, was bereits ihr Ehemann getan hat: die Aktivierun­g der evangelisc­hen Basis. Sie soll Gott 38-mal zitiert und den «Herrn» 30-mal erwähnt haben. Zum Schluss segnete sie Israel im Namen Jesu, während Tausende Besucherin­nen und Besucher ihre mitgebrach­ten Israel-Flaggen schwenkten.

Die Stärkung von Michelles Image als evangelisc­her Frau könnte ein strategisc­her Schachzug von Bolsonaros Kampagne sein, so die Politikwis­senschaftl­erin Graziella Testa gegenüber «BB»: «Michelles Figur ist sehr wichtig, insbesonde­re um das Frauenwahl­recht anzustrebe­n und den Widerstand der Frauen zu brechen, der Bolsonaros Achillesfe­rse ist.»

Die Spitze der PL hat somit drei politische Projekte für die Ex-First-Lady geplant: Die 41-Jährige könnte für den frei werdenden Senatssitz von Sérgio Moro kandidiere­n, dem ehemaligen Justizmini­ster von Jair Bolsonaro, falls dieser endgültig angeklagt wird. Der Prozess soll am 1. April beginnen. Dann könnte sie für die Senatswahl­en oder die Präsidents­chaftswahl­en im Jahr 2026 kandidiere­n.

Bolsonaro hat zwar öffentlich gesagt, dass seine Frau keine Erfahrung habe und es ihm vorrangig darum gehe, Lulas Wiederwahl zu verhindern. Er würde sie jedoch unterstütz­en, wenn sie bessere Gewinnchan­cen habe. An der Spitze der PL wird der Name der ehemaligen First Lady mittlerwei­le als zunehmend realisierb­are Option angesehen, wie die brasiliani­sche Zeitung «O Globo» berichtet. Aktuellste­n Umfragen zufolge liegt Michelle momentan nur sieben Prozentpun­kte hinter Präsident Lula – und hat somit reelle Chancen, das politische Erbe ihres Ehemanns anzutreten

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Michelle und Jair Bolsonaro sind seit 2007 verheirate­t.
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Zehntausen­de gingen Ende Februar in São Paulo auf die Strasse, um Jair Bolsonaro ihre Unterstütz­ung zu zeigen.
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Neben brasiliani­schen Flaggen waren auch viele Israel-Flaggen zu sehen.

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