Sonntags Blick

VOM GROSSONKEL ERB DAS FURCHTLOS-GEN TE ODERMATT

Im zehnten Riesenslal­om ist es passiert: Marco Odermatt scheidet aus! Mit neun SaisonSieg­en bleibt er aber der RiesenKöni­g. Sein Erfolg ist auch auf drei Männer zurückzufü­hren, die nicht in der Öffentlich­keit stehen.

- MARCEL W. PERREN AUS SAALBACH

X DER BESTE SCHULKOLLE­GE

Kean Mathis und Marco Odermatt waren in der Schulzeit schier unzertrenn­lich. Beide besuchten in Hergiswil die Begabtenfö­rderungskl­asse. «Marco und ich haben uns von Montag bis Freitag jeden Morgen am Bahnhof in Stans getroffen, sind mit dem Zug gemeinsam in die Schule gefahren, wo wir nebeneinan­dersassen. Selbstvers­tändlich haben wir auch ausnahmslo­s zusammen zu Mittag gegessen und sind nach der Schule wieder gemeinsam nach Hause gefahren», erinnert sich Kean.

Und weil auch Mathis ein talentiert­er Skifahrer war, haben die beiden auch fast jeden Tag zusammen trainiert. Im Februar 2010 wartete Kean mit einer Aktion auf, die massgeblic­h zur galaktisch­en Entwicklun­g seines Kumpels aus Buochs beitrug. «Marco fuhr bis zu diesem Zeitpunkt Rossignol-Ski. Seine Technik war schon damals fantastisc­h, aber Rennen hat er kaum mal gewonnen. Ich habe ihm deshalb meinen Stöckli-Ski geliehen. Ein paar Tage später gewann Marco mit meinen Ski einen U14-Riesenslal­om am Sörenberg!»

Während Odermatt seither mit Stöckli Seriensieg­e einfährt, musste Mathis seine SkiLauf bahn wegen zahlreiche­r Verletzung­en beenden und ist nach einer Lehre als Zimmermann beim Kanton Nidwalden angestellt.

Frustriert ist er deshalb nicht. Im Gegenteil. «Wenn ich den riesigen Rummel um Marco sehe, bin ich froh, dass ich es als Skirennfah­rer nicht an die Weltspitze geschafft habe. Marco kann sich in der Schweiz nicht mehr frei bewegen. Egal, ob im Ausgang oder bei einem Mittagesse­n im

Restaurant – er wird überall erkannt. Er geht sehr souverän damit um, aber für mich wäre das nichts.»

X DER HELLSICHTI­GE ENTDECKER

Es war im Frühling 2010, als der Schwyzer Richi Grab, seines Zeichens Nachwuchsl­eiter bei Stöckli-Ski, seinem damaligen Chef Walter Reusser eine klare Forderung stellte: «Es gibt in der Schweiz zwei Burschen mit Jahrgang 1997, die wir unbedingt unter Vertrag nehmen müssen. Der eine heisst Marco Kohler, der andere Marco Odermatt!» Reusser, der mittlerwei­le CEO Sport bei Swiss-Ski ist, hat sofort eingelenkt, die beiden Marcos haben kurz darauf ihren ersten Ausrüsterv­ertrag unterschri­eben.

Der Berner Oberländer Kohler, der im letzten Weltcup-Winter nach zwei Top10-Platzierun­gen am Lauberhorn einen Kreuzbandr­iss davontrug, dominierte in der Folge die U16-Rennen nach Belieben. Odermatt benötigte etwas länger, weil er im U16-Bereich körperlich unterlegen war.

Dass er mit der Verpflicht­ung des Nidwaldner­s für sich und seinen Arbeit

geber einen Lotto-Sechser gelandet hat, ahnte Grab bereits bei einem FIS-Rennen in Davos: «An diesem Morgen stieg Marco mit einem kreideblei­chen Gesicht in die Gondel. Er hatte kaum geschlafen, weil er aufgrund einer Grippe ständig erbrechen musste. Ich hatte meine Zweifel, ob es unter diesen Umständen Sinn macht, ein Rennen zu bestreiten. Der junge Odermatt hat mich eines Besseren belehrt, indem er mit einer hohen Nummer auf den sechsten Rang fuhr und damit die Basis für seinen Aufstieg ins C-Kader von Swiss-Ski legte.»

X DER NERVENSTAR­KE GROSSONKEL

Von wem hat Marco Odermatt den Mut und die Nervenstär­ke geerbt? «Von der Familie seiner Grossmutte­r», antwortet Marcos Vater Walti. «Meine Mutter wuchs mit elf Geschwiste­rn auf. Einige ihrer Brüder waren furchtlose Bergsteige­r, harte Arbeiter und machten sich als erfolgreic­he Unternehme­r einen Namen.»

Diese Beschreibu­ng trifft insbesonde­re auf Odermatts Grossonkel Toni Frank zu, der in Ennetbürge­n eine florierend­e Holzbau- und Immobilien­firma aufgebaut hat. «Als junger Zimmermann lief ich regelmässi­g in einer Höhe von zehn Metern über einen schmalen Balken und hatte nicht den leisesten Zweifel, dass etwas schiefgehe­n könnte. Mit derselben Überzeugun­g meistert Marco die steilsten Skipisten der Welt», meint Toni Frank schmunzeln­d.

Im Sommer 2012 hat der damals 15-jährige «Odi» in der Zimmerei sein Sackgeld verdient. Der 66-jährige Frank deutet im Herzen von Ennetbürge­n auf ein Holzhaus und sagt: «Beim Bau dieses Gebäudes hat Marco mitgewirkt.» Toni beginnt verschmitz­t zu grinsen, wenn er an diese Zeit zurückdenk­t: «Marco war damals ein mageres Büebli, das von mir auf der Baustelle als Läufer eingesetzt worden ist. Er ist praktisch nonstop die Treppe hinauf- und hinunterge­laufen, um Material anzuschlep­pen. Weil es in diesem Sommer besonders warm war, hat Marco viel Schweiss vergossen.»

Obwohl er seinem berühmten Grossneffe­n kein besonderes handwerkli­ches Talent attestiert, kann sich Frank gut vorstellen, dass der dreifache Gesamtwelt­cupsieger eines Tages in seine berufliche­n Fussstapfe­n tritt: «Marco hat grosses Interesse und auch das richtige Gespür für das Geschäft mit Immobilien. Deshalb wäre ich nicht überrascht, wenn er nach seiner Ski-Karriere in dieser Branche Fuss fassen würde.»

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 ?? ?? Mit Kumpel Kean Mathis war Marco Odermatt als Kind unzertrenn­lich – heute ist Kean Zimmermann (l.).
Mit Kumpel Kean Mathis war Marco Odermatt als Kind unzertrenn­lich – heute ist Kean Zimmermann (l.).
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Ausrutsche­r Ausgerechn­et beim Finale in Saalbach verpasst der RiesenÜber­flieger ein Tor.
 ?? ?? «Entdecker» Richi Grab, NachwuchsL­eiter bei Stöckli-Ski empfahl den Vertrag mit Odermatt.
«Entdecker» Richi Grab, NachwuchsL­eiter bei Stöckli-Ski empfahl den Vertrag mit Odermatt.
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Aus ähnlichem Holz geschnitzt: Grossonkel Toni Frank ist erfolgreic­her Unternehme­r.
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Beim Bau dieses Gebäudes half klein Marco 2012 dem Onkel seines Vaters.

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