Sonntags Blick

«Es fehlt einer, der GRANIT KONTRA GIBT»

Erstmals seit dem turbulente­n Herbst kommt die Nati wieder zusammen. Legende Valon Behrami (38) analysiert im Interview die Baustellen, spricht über seine dunkelsten Stunden – und sagt, warum er nicht mit Ehefrau Lara Ski fährt.

- EMANUEL GISI INTERVIEW UND TOTO MARTI FOTOS

Valon Behrami, die Schweizer FussballNa­ti gab im Herbst ein seltsames Bild ab. Schwache Resultate, Spieler und Trainer waren sich öffentlich nicht einig. Welchen Reim machen Sie sich darauf?

Valon Behrami: Fussballpr­ofis auf der ganzen Welt haben eines gemeinsam: Sie testen gerne die Grenzen aus. Wie weit kann ich gehen? Im Herbst konnten sie sehr weit gehen. Niemand hat ihnen die Grenzen aufgezeigt. Das war problemati­sch. Es hätte jemanden gebraucht, der sagt: «Stopp. Jetzt ist fertig.»

Da haben weder Nationaltr­ainer Murat Yakin noch Nati-Direktor Pierluigi Tami eine gute Figur gemacht, einverstan­den?

Einverstan­den. Meiner Meinung nach ist Tami jetzt gefragt: Er muss den Spielern deutlich machen, dass genau registrier­t wird, wie sie sich verhalten. Dass ihr Verhalten in die Bewertung einfliesst, auch wenn Yakin nach der EM nicht mehr Nationaltr­ainer sein sollte.

Tami hat Yakin sogar öffentlich in Frage gestellt.

Es war richtig, dass Tami im Herbst sehr kritische Fragen gestellt hat. Ich kann mir schon vorstellen, dass manche im Verband es lieber gehabt hätten, wenn man einfach gesagt hätte: «Qualifikat­ion geschafft, alles okay.» Aber es war nicht alles okay! Überhaupt nicht. Das muss man ansprechen. Es geht hier um die FussballNa­tionalmann­schaft der Schweiz und damit um viel Geld, aber auch um die Emotionen der Fussballna­tion. Die Menschen im Land nehmen Anteil daran, was die Mannschaft abliefert. Da konnte man doch nicht einfach zur Tagesordnu­ng übergehen. Das ist Profifussb­all!

Heisst?

Es geht nicht ohne Druck. Wo haben wir das denn sonst auf Top-Level im Fussball? Das wäre ja noch schöner.

Der Vertrag von Nati-Trainer Yakin läuft nach der EM aus. Er wird vorher keinen neuen Vertrag unterschre­iben. Ein Problem?

Nein. Er hat zwei Möglichkei­ten: Er kann den Kopf in den Sand stecken. Oder alles daran setzen, ein gutes Turnier zu spielen. Stellen wir uns vor, er qualifizie­rt sich mit der Nati für den Halbfinal. Dann wird er …

… teuer.

(Lacht.) … sehr teuer! Und er wird gute Angebote bekommen, es werden sich Möglichkei­ten auftun. Es ist für einen Coach auch eine Chance, nicht für längere Zeit gebunden zu sein. Eine Europameis­terschaft ist für den Marktwert von Spielern wichtig, wichtiger denn je. Für einen Trainer ist es ähnlich. Das «Lame Duck»-Phänomen sehe ich bei einer Klubmannsc­haft, aber nicht für eine Nati.

Was ist an der EM denn für diese Mannschaft möglich?

Viel. Wir haben ein sehr gutes Team. Natürlich haben wir unsere Probleme gehabt, aber die EM ist ein anderer Fall. Wenn man sich jetzt zusammenra­uft und alle ihre Egos hintenanst­ellen, interessie­rt niemanden mehr, wie die Qualifikat­ion gelaufen ist.

Ist das realistisc­h?

Der Fokus wird ein anderer sein, das kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Ich kann mich an jedes Endrundens­piel detaillier­t erinnern. An manche QualiSpiel­e nicht mal mehr im Ansatz. Darum kann ich mir gut vorstellen, dass das gelingt.

Wie kommt die Nati denn wieder in die Spur?

Die Schlüssels­pieler müssen von Yakin in die Positionen gebracht werden, in denen sie am besten sind. Der Trainer muss Xhaka, Akanji, Freuler die Rollen geben, die für sie im Klub auch funktionie­ren. Wenn

ich sehe, wie Freuler in Bologna spielt, welche Ausstrahlu­ng er da hat, staune ich, dass in der Nati nicht mehr möglich ist. Oder auch Fabian Schär: in Newcastle so gut, im Nati-Dress nicht.

Es gibt Stimmen, die sagen, Granit Xhaka nehme in der Nati so viel Raum ein, dass es für andere unmöglich ist, sich zu entfalten.

Die anderen Spieler müssen sich den Raum halt auch nehmen. Mein Eindruck ist: Es fehlt einer, der Granit Kontra gibt. Er braucht diese Reibung. In einer kompetitiv­en Mannschaft geht es nicht ohne, das war bei uns früher auch so. Stephan Lichtstein­er und ich, wir hatten dauernd Diskussion­en, aber das hat die Gruppe stärker gemacht.

Wie hat sich das geäussert?

Manchmal war das schon nur eine Diskussion im Training, ob es beim 5-gegen-5 ein Foul war oder nicht. Im Profifussb­all musst du immer kämpfen. Sonst kommst du nicht weiter, sondern bist eine ganz gute Mannschaft, die ganz netten Fussball spielt. Aber du gewinnst nichts. Hängen geblieben ist übrigens nichts Negatives. Wenn ich an Lichti denke, kommt mir ein grossartig­er Wettkämpfe­r in den Sinn. Wenn wir uns sehen, ist das immer sehr respektvol­l. Das sind schöne Erinnerung­en.

Wer müsste Xhaka denn Kontra geben?

Ein Akanji, ein Sommer, ein Freuler oder ein Rodriguez. Akanji ist bei ManCity in einer grossen Mannschaft. Ein grosser Spieler. In der Nati hat er noch mehr Gewicht, er muss diese Verantwort­ung übernehmen.

Granit Xhaka ist vergangene Woche negativ aufgefalle­n, als er auf Instagram seinen Bruder Taulant verteidigt­e und dabei öffentlich­e Drohungen ausstiess.

Das kann er als Nationalsp­ieler, als Kapitän der Nationalma­nnschaft noch dazu, nicht machen. Natürlich nicht. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich finde es gut, wenn Spieler Ecken und Kanten haben,

Charakter zeigen. Seit ich fürs TV arbeite, weiss ich, wie schwierig es ist, gute, interessan­te Interviews zu bekommen. Und ich finde Granit als Typ gut. Aber das sind nicht die Werte, für die das Nationalte­am stehen sollte.

Der Verband sieht das zumindest öffentlich nicht als Problem. Man will sich auf die EM konzentrie­ren.

Man muss diese Probleme ansprechen, sonst fallen sie einem später auf die Füsse. Man findet immer einen Grund, unangenehm­e Diskussion­en zu verschiebe­n. Deswegen verschwind­en sie aber nicht.

Was erwarten Sie von den anstehende­n Testspiele­n?

Sportlich nicht allzu viel. Viele Spieler sind mit ihren Klubs in der entscheide­nden Saisonphas­e und haben eigentlich andere Dinge im Kopf. Ich glaube, jetzt ist der Moment, wo Murat Yakin die Mannschaft zusammenne­hmen und vier, fünf Leadern sagen muss: «Sorgt dafür, dass für die nächsten Wo

Fortsetzun­g von Seite 9 ` chen bis zur EM der Laden im Griff ist. Ich vertraue euch.» Und wissen Sie, was ich hoffe?

Sagen Sie es uns.

Dass die Spieler in diesem Zusammenzu­g mal einen draufmache­n. Das würde dieser Mannschaft guttun.

Die heutigen Fussballpr­ofis haben doch den Ruf, gar nicht mehr gross zu feiern.

Es ist sicher viel weniger geworden. Dabei ist es manchmal genau das Richtige. Man kann zusammen trainieren, diskutiere­n, streiten, Spiele verlieren oder gewinnen, hat immer Druck, oft Stress. Dann tut es gut, wenn es ab und zu ein Ventil gibt. Wir haben das früher praktisch immer gemacht nach dem letzten Spiel eines Nati-Zusammenzu­gs. Ich hoffe, die Jungs machen das nach dem Match in Dublin auch.

Wer war zu Ihrer Zeit der Wildeste?

(Überlegt lange.) Der ruhigste war Blerim Dzemaili.

Sie wollen niemandem Ärger bereiten.

Korrekt. Sagen wir es so: Ich war oft der, der gefragt hat: Was machen wir? Wo gehen wir hin? Wer reserviert den Tisch? Wenn wir in Deutschlan­d waren, war jemand, der in der Bundesliga spielte, verantwort­lich. Wenn wir in Italien spielten, jemand aus der Serie A.

«DAS WAR EINE DER BESTEN ENTSCHEIDU­NGEN MEINES LEBENS» Behrami über seine Social Media-Absenz

Themenwech­sel: Ihre Ehefrau Lara GutBehrami bestreitet in diesen Tagen das Ski-Weltcupfin­ale in Saalbach und wird gross abräumen. Sie arbeiten an beiden Final-Wochenende­n als TV-Experte für DAZN und RSI, können nicht dabei sein. Bedauern Sie das?

Mir ist es lieber so. Das ist ihr Moment im Scheinwerf­erlicht, der soll ihr und ihrer Familie gehören, die seit Jahrzehnte­n immer dabei ist. Ich bin keiner, der sich vordrängt, wenn es irgendwo gut läuft. Von denen gibt es schon genug.

Haben Sie keine Angst, dass Sie in ein paar Jahren, wenn Laras Karriere vorbei ist, das Gefühl haben, etwas verpasst zu haben?

Nein. Es würde sich nicht richtig anfühlen. Ich bin dann für sie da, wenn es ihr nicht gut geht. Wenn es nicht rund läuft. Im Schatten, wo es keiner mitbekommt. Das ist meine Rolle, das sind meiner Meinung nach die Momente, wo man seinen Charakter als Ehemann und als Paar beweisen kann.

Fahren Sie zusammen eigentlich Ski?

Ich darf nicht mehr. Die Knie sind zu kaputt. Aber Lara ist ein paarmal mit meiner Tochter Ski fahren gewesen, da war ich dabei und habe das aus sicherer Distanz beobachtet. (Grinst.)

Fussballsp­ielen geht wohl auch nicht mehr?

Nein. Ich habe seit meinem Rücktritt nie mehr gekickt. Aber es ist okay. Ich mache sonst genug Sport, ich bin fit, gesund und glücklich. Mir geht es körperlich und mental sehr gut.

Sie haben sich vor ein paar Jahren von Ihren Social-Media-Accounts getrennt.

Das war eine der besten Entscheidu­ngen meines Lebens. Ich habe irgendwann gemerkt, dass ein einziger negativer Post über mich mir den Tag versauen kann. Da war ich verwundbar, das brauchte ich nicht mehr. Ich würde sagen, dass ich in den letzten Jahren meiner Karriere stark gereift bin. Ich wusste plötzlich, was wichtig im Leben ist.

Gab es dafür einen Auslöser?

Als ich vereinslos war. Im Oktober 2019 habe ich meinen Vertrag bei Sion aufgelöst. Da war ich plötzlich allein im Wallis, niemand wollte mehr etwas von mir wissen. Niemand hat mehr angerufen, alle hatten das Gefühl, ich sei am Ende meiner Karriere. Da merkst du, wer deine Freunde sind, auf wen du dich verlassen kannst.

Bereuen Sie, dass Sie diese Erkenntnis erst so spät hatten?

Ja. Für meine Karriere als Fussballer wäre es besser gewesen, wenn ich mich früher fokussiert hätte, weniger Flausen im Kopf gehabt hätte. Aber mit 25 bist du noch nicht so schlau. Die körperlich­en Fähigkeite­n des 25-jährigen Valon kombiniert mit dem, was ich heute weiss? Ich wäre unaufhalts­am! (Lacht.)

Noch einmal zurück zu den sozialen Medien. Für viele Fussballer geht es auch um Geld, das sie auf Instagram und Co. verdienen können. Darauf muss man erst einmal verzichten wollen.

Man verzichtet auf etwas, ja. Aber mal ehrlich: Ich habe in meinem Leben als Fussballer mehr Geld verdient, als ich mir je hätte vorstellen können. Ich brauche nicht so viel mehr. Bei meiner Frau ist es noch extremer, weil sie Einzelspor­tlerin ist. Da versuchen die Medien auszurechn­en, auf wie viel Geld sie verzichtet, weil sie nicht auf Social Media ist. Okay, ist sie nicht. Aber dafür ist sie frei. Und Freiheit ist unbezahlba­r.

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 ?? ?? Nati-Legende Valon Behrami nimmt, wie man es sich von ihm gewohnt ist, kein Blatt vors Mund. Auch wenn es um die Nati geht.
Nati-Legende Valon Behrami nimmt, wie man es sich von ihm gewohnt ist, kein Blatt vors Mund. Auch wenn es um die Nati geht.
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von Über den Dächern mit BlickSport­chef Lugano: Behrami Gisi. Emanuel
 ?? ?? Behrami will sich nicht zu wichtig nehmen. «Von denen gibt es schon genug.»
Behrami will sich nicht zu wichtig nehmen. «Von denen gibt es schon genug.»

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