4 Titel in einer Saison! Rummenigge sagte am Telefon zu
Selbst die Deutschschweizer
Mythos Servette. Zum Ende des letzten Jahrhunderts hatte der Genfer Fussballklub eine derartige Ausstrahlung, dass ihm verfielen. Der aktuelle Höhenflug weckt die Geschichten um Stars, Triumphe und verrückte Fans aus dem Dornröschenschlaf.
Endlich schlägt Servette wieder grosse Wellen! Zum Beispiel auf dem Times Square in New York. Ein Servette-Fan liess kürzlich auf dem riesigen, öffentlich zugänglichen Bildschirm Kurz-Sequenzen vom Derbysieg gegen Lausanne einspielen. Die beiden Crivelli-Tore und Servette-Jubel für ein paar Augenblicke mitten in der Weltmetropole.
Noch viel bedeutender: Die Genfer erstarken auf dem Rasen als der grosse Herausforderer von YB im Meisterrennen. Der granatrote Glanz längst vergangener Zeiten strahlt nach turbulenten Jahrzehnten wieder. Doch was machte das grosse Servette der 70er und 80er aus?
Vier Trophäen in einer Saison
Heute wartet Servette seit über zwei Jahrzehnten auf einen Titel, seit dem Cupsieg 2001 und der letzten Meisterschaft 1999. Früher hingegen hagelte es sie zeitweise. 1978/79 gelingt den Genfern eine Saison mit vier Titeln! Vor dem Liga-Start im Sommer setzt sich Servette im französisch-schweizerischen Alpencup gegen Nizza, Strassburg und im Final gegen Rivale Lausanne durch.
Im Frühjahr darauf holt das Team um die Stars Umberto Barberis, Hansjörg «Joko» Pfister, Piet Hamberg, Goalie Karl Engel und Trainer Peter Pazmandy den Ligacup im Penaltyschiessen gegen Basel. Dann entscheidet es die Meisterschaft für sich. Und als Krönung am 20. Juni 1979 den Cup im Wiederholungsspiel des Finals im Wankdorf gegen YB.
Acht Jahre später. Auszug aus einer Blick-Story vom 9. September 1987: «Gestern klingelte bei Servette-Präsident Carlo Lavizzari in Genf das Telefon. ‹Herr Präsident, ich komme nach Genf!›, erklärte Karl-Heinz Rummenigge.» Und in der Tat: Der damals erst 31-jährige Weltstar von Bayern München kommt nach drei Saisons bei Inter Mailand in die damals fussballerisch belächelte Schweiz, die seit 1966 nie mehr an einer WM war und an einer EM noch gar nie teilgenommen hat.
Torschützenkönig Rummenigge
Rummenigge (heute 68) zieht in eine Villa in Vésenaz am Genfersee und glänzt im legendären Trikot mit Sponsor Placette in Schweizer Stadien. 1989 wird er mit 24 Treffern vor Kubilay Türkyilmaz und Dario Zuffi (beide 19) Torschützenkönig der damaligen NLA. Dann beendet er seine Karriere und zieht zurück nach München. Servette lockt neben ihm auch Stars wie den späteren Rekordtransfer Sonny Anderson (1994 für 8 Millionen Franken von Servette zu Monaco, damals eine Wahnsinns-Summe) oder John Eriksen an.
Wie war das möglich? Die «Schweizer Illustrierte» schrieb am 4. Juni 1979 über die Servette-Führung: «Und so ist im erweiterten Komitee auch fast alles dabei, was in Genf Rang und Namen hat. Star
anwälte, Gross-Restaurateure, GrossGrundbesitzer, Männer, mit den Superreichen per Du, Rolls-Royce- und Ferrari-Fahrer. So war es für Roger Cohannier (Präsident, der den Klub nach kaufmännischen Prinzipien zu führen begann, Anm. d. Red.) auch relativ einfach, seit 1975 mehr als ein Dutzend Schweizer Fussballer einzukaufen: Engel, Kudi Müller, Bizzini, Valentini, Trinchero, Pfister, Peterhans, Elia.» Und so weiter.
Die Millionarios
Servette und GC sind trotz der Dominanz von Basel und Zürich in den 60er- und 70er-Jahren noch immer die erfolgreichsten Klubs der Schweiz. Diese Rivalität erlebt zu Beginn der 80er-Jahre eine Hochphase, die in einigen brisanten Duellen gipfelt.
Hier das von der Genfer Haute Société finanzierte Servette mit so genialen Spielern wie Barberis, Lucien Favre, Michel Decastel oder Erich Burgener. Weshalb der Klub in der Ära Lavizzari den Übernamen «Millionarios» erhält.
Dort der von der Zürcher Hochfinanz alimentierte Nobelklub GC mit Roger Berbig, Heinz Hermann oder Raimondo Ponte. Die Spieler beider Teams stellen auch das Gros der Nati. Und nicht wenige spielen für beide Klubs: «Joko» Pfister, Heinz Hermann, Alain Geiger, Andy Egli, Marco Schällibaum oder Blick-Experte Kubi.
Die Erfolge der späten 60er- und frühen 80er-Jahre sorgen dafür, dass auch auf der anderen Seite des Röstigrabens die Fanbasis wächst. Deutschschweizer pendeln regelmässig an die Heimspiele im Stade des Charmilles. Da nach Abendspielen keine Züge mehr in die Ostschweiz fuhren, übernachtete der eine oder andere Fan nach Absprache mit den Klubverantwortlichen im Stadion.
Nach einem Feierabend-Bier in der Stadt gewährte der Pförtner den Nachtschwärmern zu später Stunde wieder Einlass, sodass man sich auf einem Badetuch auf den Holzbänken oben auf der Haupttribüne hinlegen konnte, ehe es am Morgen wieder zurück in die Heimat ging.
Es gibt sie noch, die Deutschschweizer Servette-Verrückten
Der Innerschweizer Daniel Reichmuth pflegt in Ibach SZ ein riesiges Archiv mit früheren Servette-Trikots, Auflistungen von Spielern mit Legendenstatus, gesammelten Geschichten, die er auf seiner Website «Super-Servette» den Grenat-Anhängern seit Jahrzehnten zugänglich macht.
John Appenzeller ist Präsident der Fangruppierung «Deutschschweiz 86», die aus den Glanzzeiten entsprungen und im Stade de Genève noch immer auf der Haupttribüne anzutreffen ist. Früher kamen Stars wie Sinval, Eriksen und Hasler zu Besuch in den Fanbus. Daneben halten auch die «Maroons» in der Kurve dem Klub die Treue, eine noch grössere Gruppierung aus der Deutschschweiz.
Bei Appenzeller war es wie bei so vielen die Farbe, das spezielle Granat-, Kastanien oder Bordeauxrot, das ihn als Vierjährigen zum Servette-Liebhaber machte. Seit 1988 besitzt er ununterbrochen eine Saisonkarte. Als ihn Blick erreicht, hat er gerade die lange Heimfahrt aus Pilsen hinter sich. Trotz bitterem Ausscheiden im Conference-League-Achtelfinal würdigt er die solide Leistung von Servette. Seine granatfarbene Treue hält selbstverständlich an.