Sonntags Blick

4 Titel in einer Saison! Rummenigge sagte am Telefon zu

Selbst die Deutschsch­weizer

- SIMON STRIMER UND CHRISTIAN FINKBEINER

Mythos Servette. Zum Ende des letzten Jahrhunder­ts hatte der Genfer Fussballkl­ub eine derartige Ausstrahlu­ng, dass ihm verfielen. Der aktuelle Höhenflug weckt die Geschichte­n um Stars, Triumphe und verrückte Fans aus dem Dornrösche­nschlaf.

Endlich schlägt Servette wieder grosse Wellen! Zum Beispiel auf dem Times Square in New York. Ein Servette-Fan liess kürzlich auf dem riesigen, öffentlich zugänglich­en Bildschirm Kurz-Sequenzen vom Derbysieg gegen Lausanne einspielen. Die beiden Crivelli-Tore und Servette-Jubel für ein paar Augenblick­e mitten in der Weltmetrop­ole.

Noch viel bedeutende­r: Die Genfer erstarken auf dem Rasen als der grosse Herausford­erer von YB im Meisterren­nen. Der granatrote Glanz längst vergangene­r Zeiten strahlt nach turbulente­n Jahrzehnte­n wieder. Doch was machte das grosse Servette der 70er und 80er aus?

Vier Trophäen in einer Saison

Heute wartet Servette seit über zwei Jahrzehnte­n auf einen Titel, seit dem Cupsieg 2001 und der letzten Meistersch­aft 1999. Früher hingegen hagelte es sie zeitweise. 1978/79 gelingt den Genfern eine Saison mit vier Titeln! Vor dem Liga-Start im Sommer setzt sich Servette im französisc­h-schweizeri­schen Alpencup gegen Nizza, Strassburg und im Final gegen Rivale Lausanne durch.

Im Frühjahr darauf holt das Team um die Stars Umberto Barberis, Hansjörg «Joko» Pfister, Piet Hamberg, Goalie Karl Engel und Trainer Peter Pazmandy den Ligacup im Penaltysch­iessen gegen Basel. Dann entscheide­t es die Meistersch­aft für sich. Und als Krönung am 20. Juni 1979 den Cup im Wiederholu­ngsspiel des Finals im Wankdorf gegen YB.

Acht Jahre später. Auszug aus einer Blick-Story vom 9. September 1987: «Gestern klingelte bei Servette-Präsident Carlo Lavizzari in Genf das Telefon. ‹Herr Präsident, ich komme nach Genf!›, erklärte Karl-Heinz Rummenigge.» Und in der Tat: Der damals erst 31-jährige Weltstar von Bayern München kommt nach drei Saisons bei Inter Mailand in die damals fussballer­isch belächelte Schweiz, die seit 1966 nie mehr an einer WM war und an einer EM noch gar nie teilgenomm­en hat.

Torschütze­nkönig Rummenigge

Rummenigge (heute 68) zieht in eine Villa in Vésenaz am Genfersee und glänzt im legendären Trikot mit Sponsor Placette in Schweizer Stadien. 1989 wird er mit 24 Treffern vor Kubilay Türkyilmaz und Dario Zuffi (beide 19) Torschütze­nkönig der damaligen NLA. Dann beendet er seine Karriere und zieht zurück nach München. Servette lockt neben ihm auch Stars wie den späteren Rekordtran­sfer Sonny Anderson (1994 für 8 Millionen Franken von Servette zu Monaco, damals eine Wahnsinns-Summe) oder John Eriksen an.

Wie war das möglich? Die «Schweizer Illustrier­te» schrieb am 4. Juni 1979 über die Servette-Führung: «Und so ist im erweiterte­n Komitee auch fast alles dabei, was in Genf Rang und Namen hat. Star

anwälte, Gross-Restaurate­ure, GrossGrund­besitzer, Männer, mit den Superreich­en per Du, Rolls-Royce- und Ferrari-Fahrer. So war es für Roger Cohannier (Präsident, der den Klub nach kaufmännis­chen Prinzipien zu führen begann, Anm. d. Red.) auch relativ einfach, seit 1975 mehr als ein Dutzend Schweizer Fussballer einzukaufe­n: Engel, Kudi Müller, Bizzini, Valentini, Trinchero, Pfister, Peterhans, Elia.» Und so weiter.

Die Millionari­os

Servette und GC sind trotz der Dominanz von Basel und Zürich in den 60er- und 70er-Jahren noch immer die erfolgreic­hsten Klubs der Schweiz. Diese Rivalität erlebt zu Beginn der 80er-Jahre eine Hochphase, die in einigen brisanten Duellen gipfelt.

Hier das von der Genfer Haute Société finanziert­e Servette mit so genialen Spielern wie Barberis, Lucien Favre, Michel Decastel oder Erich Burgener. Weshalb der Klub in der Ära Lavizzari den Übernamen «Millionari­os» erhält.

Dort der von der Zürcher Hochfinanz alimentier­te Nobelklub GC mit Roger Berbig, Heinz Hermann oder Raimondo Ponte. Die Spieler beider Teams stellen auch das Gros der Nati. Und nicht wenige spielen für beide Klubs: «Joko» Pfister, Heinz Hermann, Alain Geiger, Andy Egli, Marco Schällibau­m oder Blick-Experte Kubi.

Die Erfolge der späten 60er- und frühen 80er-Jahre sorgen dafür, dass auch auf der anderen Seite des Röstigrabe­ns die Fanbasis wächst. Deutschsch­weizer pendeln regelmässi­g an die Heimspiele im Stade des Charmilles. Da nach Abendspiel­en keine Züge mehr in die Ostschweiz fuhren, übernachte­te der eine oder andere Fan nach Absprache mit den Klubverant­wortlichen im Stadion.

Nach einem Feierabend-Bier in der Stadt gewährte der Pförtner den Nachtschwä­rmern zu später Stunde wieder Einlass, sodass man sich auf einem Badetuch auf den Holzbänken oben auf der Haupttribü­ne hinlegen konnte, ehe es am Morgen wieder zurück in die Heimat ging.

Es gibt sie noch, die Deutschsch­weizer Servette-Verrückten

Der Innerschwe­izer Daniel Reichmuth pflegt in Ibach SZ ein riesiges Archiv mit früheren Servette-Trikots, Auflistung­en von Spielern mit Legendenst­atus, gesammelte­n Geschichte­n, die er auf seiner Website «Super-Servette» den Grenat-Anhängern seit Jahrzehnte­n zugänglich macht.

John Appenzelle­r ist Präsident der Fangruppie­rung «Deutschsch­weiz 86», die aus den Glanzzeite­n entsprunge­n und im Stade de Genève noch immer auf der Haupttribü­ne anzutreffe­n ist. Früher kamen Stars wie Sinval, Eriksen und Hasler zu Besuch in den Fanbus. Daneben halten auch die «Maroons» in der Kurve dem Klub die Treue, eine noch grössere Gruppierun­g aus der Deutschsch­weiz.

Bei Appenzelle­r war es wie bei so vielen die Farbe, das spezielle Granat-, Kastanien oder Bordeauxro­t, das ihn als Vierjährig­en zum Servette-Liebhaber machte. Seit 1988 besitzt er ununterbro­chen eine Saisonkart­e. Als ihn Blick erreicht, hat er gerade die lange Heimfahrt aus Pilsen hinter sich. Trotz bitterem Ausscheide­n im Conference-League-Achtelfina­l würdigt er die solide Leistung von Servette. Seine granatfarb­ene Treue hält selbstvers­tändlich an.

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Der Deutschsch­weizer Servette-ÜberFan John Appenzelle­r (l.) mit Star Enzo Crivelli.
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1 2 1 Weltstar Kalle Rummenigge fordert 1988 im Servette-Dress GC-Legende Andy Egli. 2 Cupsieger wird Servette auch 1979 mit Umberto Barberis, hier mit Sohn Sébastien. 3 Zwei Millionari­osSupersta­rs: Heinz Hermann (l.) und Lucien Favre. 4 Den letzten Titel holt Servette 2001: Cupsieg gegen Yverdon mit Alex Frei, Pédat, Lonfat und Co.
 ?? ?? Carlo Lavizzari holt Weltstar Rummenigge nach Genf und Servette nennt man Millionari­os.
Carlo Lavizzari holt Weltstar Rummenigge nach Genf und Servette nennt man Millionari­os.
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