Sonntags Blick

«Tabletten oder Spritzen – ich habe alles fürs Spielen getan»

Provokateu­r, Reizfigur – und dreifacher Meister. Thomas Rüfenacht war bekannt für seine Emotionen. Der 39-Jährige über die Playoffs, seine Lieblingsg­egner für Trashtalk und seine Verletzung­en.

- NICOLE VANDENBROU­CK INTERVIEW UND TOTO MARTI FOTOS

Thomas Rüfenacht, Sie bekamen als Spieler viele Bezeichnun­gen: Provokateu­r, Reizfigur, Bösewicht, Strafenkön­ig, Trashtalk-Meister, Hitzkopf. Welche hat Ihnen am besten gepasst? Thomas Rüfenacht: Provokateu­r oder Reizfigur. Ich habe einfach nie lockergela­ssen. Als ich aus Nordamerik­a kam, wollte ich allen beweisen, dass ich es schaffen kann. In jedem Spiel wollte ich zeigen, was ich kann, mit Härte, Unberechen­barkeit und Entertainm­ent. Ich wollte das Gesamtpake­t bieten und ein Spieler sein, der unverzicht­bar ist.

Schon in den USA als Junior?

Ja, an der Highschool. Da kamen alle Freunde an die Spiele und heizten uns noch an. Hockey ist einfach ein emotionsge­ladenes Spiel. Es geht um Ehrlichkei­t und Respekt. Das ist fasziniere­nd. Aussensteh­ende denken vielleicht, dass Spieler in manchen Szenen überreagie­ren. Dabei steckt hinter den meisten Scharmütze­ln eine längere Geschichte über mehrere Duelle. Wie zum Beispiel damals bei Maxim Lapierre und mir.

Das können Sie jetzt auflösen. Was war bei Ihrem Rencontre 2017 mit dem damaligen Lugano-Kanadier los?

Das fing alles viel früher an. Ich wollte 2014 eigentlich in Lugano bleiben, wir fanden uns aber nicht, und ich wechselte nach Bern. Das hat mich immer getriggert. 2016 gewannen wir den Final gegen Lugano, 2017 wollte ich auch den Halbfinal unter keinen Umständen verlieren. Ich versuchte, diese Emotionen zu meinen Gunsten zu nutzen. Da kam ein Spieler mit der Art von Lapierre natürlich wie gerufen. Diese Geschichte zwischen uns hat sich aufgebaut. Auch gegen Chiesa und Walker goss ich immer wieder Öl ins Feuer. Gewisse Spieler waren auf meiner Liste.

Ihre Liste interessie­rt mich natürlich.

Als ich für Zug spielte, waren es die Wieser-Brüder beim HCD. Mal war es Biels Nüssli. Es sind stetige Nebenschau­plätze. Die weckten das Feuer in mir, um in jedem Spiel Vollgas zu geben. Ohne das wäre ich nicht der gleiche Spieler gewesen und hätte ich nicht die zusätzlich­en zehn Prozent aus mir heraushole­n können. Manchmal haben Fans vielleicht gedacht, jetzt hat es ihm wieder den «Nuggi» rausgehaue­n, dabei steckte immer viel mehr dahinter. Ich hatte viele solcher Storys laufen, darum haben mich die Mitspieler und eigenen Fans wohl immer geliebt.

Bei wem rieben Sie sich besonders die Hände?

Schon bei Lapierre, ihm konnte ich damals unsere Berner Erfolgswel­le so gut unter die Nase reiben. Oder auch bei meinem guten Kollegen Timo Helbling. Wir hatten einige Kämpfe miteinande­r. In meinem ersten Jahr in Lugano hat er mich als Zug-Verteidige­r mal fast k.o. geschlagen. Eine gesunde Härte gehört auf dem Eis dazu. Aber weg vom Eis konnte ich das vergessen – und die Freundscha­ften dauern an.

Wie hat man es geschafft, Sie aus der Reserve zu locken?

Wenn man mir wehgetan hat. Mit Stockschlä­gen auf die Handgelenk­e oder Crosscheck­s in die Rippen. Dann wurde ich richtig hässig. Oder wenn sich ein Teamkolleg­e meines Gegners in meine Schlägerei eingemisch­t hat, wie es Johann Morant gerne tat. Sobald einer diese unter uns Spielern ungeschrie­benen Gesetze gebrochen hat, ärgerte mich das.

Die ungeschrie­benen Gesetze lauten?

Nicht weiter auf ihn einschlage­n, wenn ein Spieler am Boden liegt. Nicht die Handschuhe fallen lassen, wenn es der andere wirklich nicht möchte. Sich nicht in eine laufende Schlägerei einmischen. Und sich nicht fallen lassen. Bei Schwalben bin ich durchgedre­ht. Erst recht, wenn die Schiris darauf reingefall­en sind oder wir ein Tor kassierten im Boxplay. Es mag vielleicht «oldschool» oder nordamerik­anisch klingen, aber die Spieler regeln ihre Angelegenh­eiten auf dem Eis immer selbst. Diese Ehrlichkei­t im Hockey ist schön. Dafür brauchts ein paar taffe Spieler, nicht noch mehr Regeln.

Sie haben sich diesen Ruf erarbeitet. Gestört hat er Sie nie?

Nein, ich habe einfach immer alles dafür gemacht, um Spiele zu gewinnen. Wenn das dann mal Provoziere­n war, so war es das halt. Mittlerwei­le sieht man es ein bisschen weniger. Es fehlen Spieler wie Lapierre.

Haben Sie in der Öffentlich­keit nie unter Ihrem Ruf gelitten?

Nein. Beim Einkaufen hat mich nie jemand schräg angemacht oder so. In gegnerisch­en Stadien war das schon anders. Da hat man oft versucht, mich anzuspucke­n. Schlimm fand ich auch, wenn mir kleine Kinder den Stinkefing­er gezeigt haben. Da hoffte ich jeweils, dass ihnen die Eltern sagen würden, dass Spieler auch Menschen sind.

Welche Playoff-Erinnerung löst bei Ihnen immer Gänsehaut aus?

Der Playoff-Run 2016, der mit meinem ersten Meistertit­el endete. Jeder meiner Titel hat seine eigene Geschichte. Die von 2019 war eine emotionale. Mein Vater war damals schwer krank. Ich flog kurz nach dem Halbfinal nach Hause, um mich von ihm zu verabschie­den. Deshalb verpasste ich das erste FinalDuell. Nur meine Mitspieler wussten Bescheid, und sie unterstütz­ten mich. Nicht viele Spieler hätten das so gemacht, wären einfach wieder Hockey spielen gegangen. Aber es war sein Wunsch. Er starb eine Woche später.

Ihre schmerzhaf­teste Erinnerung?

Im Olympia-Jahr 2018 hätten wir eigentlich ein Team für den Titel gehabt. Doch alle Spieler waren angeschlag­en. Ich kämpfte mit Hirnerschü­tterungen. Wir verloren dann den Halbfinal gegen Zürich und verpassten den TitelHattr­ick. 2013 spielte ich mit einem gerissenen Innenband, spritzte mich für die Spiele fit und konnte am nächsten Tag kaum laufen.

Die Härte, trotz Verletzung­en zu spielen, wird praktisch vorausgese­tzt. Wie hielten Sie das?

Es stand für mich immer ausser Frage. Ich habe alles dafür getan, um spielen zu können. Ob mit Tabletten oder Spritzen. Manchmal wars schon crazy.

Warum ist das so selbstvers­tändlich?

Nur wenn man so aufopferun­gsvolle Typen im Team hat, kann man gewinnen. Wenn man wegen jedem Wehwehchen pausieren muss, sind plötzlich nur noch drei Linien übrig. In den Playoffs gehts manchmal nur so. Es braucht diese Krieger, die bereit sind, fürs Team zu leiden. Gebrochene Rippen oder ein kaputter Fuss nach einem geblockten Schuss? Egal. Man macht es fürs Team und den «Chübel».

Wie nehmen Sie heute Ihren Körper wahr?

Weich (lacht). Ich jogge noch ein bisschen und stemme ein paar Gewichte. Dem Knie gehts trotz der langjährig­en Belastung und nach so vielen Operatione­n wieder gut. Wenn ich meine Verletzung­sliste durchgehe, muss ich sagen: Dafür gehts mir ziemlich gut – ich kann froh sein.

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Rüfenacht geniesst das gute, ehrliche, harte, aber faire Playoff-Hockey jetzt als Zuschauer.
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