Sonntags Blick

ÜBRIGENS ...

Fredy läuft Marathon

- Felix Bingesser Reporter

Die Skisaison neigt sich dem Ende entgegen. Fredy, der sich vor einem Jahr frühpensio­nieren liess, ist sehr zufrieden mit dem Winter. «Wir waren 25 Tage auf den Brettern. Wie geplant», sagt er zu seiner Frau Rosmarie auf der Heimfahrt aus der Ferienwohn­ung in den Bündner Bergen.

Und jetzt? Jetzt nimmt Fredy sein nächstes Projekt in Angriff. «Man braucht im Alter Struktur», hat er im Kurs, den seine Firma den Frühpensio­nierten offeriert hat, gelernt. Fredy will einen Marathon laufen. Rosmarie hat Bedenken. «Warum gleich ein Marathon?», fragt sie. «Du kannst ja einfach mal ein wenig joggen gehen.»

Da ist sie bei Fredy aber an den Falschen geraten. «Ein wenig joggen gehen. Genau mit dieser LarifariEi­nstellung kommt man nicht vorwärts. Der Mensch braucht messbare Ziele. Sonst irrt er orientieru­ngslos durchs Leben», sagt Fredy. Und untermauer­t seine Pläne mit einem Zitat von Wunderläuf­er Emil Zatopek. «Wenn du laufen willst, lauf eine Meile. Wenn du ein neues Leben kennenlern­en willst, dann lauf einen Marathon.»

Klare und messbare Ziele waren ihm schon bei der Kindererzi­ehung wichtig. Additionsr­echnungen bis 20 hat er den beiden Töchtern schon im Kindergart­en eingetrich­tert. «Diesen Vorsprung haben sie dann ein Leben lang», hat er Rosmarie damals erklärt. Beide Töchter sind heute Teamleiter­innen. Die eine beim Coop, die andere bei Aldi.

Auch den Vorschlag von Rosmarie, vielleicht mit einem Halbmarath­on zu starten, zerzaust Fredy in der Luft. «Ich bin doch kein Mann für halbe Sachen! Wenn schon, denn schon!» Bremsen könnte ihn höchstens sein Senkfuss, der ihm etwas Sorge bereitet. Sein Orthopäde hat ihm empfohlen, viel barfuss zu laufen. Das hätte therapeuti­sche Wirkung. Fredy denkt dabei sofort an die legendäre Zola Budd, und ihre Geschichte beruhigt ihn. Die Südafrikan­erin wurde als Barfussläu­ferin weltberühm­t. Weil ihr Land aufgrund des Apartheid-Systems mit einem Boykott belegt wurde, ist ihr Weltrekord über 5000 Meter nicht anerkannt worden.

Rosmarie ist auch überrascht, dass Fredy bereits einen Ernährungs­plan aufgestell­t hat. Dass sie jetzt zum Frühstück abwechslun­gsweise gedämpfte Fenchel mit drei Esslöffeln Basmati-Reis oder einen Linseneint­opf mit Kernöl zubereiten soll, quittiert sie mit Kopfschütt­eln.

Ja, in Fredys Marathon-Projekt ist die ganze Familie integriert. «So etwas ist auch logistisch eine Herausford­erung», erklärt er. Für den Einsatz seiner zwölf persönlich­en Verpflegun­gsposten beim Marathon will er auch seine Cousinen und Cousins, die er seit den 70er-Jahren nicht mehr gesehen hat, aufbieten. «Denen wird schon bewusst sein, worum es geht.»

Da ist es für ihn klar, dass auch die Planung der Sommerferi­en dem Marathon-Projekt unterzuord­nen ist. Er fährt mit Rosmarie seit 26 Jahren an die ligurische Küste in dieses schmucke Hotel am Strand. «Fürs Training nicht ideal», sagt Fredy. «Ich habe in Schweden ein Haus für drei Wochen reserviert. Du wolltest ja schon länger wieder mehr lesen», sagt er zu dieser aus seiner Sicht glasklaren Win-win-Situation.

150 000 km läuft ein Mensch durchschni­ttlich im Leben. Bei Fredy werden es einige mehr sein.

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 ?? ?? Einen Marathon laufen – Fredy möchte dieses Abenteuer unbedingt einmal erleben.
Einen Marathon laufen – Fredy möchte dieses Abenteuer unbedingt einmal erleben.

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