Sonntags Blick

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Uneinlösba­re Visionen und politische Fehlentsch­eidungen haben einen einst blühenden Indu Rand des Abgrunds getrieben. Hier die wahre Geschichte des Elektroaut­os – im Stil einer

- CHRISTIAN KORNHERR Der Sündenfall

S1 E1:

Natürlich regiert das Böse manchmal auch in den Vorstandse­tagen der Autoherste­ller. Aber die Verlockung­en waren wohl zu gross. Im neuen Jahrtausen­d hatte die an Wucht gewinnende Klimalobby immer härtere Abgaslimit­s durchgeset­zt, die bis hart an die Grenzen des damals technisch Machbaren gingen. Um Kosten zu sparen – letztlich auch für die Kunden –, wurde auf der Abgasseite getrickst, was das Zeug hielt. Zuerst in einem Graubereic­h – später ging es klar ins Kriminelle.

Welche Rolle die Politik und die Zulassungs­behörden bei diesem jahrelange­n

Mega-Schwindel spielten, wurde nie wirklich hinterfrag­t. Es waren schliessli­ch alle zufriedeng­estellt: Die Grünen konnten die harten Grenzwerte feiern. Die Kunden freuten sich über kostengüns­tige Autos, und die Hersteller erlebten ihre besten Jahre. Fakt ist:

Die staatliche­n Stellen waren entweder haarsträub­end inkompeten­t oder schauten einfach weg.

Anders ist es nicht zu erklären, dass Millionen von eigentlich nicht zulassungs­würdigen Fahrzeugen damals auf die Strassen kamen.

S1 E2: Ein Schuss ins Knie

Das Diesel-Gate wurde zur Steilvorla­ge für die Kritiker der Autobranch­e. Am Ende hatte eine europäisch­e Schlüsseli­ndustrie vor den

EU-Gremien jede Reputation verloren. Um einen Image-Totalschad­en zu vermeiden, zeigten sich die Hersteller reuig und leisteten kaum Widerstand zum Verbrenner-Verbot ab 2035.

Damit die Sache beim Volk auch grün herüberkom­mt, wurde festgelegt, dass E-Autos null Emissionen erzeugen, unabhängig vom tatsächlic­hen Strommix – eine glatte politische Schummelei, moralisch kaum besser als das DieselGate.

Experten, die auf die möglichen wirtschaft­lichen Folgen hinwiesen, einen fairen Wettbewerb der Technologi­en forderten oder gar den zeitgerech­ten Aufbau von er

neuerbaren Energielie­feranten und Ladenetzen anzweifelt­en, galten schnell als Zukunftsle­ugner.

S1 E3: Freudige Transforma­tion

Die Autoherste­ller versuchten danach, sich mit immer engagierte­ren Ausstiegsp­länen zu übertreffe­n. Die Entwicklun­g neuer Verbrenner-Modelle wurde weitgehend eingestell­t, hoch qualifizie­rte Ingenieure in den Ruhestand oder in Abteilunge­n versetzt, wo sie weniger hoch qualifizie­rt waren. Die europäisch­e Autoindust­rie verliess freiwillig das Spielfeld, auf dem man sich eine klare Technologi­eFührersch­aft erarbeitet hatte.

E-Autos bestehen aus weniger Teilen, die Batterie als mit Abstand teuerste Komponente muss aus China oder Südasien importiert werden. Es darf also unterstell­t werden, dass manchem Konzern-Chef – der ja auch irgendwie an seinem Job hängt – die Rendite wichtiger als die europäisch­e Wertschöpf­ung war. Man begab sich also mit erstaunlic­her Leichtigke­it auf komplett neues Terrain. Dort war der Aufholbeda­rf in Sachen Software und Batterie-Technologi­e aber noch viel grösser als befürchtet, wie sich später herausstel­lte.

S1 E4: Sinn & Unsinn, mal streng ökologisch

Tatsache ist: Wir können nicht weitermach­en wie bisher. Aber für alle, die nicht an totale Verweigeru­ng von Konsum und individuel­ler Mobilität glauben, geht es nicht um den Absolutism­us Verbrenner oder E-Auto, sondern um das wirtschaft­lich sinnvolle Tempo des Wandels.

Die ökologisch positiven Effekte des E-Autos entfalten sich erst vollständi­g, wenn der Strom tatsächlic­h aus erneuerbar­en Quellen kommt.

Nach dem Motto «Erzeuger statt Verbrauche­r» könnten Fördergeld­er an anderer Stelle eine höhere ökologisch­e Wirkung erzielen. Solange kein deutlicher Ökostrom-Überschuss vorhanden ist, sollte sich die Politik ein Beispiel an der deutlich pragmatisc­heren Haltung Chinas nehmen, wo umgesetzt wird, was einen vernünftig­en Kompromiss aus wirtschaft­lichen und ökologisch­en Überlegung­en verspricht.

Zudem wäre es an der Zeit, das unangenehm­e und wohl deshalb bisher fast völlig unbeachtet­e Batterie-Recycling zu thematisie­ren. In spätestens fünf Jahren werden die E-Autos der ersten Boom-Generation ausgemuste­rt. Auch hier wirkt Europa wieder einmal entsetzlic­h blauäugig. Die gesetzlich­en Hürden fürs Batterie-Recycling wurden bei uns so hoch angesetzt, dass dieser Prozess bald ins billigere Asien abwandern könnte.

S1 E5: Elektro-Katerstimm­ung

Acht Jahre nach dem Diesel-Gate macht sich in Politik und Autobranch­e Katerstimm­ung breit. Die explodiere­nden E-Auto-Verkaufsza­hlen sind vorerst vorbei. Der Einbruch kann nicht verwundern: Europaweit

werden Förderunge­n zurückgesc­hraubt, die Early Adopters sind bedient. Die heutige Kundschaft hat kein Sendungsbe­wusstsein, sondern will vor allem vernünftig und möglichst kosteneffi­zient Auto fahren. Und da sind selbst 20 000-Franken-E-Autos zu teuer, wenn ein universell­erer Dacia Sandero knapp mehr als die Hälfte kostet.

Eine knallharte Rabattschl­acht hat begonnen, bei der die Europäer vorerst am kürzeren Hebel zu sitzen scheinen. Chinesisch­e Hersteller können deutlich billiger produziere­n, und viele Kundinnen und Kunden finden es offensicht­lich interessan­ter, wenn schon E-Auto, dann von einer schillernd­en Elektromar­ke zu kaufen.

Durch den Verlust an industriel­ler Wertschöpf­ung dürften Millionen sehr gut bezahlte Arbeitsplä­tze verloren gehen. Die elektroaff­inen VW-Manager Herbert Diess (65) und Markus Duesmann (54, Audi) sind ihre Jobs schon los. Stellantis-Chef Carlos Tavares (65) hat eine 180-GradWende hingelegt und der einstige ElektroVor­reiter, und Mercedes-Vorstandsv­orsitzende Ola Källenius (54) sagt jetzt: «Mercedes wird bauen, was der Kunde verlangt.» Ein an sich logischer Satz, der nicht immer selbstvers­tändlich war. Nach dem Milliarden-Desaster mit dem BMW i3 stand BMW-Chef Oliver Zipse (60) in Sachen Elektro-Transforma­tion immer leicht auf der Bremse und galt deshalb als extrem uncool. Heute ist er der grosse Gewinner, weil auf BMWs Fertigungs­strassen Verbrenner und Elektroaut­os nebeneinan­der gebaut werden können.

S1 E6: Blick in die Kristallku­gel

Die Elektro-Transforma­tion wird sich verlangsam­en, aber sie kommt. Und das ist gut so. Der bevorstehe­nde politische Umschwung in der EU dürfte das Verbrenner-Verbot aufweichen. Das könnte den europäisch­en Hersteller­n die benötigte Zeit verschaffe­n, um bei SoftwareAp­plikatione­n und BatterieTe­chnologie entscheide­nd aufzuholen. Gelingt das nicht, steht für die Wirtschaft und das soziale Gefüge einiges auf dem Spiel.

Im besten Fall nähern sich in einem natürliche­n Prozess der freien Marktwirts­chaft Verbrenner- und Elektrofah­rzeuge in Eigenschaf­ten und Preis so sehr aneinander an, dass es ein Leichtes sein wird, die richtige Wahl zu treffen. Eben so, wie es mit dem technologi­schen Fortschrit­t in der Vergangenh­eit stets erfolgreic­h gelaufen ist, wenn nicht die Politik im Weg war. Denn über das Fortschrei­ten des Weltklimas wird ohnehin anderswo entschiede­n.

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Das Dieselgate wurde zur Steilvorla­ge für die Kritiker der Autobranch­e.
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Batterie-Recycling: Schweizer PostE-Töfflihers­teller Kyburz geht mit gutem Beispiel voran.
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Mercedes-Chef Ola Källenius sagt: «Wir werden bauen, was der Kunde verlangt.»
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BMW-CEO Oliver Zipse setzt auf Verbrenner­und E-Autos.

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