Was kann Opels blauer Blitz?
In nur vier Jahren sollen alle Opel-Modelle rein elektrisch unterwegs sein – dank geteilten Antrieben des Mutterkonzerns Stellantis. Wie gut sind die Opel-Stromer heute schon? Das soll ein Dauertest mit dem Astra Electric klären.
Elektromobilität macht die Autowelt eintönig. Zumindest könnte man das erwarten. Denn weil sich bei vielen Herstellern das Baukasten-Prinzip durchgesetzt hat, gleichen sich ähnlich positionierte Modelle unterschiedlicher Marken immer deutlicher, wenn sie aus dem gleichen Stall kommen. Besonders auffällig ist das beim Stellantis-Konzern.
Der hat bei 14 Marken auch Opel unter seinen Fittichen und die deutsche Marke zwischen französischen und italienischen Schwestern einsortiert. Fiat 600e, Jeep Avenger, Peugeot E-308, Citroën ë-C4 und wohl auch der kommende Alfa Romeo Milano: Unter all diesen Stellantis-Stromern steckt die gleiche Antriebsplattform – auch unter Opels Astra Electric. Ein Elektromotor wirkt mit 156 PS (115 kW) auf die Vorderachse, die Batterie mit 50,8 Kilowattstunden NettoKapazität liegt im Unterboden. Unterschied? Der Karosserie-Hut.
Wirds so tatsächlich langweilig und austauschbar hinter dem Lenkrad? Verlieren die Modelle an Image und Charakter? Das wollen wir in den kommenden sechs Monaten mit einem Dauertest des Opel Astra Electric klären. Wofür steht die Marke mit dem Blitz überhaupt zwischen all ihren Schwestermarken? Oder sorgt die gemeinsame technische Basis dafür, dass genug Entwicklungsbudget für Eigenständigkeit bei Design, Interieur oder Vernetzung bleibt?
In unsere Testwagen-Garage ist der Astra Electric in der tiefblauen Lancierungsfarbe gerollt. Ein blauer Blitz, Strom sprüht in der gleichen Farbe Funken. Der Fünftürer ist eines der wenigen klassischen Kompaktautos mit Elektroantrieb – und den sähe man ihm ohne das «E» für Electric auf dem Heckdeckel nicht einmal an. Typisch Opel: Die schwarze Frontmaske, hinter der sich der Radar für den adaptiven Tempomat und den Notbremsassistenten versteckt.
Hinten sitzen auch Erwachsene kommod, im Kofferraum fahren zwischen 352 und 1268 Liter Gepäck mit – weniger als im Klassenbestseller VW Golf, den es aber aktuell nicht mit Elektroantrieb gibt. Wir mögen das auf den ersten Blick eher schlichte schwarze Cockpit mit den beiden Screens für Instrumente und Infotainment – hier herrscht Klarheit bei der Bedienung. Zumal Klima und Radiolautstärke weiterhin mit Tasten und Reglern bedient werden. Nachteil der schwarzen Flächen: Sie sind schnell mit Fingerabdrücken übersät. Und der Wahlschalter für die Fahrtrichtung reagiert so verzögert wie bei vielen anderen Stellantis-Modellen.
Rund 3000 Kilometer zeigt der Zähler bereits – bislang ohne LangstreckenTrips, abgesehen von der Tour zum Genfer Autosalon. Am Gleichstrom-Schnelllader verträgt der Astra maximal nur 100 Kilowatt (kW) Ladeleistung. Ausreichend für die Ferienfahrt? Wir werden
es ausprobieren. Bisher punktet er vor allem beim Fahrverhalten – wir sitzen im statt gefühlt auf dem Auto, wie bei manchen Elektro-SUVs.
Volle Leistung liegt nur im Sportmodus an: In den Modi Eco oder Normal werden die PS auf 100 oder 136 gekappt, was aber locker fürs flotte Mitschwimmen in der Stadt reicht. Wichtig scheint Opel der Sportsgeist. Auf der deutschen Autobahn schafft der Astra 170 km/h Spitze und damit zehn Kilometer pro Stunde mehr als die allermeisten Stromer-Konkurrenten von VW und Co. Federn und Dämpfer sind eher straff abgestimmt – ein erster Kontrast zu den Konzernbrüdern: Peugeots 308 wirkt ausgeglichen, Citroëns C4 zu weich.
Beim Verbrauch liegt der Astra derzeit auf Kurs: Mit viel Autobahnanteil liegen wir derzeit mit 16,7 kWh/100 km leicht über dem Prospektwert. An wärmeren Tagen prophezeit er vollgeladen bis zu 424, an kühlen eher 380 Kilometer Reichweite. Bis zur bitteren Neige werden wir ihn aber nie leer fahren, weil das ja auch kein Astra-Eigner tun würde.
Bei 44 500 Franken startet unsere Version in der ziemlich kompletten Ausstattung «Swiss Plus». Trotzdem freuen wir uns über die Extras für 6210 Franken wie das Winter-Gimmick beheizbare Frontscheibe, das Head-up-Display und den orthopädisch wertvollen Fahrersitz. Den werden wir noch mehr zu schätzen wissen, wenns auf die Langstrecke geht.