Sonntags Blick

Wie man den inneren Clown entdeckt

Viele Menschen in der Schweiz entschlies­sen sich, Clownin oder Clown zu werden – dabei ist das kein anerkannte­r Beruf. Was steckt hinter dem Phänomen?

- CÉCILE REY

Sie ist eine Pionierin der Clownszene: Sigi Karnath (67) studierte Sozialpäda­gogik und entwickelt­e bereits während ihres Studiums eine Leidenscha­ft für Amateurthe­ater. Sie zählt zu den ersten Frauen in Deutschlan­d, die öffentlich als Clownin auftraten: «Früher wurde ich oft gefragt: Haben Frauen denn überhaupt Humor?»

Rund 40 Jahre später zweifelt wohl niemand mehr daran, dass Frauen so lustig sein können wie Männer. Heute leitet Karnath in St. Gallen eine der wenigen Schulen in der Schweiz, wo Teilnehmer­innen und Teilnehmer innerhalb eines Jahres das Kunsthandw­erk des Clowns erlernen.

Gemeinsam entwickelt die Gruppe Szenen und Clownnumme­rn, die zum Schluss der Ausbildung Freunden und Familie vorgeführt werden.

Zunächst aber müsse die eigene Clownfigur entdeckt werden, sagt Karnath: «Jede Person hat einen inneren Clown.

Man muss ihn nur kennenlern­en wollen.» Kaum habe man dann eine Clownnase aufgesetzt, funktionie­re das ganz wunderbar.

Etwa zehn bis 15 Interessen­ten schliessen jährlich die Basisausbi­ldung ab. Laut Karnath stammt die Mehrheit der angehenden Clowns aus pädagogisc­hen oder sozialen Berufen, ist weiblich und zwischen 40 und 60 Jahre alt: «Ältere Menschen sind oft entspannte­r und weniger karrierege­trieben – das ist perfekt für einen Clown.»

Eine, die mit Karnath ihren inneren Clown entdeckt hat, ist Brigitte Senn (62): Schon als Kind liebte sie Verkleidun­gen und Theater. Später war sie in der Guggenmusi­k und nähte jedes Jahr ein neues Outfit für ihre Auftritte: «Ich besuchte meine Mutter im Altersheim, um ihr mein Kostüm zu zeigen, und merkte, dass auch die anderen Bewohner neugierig wurden. Es brauchte so wenig, um ihnen ein Lächeln zu entlocken.» Das war die Initialzün­dung für ihre Karriere als Clownin.

Also besuchte die damalige Lehrerin einen ClownSchnu­pperkurs und meldete

sich für die Ausbildung in St. Gallen an. Nun ist sie seit mehr als zehn Jahren als Pepita unterwegs: «Pepita ist ein Kind – frech, fröhlich und naiv. Sie ist aber auch mutig, stark und optimistis­ch.»

Die 62-Jährige tritt überall auf, sei es in Altersheim­en, an Geburtstag­sfesten, in Bibliothek­en, sogar an Jugendgott­esdiensten: «Nur an einer Scheidung war ich noch nie», sagt sie und lacht.

Auf die Frage, was das Schwierigs­te an diesem Beruf sei, antwortet Senn sofort: «Ich habe fürchterli­ches Lampenfieb­er.» Deswegen aufzuhören, käme ihr aber nie in den Sinn: «Das ist jetzt halt einfach so. Sobald mein Programm beginnt, kann ich es aber richtig geniessen.»

Doch warum entscheide­n sich immer mehr Menschen dazu, Clown zu werden? Fredi Buchmann ist Präsident von Humorcare Schweiz – einem Verein, der unter anderem ausgebilde­te Besuchs-Clowns zu seinen Mitglieder­n zählt. Er sagt: «Es gibt immer mehr Ausund Weiterbild­ungsmöglic­hkeiten, und die Nachfrage in Kinderspit­älern, Alters- und Pflegeheim­en oder Institutio­nen für behinderte Kinder und Erwachsene ist gestiegen.»

Die meisten Clowns indes können nicht von diesem Beruf leben. Viele haben noch eine andere Stelle oder sonstige Projekte. Bei der Stiftung Theodora, der grössten Arbeitgebe­rin für sogenannte Spital-Clowns, sind aktuell 68 Menschen angestellt, der Verein Humorcare zählt 42 Mitglieder. «Es gibt aber eine grössere Zahl von aktiven Clowns, die privat auftreten und keiner Organisati­on angeschlos­sen sind», sagt Buchmann.

Lachen ist gesund, das ist wissenscha­ftlich bewiesen. Senn hält die positive Energie, die zurückkomm­t, für das Schönste an ihrem Beruf: «Wenn ich als Pepita auftrete, kann ich den Menschen ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Dann können sie ihre Schmerzen und Sorgen für einen Moment vergessen – und einfach den Moment geniessen.» In einer Welt voller Krisen und Elend sei Lachen ein kostbares Gut. Buchmann: «Auch in der Politik wären Humor und Lachen manchmal hilfreiche­r als Machtstrei­tereien.»

Also, wann haben Sie zuletzt gelacht?

 ?? ??
 ?? ??
 ?? ?? Sigi Karnath leitet in St. Gallen eine Clownschul­e: Hier lernen die Teilnehmen­den ihren inneren Clown kennen – die passende Schminke gehört auch dazu.
Sigi Karnath leitet in St. Gallen eine Clownschul­e: Hier lernen die Teilnehmen­den ihren inneren Clown kennen – die passende Schminke gehört auch dazu.
 ?? ?? Für Jung und Alt: Clownin Pepita ist bei allen beliebt.
Für Jung und Alt: Clownin Pepita ist bei allen beliebt.
 ?? ?? Ein Clown für alle Fälle Brigitte Senn ist seit über zehn Jahren als Clownin unterwegs.
Ein Clown für alle Fälle Brigitte Senn ist seit über zehn Jahren als Clownin unterwegs.

Newspapers in German

Newspapers from Switzerland