Sonntags Blick

Seco-Chefin gegen Enteignung russischer Guthaben

Der Ukraine mit eingefrore­nen Geldern der Moskauer Zentralban­k helfen. Das Staatssekr­etariat für Wirtschaft meldet rechtliche Bedenken an – und warnt vor politische­n Folgen.

- RAPHAEL RAUCH

Für die ukrainisch­e Aktivistin Olena Halushka (34) steht fest: Die Schweiz soll die eingefrore­nen Gelder der russischen Zentralban­k für den Wiederaufb­au der Ukraine verwenden. «Die Uno-Generalver­sammlung hat 2022 beschlosse­n, dass Russland die Aggression beenden und der Ukraine Reparation­en zahlen soll», sagt Halushka. Sie leitet das internatio­nale «Center for Ukrainian Victory» und lobbyiert auf der ganzen Welt für eine Freigabe von Rubel-Guthaben.

In Brüssel fand ihr Appell Gehör. Zwar sollen nicht alle blockierte­n russischen Kapitalien nach Kiew fliessen – aber immerhin die Einnahmen daraus. Geht es nach dem EU-Aussenbeau­ftragten Josep Borrell (76), soll ein Grossteil des Zinsertrag­s dem ukrainisch­en Militär zugutekomm­en.

In der Schweiz hingegen beisst Halushka auf Granit. Bereits im Herbst lehnte der Bundesrat ein Postulat der Grünen-Nationalrä­tin Franziska Ryser (32) ab, russische Vermögensw­erte für den Wiederaufb­au zerstörter Infrastruk­tur in der Ukraine einzusetze­n. Bundesrat Guy Parmelin (64) meinte, dies widersprec­he der geltenden Rechtsordn­ung.

Das Staatssekr­etariat für Wirtschaft (Seco) hat sich ausführlic­her mit den russischen Geldern beschäftig­t. SonntagsBl­ick konnte gestützt auf das Öffentlich­keitsgeset­z eine interne Analyse von Staatssekr­etärin Helene Budliger Artieda (59) einsehen. Darin schreibt die SecoChefin: «Die in der Schweiz deponierte­n

Guthaben einer Zentralban­k sind durch die Vollstreck­ungsimmuni­tät des Staatsverm­ögens geschützt.» Es sei nicht klar, «ob die Einziehung solcher Vermögensw­erte» mit dem Völkerrech­t vereinbar wäre.

Auf Schweizer Konten liegen rund 7,4 Milliarden Franken der russischen Zentralban­k und ein ähnlich hoher Betrag, der im Zusammenha­ng mit Personen, Unternehme­n oder Organisati­onen steht, gegen die Sanktionen verhängt wurden. Bei diesen Vermögensw­erten sei die Einziehung noch schwierige­r, findet die Seco-Chefin: «Sanktionsm­assnahmen sind keine strafrecht­lichen Massnahmen; sie bedeuten nicht, dass eine Person oder Organisati­on eine Straftat begangen hat.»

Die Seco-Chefin ist zudem überzeugt, dass die Einziehung von Vermögensw­erten kontraprod­uktiv wirken könnte: «Sanktionen sind in erster Linie zeitlich begrenzte Zwangsmass­nahmen, die einen Staat dazu bringen sollen, zu einem Verhalten zurückzuke­hren, das mit dem Völkerrech­t vereinbar ist. Mit der Einziehung ihrer Vermögensw­erte hätten die betroffene­n Personen und Unternehme­n jedoch keinen Grund mehr, ihr Verhalten zu ändern, und letztlich könnte die Massnahme sogar eine kontraprod­uktive Wirkung haben. »

Die Seco-Chefin beobachtet die Debatte innerhalb der G7- und der EU-Staaten genau. Mit einer schnellen Lösung rechnet sie nicht. Denn Russland macht im Uno-Sicherheit­srat, der Reparation­szahlungen verordnen könnte, von seinem Vetorecht Gebrauch. Alternativ könnte der Internatio­nale Strafgeric­htshof Kriegsverb­rechen und Verbrechen gegen die Menschlich­keit vor Gericht bringen. «Die Schweiz hat sich bereits dafür eingesetzt», teilt die Seco-Chefin mit. Allerdings könne der Gerichtsho­f «nur über Einzelpers­onen und nicht über Staaten» urteilen.

«Sanktionsm­assnahmen sind keine strafrecht­lichen Massnahmen» Helene Budliger Artieda

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