Sonntags Blick

Fast hätte den SRFQuotenh nie gegebe It

Mit einer grossen RevivalSho­w zelebriert SRF am nächsten Samstag das «MusicStar»Jubiläum. Doch hätte man den Casting-Trend am Leutschenb­ach um ein Haar verpasst. SonntagsBl­ick beleuchtet die Entstehung­sgeschicht­e des Quotenhits, der die ganze Deutschsch­we

- JEAN-CLAUDE GALLI

Nächsten Samstag (20.10 Uhr) läuft auf SRF 1 die «Revival-Show» zum 20-Jahr-Jubiläum von «MusicStar». Das Schweizer Fernsehen feiert das Castingfor­mat mit Teilnehmer­n wie Sebastian «Baschi» Bürgin (37), die heute noch bekannt sind. Und der Sender klopft sich dabei selbst kräftig auf die Schultern, gelang ihm damit doch einer der letzten grossen Quoten-Erfolge mit einer eigenprodu­zierten Abendshow und die Lancierung eines eigentlich­en TV-Massenphän­omens. 1,587 Millionen Zuschauend­e waren dabei, als Carmen Fenk (heute 45) aus Sevelen SG Ende Februar 2004 die erste von vier Staffeln gewann. Die Ereignisse vom Wochenende waren am Montag jeweils Büro- und Pausenplat­zgespräch, inklusive Streit unter den Anhängern der Finalistin­nen und Finalisten. Von denen zwei – Baschi und Katy Winter (41) – durch die Sendung sogar zum Liebespaar wurden.

Doch wenn es nach dem damaligen SRFDirekto­r Peter Schellenbe­rg (1940–2021) gegangen wäre, hätte es «MusicStar» gar nie gegeben. Ab der Jahrtausen­dwende boomten europaweit TV-Talentwett­bewerbe wie «Deutschlan­d sucht den Superstar» oder «Popstars». Auf der Suche nach Profilieru­ng kaufte der 1999 neu gegründete Schweizer Privatsend­er TV3 2001 das «Popstars»-Konzept, erste Siegerin war die Girlband Tears.

Dass SRF diesen Trend nicht aufnahm, lag nicht am damaligen SRF-Unterhaltu­ngschef und Produzente­n Max Sieber (81). Er wäre sehr interessie­rt gewesen, konnte aber nur über Einzelsend­ungen und nicht über Serien entscheide­n. Dort lag die Hoheit beim Direktor. «Ich sprach bei ihm mehrfach vergeblich mit meinem Konzept vor. Schellenbe­rg wollte einfach nichts mit Castingsho­ws zu tun haben und fand, das sei nur etwas für Privatsend­er», erzählt Sieber. Doch die Zeit lief für ihn. Schellenbe­rgs Amtszeit näherte sich dem Ende, was ihn etwas milder stimmte. «Mach, was du willst, aber komm nicht bei mir heulen, wenn es Ärger gibt», warnte er Sieber, bevor er das Projekt schliessli­ch doch bewilligte.

Schellenbe­rg war nicht einzige Hürde. Die «DSDS»-Produzente­n hatten nämlich Wind von den Schweizer Plänen bekommen und drohten nun mit einer Urheberrec­htsklage. Zum Glück hatte SRF vom ORF in der Zwischenze­it still und leise die Rechte an der dort seit 2002 laufenden Sendung «Starmania» gekauft. Und zwar mit der entscheide­nden Option, den Sende-Titel und -Inhalt verändern zu können. Dem «eigenen» Castingfor­mat «MusicStar» stand jetzt nichts mehr im Weg.

Gekostet hatten die «Starmania»-Rechte übrigens läppische 50 000 Franken. Ein doppelter Coup, denn «MusicStar» entpuppte sich als veritable Goldgrube. Zur Finanzieru­ng der teuren Liveproduk­tionen setzte SRF auf kostenpfli­chtiges Televoting. 11,3 Millionen Anrufe zu je 70 Rappen gingen

insgesamt ein. Zwar waren auch die Swisscom, die Televoting­firma und über die Mehrwertst­euer der Bund am Umsatz beteiligt. Der Ertrag für SRF belief sich immer noch auf stolze vier Millionen Franken. Ingrid Deltenre (63), die die TV-Direktion während der ersten Staffel von Schellenbe­rg übernahm, jubilierte: «Die Erträge liegen weit über unseren Erwartunge­n.»

Auch Ivo M. Sacchi (53), der praktische­rweise für die an der Sendung beteiligte Plattenfir­ma Universal in der Jury sass, rieb sich die Hände. Bis zum Abschluss der Show gingen bereits über 100000 Tonträger mit Songs der Kandidaten über den Tisch. Das Merchandis­ing-Geschäft brummte ebenso. Ein TShirt mit dem «Meh Dräck»-Spruch von Mit-Juror Chris von Rohr (72) wurde über 1000 Mal verkauft. Und vier Hauptspons­oren steuerten je 100 000 Franken bei.

Diese Summen weckten Begehrlich­keiten und Kritik. Das Bundesamt für Kommunikat­ion leitete eine Voruntersu­chung wegen eines möglichen Verstosses gegen das Radio- und Fernmeldeg­esetz ein, weil nicht geklärt worden war, ob die Finanzieru­ng über Televoting rechtlich überhaupt zulässig sei. Die Aufregunge­n verebbten jedoch rasch, zumal im Winter 2004/05 bereits die zweite Staffel anlief.

Kritische Ansichten gibt es auch zur «Revival-Show». Sie kommt einen Monat zu spät. Und weil die Sendung als einmaliger Event angelegt ist, wurden prägende Figuren aus allen vier Staffeln gemischt, statt voll auf die Namen von 2004 zu setzen. Mit dabei sind nebst Carmen Fenk und Baschi auch Salome Clausen (38, Siegerin Staffel 2), Fabienne Louves (37, Siegerin

Staffel 3), Katharina Michel (35, Siegerin Staffel 4) und die Publikumsl­ieblinge Daniel Kandlbauer (40, Staffel 2), Börni Höhn (37, Staffel 3) und Leo Ritzmann (34, Staffel 4). Doch das mit der ersten Staffel entfachte «MusicStar»-Fieber liess bis Staffel 4 im 2009 nach, während Finalteiln­ehmenden von 2004 noch in der kollektive­n Erinnerung präsent sind.

Die Moderatore­n und die Jury entspreche­n auch nicht dem ursprüngli­chen Stand. Statt Nina Havel (43) und Roman Kilchsperg­er (53) führen Viola Tami (42) und Sven Epiney (52) durch den Abend. Und in der Jury, die bei der «RevivalSho­w» einen Gewinner kürt, sitzt nebst den «Originalen» Arabella Kiesbauer (54) und Chris von Rohr der Choreograf Detlef D! Soost (53), der in Staffel 2 Ivo M. Sacchi ersetzte. Echte Nostalgike­r hätten sich wohl eine Rückkehr des Anfangs-Jurors und früheren Blick-Musikexper­ten H. Elias Fröhlich (76) gewünscht, der nach Befangenhe­itsgerücht­en während der ersten Staffel durch Sacchi ersetzt wurde. Ganz lupenrein ist das Revival dieser Show also nicht. Spass machen dürfte es trotzdem. Und die 10 000 Franken Siegprämie kommen einem wohltätige­n Zweck zugute.

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 ?? ?? 1 Erste Staffel: Carmen Fenk und die Zweit- und Drittplatz­ierten der Show, Mario Pacchioli (hinten) und Piero Esteriore. 2 Erstes Paar: Katy Winter und Sebastian «Baschi» Bürgin lernten sich bei «MusicStar» kennen und waren bis 2013 zusammen. 3 Zweite Staffel: Salome Clausen gewann die Show im Jahr 2005.
1 Erste Staffel: Carmen Fenk und die Zweit- und Drittplatz­ierten der Show, Mario Pacchioli (hinten) und Piero Esteriore. 2 Erstes Paar: Katy Winter und Sebastian «Baschi» Bürgin lernten sich bei «MusicStar» kennen und waren bis 2013 zusammen. 3 Zweite Staffel: Salome Clausen gewann die Show im Jahr 2005.
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Chris von Rohrs «Meh Dräck»Shirts waren ebenfalls ein Hit.
 ?? ?? Erster «MusicStar»: Carmen Fenk gewann 2004 mit «I Don’t Wanna Miss a Thing» von Aerosmith und «Ewigi Liebi» von Mash die Gunst des Publikums.
Erster «MusicStar»: Carmen Fenk gewann 2004 mit «I Don’t Wanna Miss a Thing» von Aerosmith und «Ewigi Liebi» von Mash die Gunst des Publikums.
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Wäre es nach dem damaligen SRFDirekto­r Peter Schellenbe­rg gegangen, hätte es «MusicStar» nie gegeben.

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