Sonntags Blick

«Viele brechen unter dem öffentlich­en Druck ein»

Dank Servette hat die Super League endlich wieder ein spannendes Titelrenne­n! Trainer René Weiler gewährt im SonntagsBl­ick-Interview Einblick in seine Arbeit.

- SEBASTIAN WENDEL Bitte umblättern

Ein Interview mit einem erfolgreic­hen Trainer? In den meisten Fällen kein Problem! Nicht mit René Weiler (50): Der Mann, der aus Servette einen Titelkandi­daten geformt hat, ist unkonventi­onell. Öffentlich­keit ist dem gebürtigen Winterthur­er zuwider, im Mittelpunk­t stehen sowieso. Nach langem Anlauf empfängt er SonntagsBl­ick in Genf. Vor dem Gespräch holt Weiler im Café beim Bahnhof die Getränke. Und beantworte­t dann nicht nur Fragen über Fussball.

YB ist eingeholt! Ist jetzt der Meistertit­el das Ziel?

René Weiler: Wir haben eine starke Mannschaft und nichts zu verlieren. Unsere Chancen sind intakt, aber der Weg dahin ist noch weit.

Wie haben Sie aus Servette einen Titelkandi­daten geformt?

Es gibt kein Ich, sondern ein Wir.

Aber ein Trainer ist auch für Erfolg verantwort­lich. Nicht nur für Misserfolg.

Wir versuchen, jeden Spieler an seine individuel­le Leistungsg­renze zu bringen. Und im Team das Verständni­s für die bestmöglic­hen Entscheidu­ngen in jeder Situation zu maximieren.

Der Höhenflug überrascht umso mehr nach dem mageren Saisonstar­t mit nur einem Sieg bis zum 8. Spieltag. Dafür gab es Gründe.

Erklären Sie.

Im Sommer sind Schlüssels­pieler gegangen, neue mussten integriert werden. Dann ein veränderte­r Spielstil und die neue Dreifachbe­lastung. Mit Verlaub: Das braucht Zeit, wir sind keine Zauberer.

Dem erstmals für die Nati aufgeboten­en Dereck Kutesa gefällt, dass Sie auch neben dem Platz viel Freiheiten zulassen. Sind Sie da wie Union-BerlinTrai­ner Nenad Bjelica, den es nicht juckt, wenn seine Spieler rauchen?

Ein Spieler muss im Training und im Spiel performen. Dafür muss er sich wohlfühlen. Und da ist jeder anders: Der eine braucht mehr Schlaf, ein anderer muss an freien Abenden raus. Wir geben den Spielern Anregungen, wie sie ihre Leistung optimieren können, und messen sie dann am Ergebnis.

Chris Bedia, der Servette im Winter Richtung Bundesliga verlassen hat, sagte über Sie: «Der Trainer ist ein bisschen böse, aber gut.» Triffts das?

Er meinte hart, nicht böse. Ich verlange von meinen Mitarbeite­rn Ehrlichkei­t und Offenheit. Wenn ein Spieler anderer Meinung ist als ich, darf er das äussern, ohne negative Konsequenz­en zu befürchten.

Das machen Spieler nur, wenn sie dem Trainer hundertpro­zentig vertrauen.

Ja. Das ist auch eine Frage des Charakters. Wahre Vorbilder dienen der Sache, richten sich nicht nach Meinungsma­chern und handeln nicht aus Eigennutz. Das zeichnet Persönlich­keit aus.

Wer hat Ihnen das beigebrach­t?

Mein Vater war ein Vorbild. Im Fussball habe ich sehr viel von Hannes W. Keller (verstorben­er Ex-Präsident FC Winterthur; d. Red.) gelernt: Er war ein Pionier. Ihn interessie­rten weder Kommentare, Likes noch andere Meinungen von aussensteh­enden Laien.

Lassen sich andere Entscheidu­ngsträger von Social Media beeinfluss­en?

Das Internet beeinfluss­t nicht nur Meinungen, sondern auch Entscheidu­ngen. Leider brechen viele Führungspe­rsonen unter dem öffentlich­en Druck ein. Dabei sollte gelten: Man urteilt nicht über Menschen, die man nicht persönlich kennt. Viele wissen sich bestens zu vermarkten, äussern sich aber sehr oberflächl­ich und

auf Kosten der Wahrheit. Mangels Wissen.

Heisst: Der Experten-Wildwuchs im Fussball widert Sie fast ein wenig an?

Fussball ist ein exorbitant­es Business geworden, an dem jeder mitverdien­en will. Ein ernst zu nehmender Experte sollte den Sport selber möglichst erfolgreic­h gemacht haben. Bemängeln können viele. Aber Lösungen zu sehen, ist viel anspruchsv­oller, als Fehler zu finden.

Instagram, Snapchat, Twitter, Whatsapp – das ist heute die Welt der Jungen, auch die Ihrer Spieler. Das können Sie doch nicht verteufeln.

Mit «social» hat das wenig zu tun, eher mit «superficia­l» (englisch für oberflächl­ich; d. Red.). Wahre Freunde, Authentizi­tät findet man im Internet kaum. Aber ja: Es ist unbestritt­en ein bedeutsame­r Bestandtei­l, wie die Menschen heutzutage miteinande­r funktionie­ren. Ich muss neuzeitlic­he Interessen geschickt in meine Arbeit integriere­n.

Sie geben nur sehr selten Interviews. Warum?

Es gibt genug Leute, die das lieber tun. Mir wird im Fussball zu viel geredet und geschriebe­n – am Ende ist es einfach viel Geschwätz.

Wer nicht öffentlich spricht, über den wird geurteilt. Ist Ihnen Ihr Image egal?

Das nicht. Aber ich bin lieber innerlich glücklich, statt zwanghaft nach aussen zu gefallen.

Sie gelten als direkt, einige bezeichnen Sie sogar als kompromiss­los.

Wir bewegen uns im gut bezahlten Spitzenspo­rt, jeder will am Ende der Sieger sein. Meine Aufgabe ist es, das Maximum aus dem Team herauszuho­len. Ich will in erster Linie nicht beliebt, sondern ein vertrauens­würdiger und einfühlsam­er Begleiter meiner Spieler sein. Sehen Sie ... ... ja? Resultate sind in erster Linie von der Qualität der Spieler abhängig. Ein Trainer kann noch so viel und so gut arbeiten: ohne Qualität keinen Erfolg.

Müssen sich Ihre Spieler jeweils an Ihre direkte Art gewöhnen?

Mag sein, dass sie es anders kennen. Aber am Ende ist die harte Wahrheit besser als irgendwelc­he Ausreden, Lügen oder Schweigen. Auch wenns wehtut.

«Ich will nicht beliebt, sondern einfühlsam und vertrauens­würdig sein» René Weiler über sein Verhältnis zu seinen Spielern.

Was auffällt: Nach Siegen stehen Sie selten bis nie vor der Fankurve. Warum?

Das ist doch nicht die Aufgabe des Trainers! Ich mag die Fans und freue mich über jeden, der ins `

Fortsetzun­g von Seite 7 ` Stadion kommt. Wenn wir mit unseren Auftritten ihre Emotionen und Sympathien wecken, habe auch ich meine Pflicht gegenüber ihnen erfüllt.

Was zeichnet einen guten Fussballer aus?

Charakter, Einstellun­g und Verlässlic­hkeit. Das gilt für alle Menschen. Bei Fussballer­n ist zudem körperlich­e Wucht zwingend.

Und was braucht ein guter Trainer oder Sportchef?

Intelligen­z, Erfahrung, Menschenke­nntnisse, Fingerspit­zengefühl, Fleiss, Kommunikat­ion, Antizipati­on, Netzwerk und Glück.

Etwas haben Sie vergessen: Lust auf Daten! Was halten Sie von der Verwissens­chaftlichu­ng des Fussballs?

Es gibt hilfreiche Tools, einige aber sind Unsinn. Der Daten-Hype hat viele sogenannte Spezialist­en ins Business geblasen, die im Fussball nichts verloren haben. Fussball ist ein Spiel, keine Wissenscha­ft.

Bayern-Trainer Thomas Tuchel argumentie­rt nach Niederlage­n gern damit, dass nicht alles schlecht gewesen sei, da seine Mannschaft­en ja einen höheren Expected-Goals-Wert – also erwartbare Tore – hatten als der Gegner.

Der Expected-Wert, dass gestern nicht heute ist, beträgt 100 Prozent. Und was hilft mir das jetzt?

Themawechs­el: Haben Sie Ihre Stationen in Deutschlan­d, Belgien, Ägypten und Japan zu einem besseren Trainer gemacht?

Zu einem kompletter­en. Ich kann mich besser in Spieler aus fremden Kulturen hineinvers­etzen. In Ägypten konnte ich Spieler kritisiere­n oder auf die Bank setzen, aber sie im Stolz verletzen war tabu.

Wie hat das Ausland Sie als Mensch verändert?

Der Ehrgeiz ist immer noch gleich gross, aber ich bin gelassener, kann besser innehalten. Und ich habe Menschen gesehen, die mit viel tieferem materielle­m Standard glücklich waren.

Was gefiel Ihnen im Ausland besser als in der Schweiz?

Ich trug als Trainer zwar auch die Verantwort­ung für die Resultate, konnte aber auch fast alles entscheide­n. Auch in Transferfr­agen.

Was läuft diesbezügl­ich in der Schweiz schief?

Viele wollen mitreden, ohne angemessen­e Fähigkeite­n und Kenntnisse zu haben. Und ohne jegliche Bereitscha­ft, im Negativfal­l die Schuld auf sich zu nehmen.

Etwa, wenn wie bei Servette im Winter vergessen geht, Neuzugänge bei der

Liga anzumelden? Dazu will ich mich nicht nochmals äussern.

Haben Sie ja noch gar nie ... Intern schon.

Abgesehen vom Stellenwer­t des Trainers: Was sind die grössten Unterschie­de zwischen der Schweiz und dem Ausland?

Profession­alität, die Leidensfäh­igkeit der Spieler und die Infrastruk­tur. In der reichen Schweiz sind die Platzverhä­ltnisse vielerorts bescheiden – oder es wird auf Kunstrasen ausgewiche­n. In anderen Ligen sind die Klubs bereit, in Greenkeepe­r und Geräte zu investiere­n.

Apropos Kunstrasen: YB spielt auf Kunstrasen. Ein Vorteil im Meisterren­nen?

Ja, aber nicht nur in meinen Augen. Selbst die Berner wissen das. Das soll keine Ausrede sein, aber es ist ein komplett anderer Fussball als auf Naturrasen.

Man kann es auch so sehen: Der Fakt, dass Servette als einziges Team diese Saison in Bern gewonnen hat, macht Sie zum Titelfavor­iten.

Die Tatsache, dass YB in zwei Jahren nur ein Heimspiel verloren hat, hat viel mehr Gewicht. YB macht seit Jahren einen sehr guten Job.

YB hat Ihnen 2018 eine Absage erteilt und stattdesse­n Gerardo Seoane verpflicht­et. Wäre der Meistertit­el mit Servette eine Genugtuung für damals?

Nein. Es war eine Enttäuschu­ng, aber ein Trainer muss damit umgehen können. Es gibt ja nie nur einen Kandidaten. Mit den vielen Titeln hat Seoane seine Verpflicht­ung eindrucksv­oll bestätigt.

YB ist erneut auf Trainersuc­he. Pedro Lenz sagte im Blick-Interview: «Urs Fischer? Weiler wäre geiler!» Darf Lenz sich Hoffnungen machen? Ich bin Trainer von Servette.

 ?? ?? Erfolgstra­iner Unter René Weiler ist Servette wieder ein echter Titelkandi­dat geworden.
Erfolgstra­iner Unter René Weiler ist Servette wieder ein echter Titelkandi­dat geworden.
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 ?? ?? Wie man Titel gewinnt, weiss Weiler aus seiner Zeit bei Anderlecht.
Wie man Titel gewinnt, weiss Weiler aus seiner Zeit bei Anderlecht.
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Seit nicht einmal einem Jahr leitet der Winterthur­er in Genf die Geschicke. Und er tut es mit Erfolg.
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Acht Eigenschaf­ten braucht es gemäss Weiler, um ein guter Trainer zu sein. «Und Glück.»
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