«Leider gehören B zur Normalität»
Sie können es nie allen recht machen. Werden Schiris ausgepfiffen, sehen sie darüber hinweg, ihr Hockey-Herz ist stärker. «Wir bekommen ein Live-Feedback», sagt Ref Daniel Stricker. «Kein Grund zur Sorge: Wir kennen unsere Fehler.»
Sie sind die Buhmänner, kaum je die Helden. Sie müssen mit Pfeifkonzerten und Beleidigungen umgehen, werden mit Getränken überschüttet oder mit Gegenständen beworfen. Zuschauer und Fans haben Vorurteile und wissen sowieso immer alles besser als sie – als die Schiedsrichter.
Diese Leute sehen aber nicht den Menschen hinter dem Ref – ob Profi oder Amateur –, der dies alles verkraftet und mit zunehmender Erfahrung auch den in den Playoffs grösseren Druck wegstecken kann, weil ihn ein grosses Hockey-Herz antreibt. Sie sehen nicht, dass der Schiri selbst am meisten leidet und hadert nach einem fragwürdigen oder sogar falschen Entscheid. Und dass ihn dieser manchmal noch tagelang verfolgt, weil er sich mehrmals erklären muss.
Die beiden Head-Schiedsrichter Daniel Stricker (48) und Pascal Hungerbühler (38) gewähren vor einem Playoff-Viertelfinal-Spiel zwischen Biel und Zürich Einblicke in ihre Welt, die so viel komplexer ist, als oberflächliche Stimmungsmacher erahnen. Stricker ist in seiner 28. Saison als Head-Ref, derzeit in einem 50-prozentigen Profi-Pensum. Dazu arbeitet er in der Privatwirtschaft.
Hungerbühler ist Amateur, in seiner fünften NL-Saison und zu 100 Prozent als Chef-Jurist in der IT-Branche tätig. Das Duo wird am Abend, als Blick es besucht, von den Linesmen Eric Cattaneo (28) und Stany Gnemmi (42) begleitet. Das
Quartett öffnet für Blick sogar die Garderobentüren. Doch der Matchtag beginnt für die Offiziellen schon viel früher.
4 Stunden vor dem ersten Bully
Als sich Stricker, Hungerbühler und Cattaneo in einem Restaurant treffen, sind es noch vier Stunden bis zum Anpfiff. Stricker hat sich zwei Tage zuvor das erste Spiel der Serie live im Stadion angeschaut, so beginnt seine Vorbereitung für diesen Einsatz. «Ich habe mit den Refs von jenem Spiel geredet und mit ihnen einige Szenen besprochen», erzählt Hungerbühler.
Beide möchten wissen, wie die Stimmung oder wie respektvoll das Verhalten gewesen ist. Ob es anständige Gespräche mit den Spielern und Trainern gab. «Wir verschaffen uns einen Gesamtüberblick, nicht nur den sportlichen», so Stricker. Bevor sie weiterfahren, schauen sie sich gemeinsam noch gewisse Spielszenen und Strafen an – ausgesprochene oder verpasste.
Auch die Schiedsrichter spüren den Unterschied zwischen Playoffs und Regular Season. In Strickers Anfängen als Head in den NL-Playoffs werden die Partien noch im Drei-Mann-System geleitet. «Damals musste ich alleine mit dem tobenden Ex-Servette-Trainer Chris McSorley klarkommen.» Seit der Saison 2008/09 wird im Vier-Mann-System gepfiffen. Die Offiziellen sind während der Spiele per Funk miteinander verbunden. Die Head-Schiedsrichter können miteinander sowie mit den Linesmen kommunizieren.
Soundckeck mit den Mikros
Die Akkus der Funkgeräte und Mikros stecken im Ladegerät, später gibts einen Soundcheck. Die Refs sind in der Garderobe in Biel angekommen. Gnemmi, der aus einer anderen Region der Schweiz angereist ist, ist eingetroffen. Noch sind es zwei Stunden bis zum Spiel. Die Stimmung ist gut, jeder hat seine eigenen Rituale und Abfolgen der Vorbereitung. Das Fussballspielen zum
«Ich musste alleine mit dem tobenden Chris McSorley klarkommen» Daniel Stricker, Schiedsrichter-Halbprofi
Spiel rückt. Es ist ein kleiner, separater Kosmos nur wenige Meter neben dem Eis, auf dem in wenigen Minuten ein Viertelfinal-Kracher vor vollen Rängen steigt. Der
Fokus ist geschärft, Stricker spricht ein paar einstimmende Worte – und raus gehts. Im Wissen, dass man nie mit Applaus empfangen wird, sondern viel wahrscheinlicher mit Pfiffen. Und im Wissen, dass man es nie allen recht machen kann. Oftmals auch nicht sich selbst.
Amateur-Ref Hungerbühler beschreibt den Moment als «Playoff-Kribbeln». «Es ist auch für uns ein wichtiges Spiel. Es wird genauer hingeschaut.» Beim erfahreneren Stricker ist es eine gewisse Angespanntheit, weil man nie weiss, was für ein Spiel einen erwartet. «Mittlerweile kann ich mich aber gut fokussieren und mich von äusseren Einflüssen abschotten.» Das ist hilfreich. «Denn bei unserer Arbeit bekommen wir ungefiltert und umgehend ein Live-Feedback von Tausenden von Zuschauern.»
Von Zuschauern, deren Repertoire an gängigen Vorurteilen meist ein umfassendes ist. Dass die Schiris ihre Macht ausspielen wollen, weil sie zu Hause nichts zu sagen haben. Dass sie Kompensationsstrafen aussprechen, wenn sie eine verpasst oder eine zu harte ausgesprochen haben. Dass jeder seine Lieblingsmannschaft hat. Dass sie das Spiel beeinflussen wollen. Wobei: Einfluss nehmen, das tun sie tatsächlich – aber anders, als die meisten Leute befürchten, denken und vor allem sehen.
Denn was sich zwischen ihren Entscheiden abspielt, ist das wirklich Spannende und Interessante. Und kann Duelle prägen, im positiven Sinn, notabene. Die Refs spüren die Schwingungen auf dem Eis, wie die Spieler und Trainer drauf sind, in welche Bitte umblättern