Zurück zur Grandezza
Der italienischen Traditionsmarke Lancia Nach sieben Jahren Funkstille lanciert der StellantisKonzern die einstige Glamour-Marke Lancia neu. CEO Luca Napolitano setzt auf Elektroantriebe, Noblesse und Design – aber wird das reichen für einen Neustart?
Vergessen wir Mercedes. Keine Rede von Aston Martin oder RollsRoyce. Und Ferrari? Lernte noch das Laufen auf den Rennstrecken Europas. Nein, wer in der europäischen High Society der 1950er-Jahre etwas auf sich hielt, fuhr Lancia. Audrey Hepburn (1929–1993), Jean-Paul Belmondo (1933–2021), Brigitte Bardot (89) oder Marcello Mastroianni (1924– 1996): Die Filmstars strichen nicht etwa Honorare ein, um sich im Lancia ablichten zu lassen – sie fuhren ihn privat, gezahlt aus eigener Tasche.
Style, Image und Ingenieurskunst vom Allerinnovativsten – selten genug kommen alle drei Faktoren zusammen, aber bei Lancia wars der Fall. Der Aurelia B24 Spider galt als eines der schönsten Autos seiner Zeit. Die Modelle der vom Rennfahrer und Tüftler Vincenzo Lancia (1881–1937) 1906 in Turin (I) gegründeten Marke waren zwar nicht günstig, aber zuverlässig. Und mit dem Lambda erfand Lancia 1922 das moderne Auto von heute: selbsttragende Karosserie, Einzelradaufhängung, Stossdämpfer. TechNerds von damals liebten Lancia.
So solls auch künftig wieder sein. Im letzten Jahr zeigte Lancia endlich wieder eine Designstudie und noch 2024 startet mit dem Lancia Ypsilon das erste von drei neuen Modellen im Stil des Concept Cars Pu+Ra HPE. Das Kürzel HPE schmückte einst die LanciaKombis. Aber Markenchef Luca Napolitano (48) will nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen und auf die Nostalgiekarte setzen, auch wenn der Pu+Ra HPE Details alter Modelle aufgreift. Denn Krise herrschte bei Lancia immer dann, wenn man sich mit der Tradition durchzumogeln versuchte.
Wie zum 100. Geburtstag 2006, als die längst zum Fiat-Konzern gehörende Marke nach lustlosen Jahren mit Prunk und Prominenz eine Neuauflage des legendären Delta vorstellte. Zu wenig, um in der folgenden Finanzkrise zu bestehen: Fiat stieg beim US-Pleitekonzern Chrysler ein– und als er ihn 2014 komplett übernahm, musste Fiat-Boss Sergio Marchionne (1952–2018) noch mehr sparen, sperrte 2017 das defizitäre Lancia in Europa zu und warf den Schlüssel weg. Nur der Kleinwagen Ypsilon blieb allein in Italien auf dem Markt – und noch 2023 sogar der Bestseller im Segment. Aber der Rest der Welt? Hand aufs Herz: Der vergass Lancia.
Umso überraschender, dass Stellantis die Marke nun auf edel polieren will. Seit 2021 ist sie eine von 14 im neu geschaffenen Konzern. Und obwohl es viele Baustellen von Rentabilität über Qualität bis Elektrifizierung gab, liess Konzernchef Carlos Tavares (65) Napolitano gleich nach dem Zusammenschluss am Konzept für Lancia feilen. Keine leichte Aufgabe: Mit Alfa Romeo, DS und teils auch Maserati drängeln drei weitere Schwestern ins Edelsegment. Zumindest zu Alfa zieht Napolitano eine
Grenze: «Lancia steht für Eleganz, nicht für Sportlichkeit.» Sein Lieblings-Lancia? Natürlich der Aurelia B24 Spider.
Sportlich dürfte der Neustart dennoch werden. Der neue Ypsilon steht auf der üblichen Stellantis-Elektroplattform, leistet 156 PS (115 kW), bietet 51 Kilowattstunden (kWh) nutzbare Batteriekapazität für 400 Kilometer und wird nur 100 kW Ladeleistung am Schnelllader vertragen. Mit Blick auf den Heimmarkt traut sich Napolitano nicht, auf einen Verbrenner zu verzichten – das würde 80 bis 90 Prozent der Lancia-Kundschaft vertreiben, ist er sich sicher. Deshalb kommt für harzende Elektromärkte auch ein Hybrid mit 100 PS (74 kW) und zusätzlichem 48-Volt-E-Motor. Im nächsten Jahr folgt der Sportler Ypsilon HF mit den 240 Elektro-PS (174 kW) aus dem Abarth 600e.
Für die Technik greifen die Lancia-Ingenieure ins Konzernregal, aber das Händlernetz muss neu aufgebaut werden. In Italien gibt es – Ypsilon sei dank – noch Garagisten. Aber in geplant 70 europäischen Städten muss Napolitano neue Betriebe aufbauen. Online-Verkäufe? Napolitano rechnet mit lediglich 15 Prozent.
Tavares lässt ihm zehn Jahre für die Reanimation. Seine Rechnung: Modelle der Massenmarken können nur mit Kostendisziplin profitabel sein. Aber bei einer sogenannten Premiummarke wie Lancia kann man für grosse Autos höhere Preise verlangen und mehr Marge machen – auch dank des Images. Aber daran wird Lancia noch arbeiten: Bei der Qualität nimmt Napolitano Mercedes als Massstab.
Hat Lancia eine Chance? Kunden von früher dürften skeptisch auf die Antriebe schauen – schon 2028 solls nur noch Stromer im Programm geben. Und Kunden von morgen interessieren weder Historie noch das Image von einst. Die zwei Modelle nach dem Ypsilon müssen eigenständiger sein und auf den neuen Elektroplattformen von Stellantis basieren. Idealerweise auf 800-Volt-Technologie, um sich mehr zu differenzieren als der Ypsilon, dessen Technik sich auch in Citroën- oder Fiat-Stromern findet.
Gamma soll die für 2026 geplante, 4,70 Meter lange Schräghecklimousine heissen, die betont luxuriös ausgestattet auch als Allradler kommen wird. «50 Prozent der Kunden werden aus Italien kommen; die andere Hälfte soll in anderen Nationen verkauft werden», erwartet Napolitano. Zwei Jahre später rollt dann der noch grössere Lancia Delta an – wohl als SUV.
Los gehts mit dem neuen Lancia Ypsilon im Frühsommer in Italien. Belgien, die Niederlande, Spanien und Frankreich folgen, 2025 startet Deutschland. Doch die Schweiz muss noch warten. Dabei gilt sie doch als der Premiummarkt in Europa.