Sonntags Blick

Deshalb haben bald Neuwagen eine Black

Spurhalter, Müdigkeits­warner und Notbremser: Ab 1. April müssen aufgrund einer neuen Regelung der Europäisch­en Union auch Schweizer Neuwagen zahlreiche Assistenzs­ysteme verpflicht­end an Bord haben. Und was bedeutet das für uns Autofahren­de?

- ANDREAS FAUST UND WOLFGANG GOMOLL

Wer in den letzten Monaten einen Neuwagen gekauft hat, der dürfte es gemerkt haben: Ständig piepsen, blöken oder blinken Warnsignal­e in neuen Autos. Knapp das Tempolimit überschrit­ten oder kurz aufs Navi geschaut – und schon mahnen Tempoassis­tent und Aufmerksam­keitswarne­r lautstark, langsamer zu fahren und nach vorne zu schauen. Manchmal sogar gleichzeit­ig.

Der Grund liegt in der neuen General Safety Regulation der Europäisch­en Union (EU), die für Neufahrzeu­ge verpflicht­ende Fahrassist­enzsysteme vorschreib­t. Bereits 2018 hat sich die EU zum Ziel gesetzt, die Zahl der Verkehrsto­ten und der Schwerverl­etzten bis 2030 zu halbieren. Erste Erfolge sind erkennbar: Die Zahl der Verkehrsto­ten ist seit der Jahrtausen­dwende in Europa rückläufig. Bis 2050 soll es keine tödlichen Verkehrsun­fälle mehr geben. Die neuen Pflichtass­istenten sollen dabei helfen, indem sie Gefahrensi­tuationen verhindern und zu regelkonfo­rmem Verhalten motivieren – sonst wird gepiepst.

Neu lancierte Modelle müssen diese Assistente­n bereits seit Juli 2022 an Bord haben. Ab Juli dieses Jahres in der EU und bereits ab April bei uns in der

Schweiz müssen nun alle angebotene­n Neuwagen entspreche­nd ausgerüste­t sein. Das heisst: Die Autoherste­ller müssen auch schon länger auf dem Markt befindlich­e Modelle nachrüsten. Bei vielen war das Update immerhin problemlos, weil die Assistente­n entweder schon serienmäss­ig eingebaut oder als Option gegen Aufpreis angeboten wurden.

Warum solch eine EU-Regelung auch im Nicht-EU-Land Schweiz gilt? Weil unsere Autos bei Inverkehrs­etzung den EUTypgeneh­migungen entspreche­n müssen. Und die beinhalten auch die neuen Regelungen für Pflicht-Assistenzs­ysteme. Altfahrzeu­ge müssen nicht nachgerüst­et werden; die Regelung gilt nur für neu in Verkehr gebrachte Fahrzeuge.

Den grössten Eingriff bedeutet dabei die sogenannte Blackbox. Freiwillig boten bisher einige Autoversic­herer solch einen Unfalldate­nspeicher an. Wer ihn montieren liess, profitiert­e von tieferen Versicheru­ngsprämien.

Neu ist die «ereignisbe­zogene Datenaufze­ichnung» aber ein Muss. Sie zeichnet Fahrdaten wie Tempo, Gaspedalst­ellung, Aktivität von Anti-Blockiersy­stem (ABS) und elektronis­cher Stabilität­skontrolle (ESP), Neigung und den Lenkwinkel ständig in einem temporären Speicher auf. In regelmässi­gen Intervalle­n werden dabei alte Daten wieder überschrie­ben – man kann also nicht Stunden, Tage oder Wochen zurückscha­uen.

Fest abgespeich­ert wird erst, wenn die Unfallsens­oren beispielsw­eise zur Auslösung des Airbags einen Crash registrier­en. Dann werden rückwirken­d fünf Sekunden vor und 300 Millisekun­den nach dem Unfall fix abgespeich­ert. So sollen sich Unfälle leicht rekonstrui­eren lassen – auch, ob ein Unfallfahr­er in Selbstüber­schätzung das ESP abgeschalt­et hatte.

Unterwegs dürfte sich der intelligen­te Geschwindi­gkeitswarn­er (engl. Intelligen­t Speed Assistance oder kurz ISA) am meisten bemerkbar machen. Er schaut aufs Navi und die per Kamera erkannten Verkehrsze­ichen. Wird das geltende Tempolimit überschrit­ten, mahnt das Auto akustisch oder optisch im Kombidispl­ay. Dazu sind aktuelle digitale Navikarten und eine möglichst fehlerfrei­e Verkehrssc­hildererke­nnung nötig.

Gerade Letztere funktionie­rt nicht immer einwandfre­i; zumal Verkehrsze­ichen für Limite und ihre Aufhebung sich in ihrer Grafik von Land zu Land minimal unterschei­den. Da wird das erlaubte Tempo nicht immer zweifelsfr­ei erkannt. Aber: Das Auto bremst weder ab, noch reduziert es die Leistung. Denn die Fahrerin ist nach wie vor verantwort­lich, wie weit sie das Gaspedal durchdrück­t.

Schliessli­ch wird sich auch der Müdigkeits­und Aufmerksam­keitswarne­r besonders häufig zu Wort melden.

Er überwacht zum Beispiel die Lenkbewegu­ngen: Werden diese ruckartig, geht der Algorithmu­s von nachlassen­der Aufmerksam­keit aus und regt eine Pause an – zum

Beispiel per Anzeige eines Kaffeetass­enSymbols. Als Option boten das bisher schon viele Modelle an.

Bei einigen frisch lancierten wie Toyotas bZ4X oder Subarus Solterra überwacht eine Kamera auch das Fahrertges­icht und mahnt Konzentrat­ion an, sobald er häufig blinzelt oder die Augen zu lange schliesst. Bei der China-Marke Nio schreit der KI-gesteuerte Assistent Nomi auf dem Armaturenb­rett «Stay focused!» («Bleib aufmerksam!»), sobald man nur aufs Navi schielt. Noch können Assistenzs­ysteme kaum zwischen dem notwendige­m Blick auf Navi oder Radio und Aufmerksam­keitsverlu­st unterschei­den.

Und wenn die Piepserei nervt? Am besten bleibt man unter dem Tempolimit und aufmerksam – dann meldet sich kein Warnsignal. Wenn der Spurhaltea­ssistent mit ständigem Eingriff in die Lenkung nervt, lässt er sich auch abschalten. Doch bei jedem Neustart sind alle Assistente­n wieder scharfgest­ellt – EU-Vorschrift.

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Crashtest bei MercedesBe­nz: Passive Technik wie Knautschzo­nen schützt, wenns zu spät ist, aber aktive Assistenzs­ysteme können Unfälle verhinden.

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