«ÜBER DROGEN
Hätte ich gerne geschrieben»
W Hatten diese Zettel eine ähnliche Funktion wie das Stoffheft?
Genau. So wie Stoffe ein gewisses Gefühl vermitteln, so habe ich damals meine Gefühle in Worte gefasst – Literatur ist der Stoff, aus dem das Leben ist. Wir erfinden ja nichts im Leben. Es ist ein Suchen und Finden und ein Wiedergeben.
In Ihrer Roman-Trilogie «Die Bagage», «Vati» und «Löwenherz» geben Sie Ihre Familiengeschichte wieder – Ihr literarischer Durchbruch.
Ich bin richtig durchgestartet.
Hat Sie der Erfolg mit «Die Bagage» aus dem Jahr 2020 verblüfft?
Total, ich habe das nicht erwartet.
Aber die Trilogie mit den Folgebänden «Vati» und «Löwenherz» war schon angelegt?
Nein, das war damals nicht geplant und kam erst mit dem Erfolg von «Die Bagage». Bis dorthin habe ich pro Buch tausend bis zweitausend Stück verkauft – mehr waren es selten.
Und von «Die Bagage» hunderttausend?
Mindestens! Seit ich diese autofiktionalen Bücher schreibe, habe ich den Eindruck, dass die Leute verrückt danach sind. Das liegt vermutlich daran, dass sie merken: Ich habe ja auch eine eigene Geschichte.
Wie zeigt sich das konkret?
Viele schieben ihr Leben weg. Und nun kommen Frauen zu mir und sagen: «Ich schreibe jetzt auch meine Geschichte auf. Oder wollen Sie meine Geschichte aufschreiben?» Dann sage ich: «Nein, das müssen Sie schon selber machen.»
Bei Stoffen gibt es Moden. Haben Sie mit dem autofiktionalen Stoff eine literarische Mode kreiert?
Ich habe den Trend beschleunigt. Die Nobelpreisträgerin Annie Ernaux hatte schon früher autofiktional geschrieben, Kim de l’Horizon machte das nachher – es hat einen richtigen Boom gegeben. «Mit den Sätzen verhält es sich wie mit den Kleidern», schreiben Sie in «Der Stoff». «Sie ver
bergen und sie verraten, und oft verbergen sie, indem sie verraten, und oft ist es umgekehrt.» Ist literarischer Stoff ein Kleid für eine Schriftstellerin?
Ja, so kann man das sehen. Und oftmals frage ich mich, ob mir das steht. Etwa, wenn es um die Beschreibung von Sexualität geht: Was über Sexualität geschrieben wird, ist zu 99 Prozent der Fälle zum Wegschmeissen.
Weshalb?
Es ist immer so peinlich, allein schon die Benennung der Geschlechtsorgane. Und wenn man es so klar wie möglich macht, dann wirkt es klinisch-medizinisch.
Lassen einen autofiktionale Bücher wie «Die Bagage» zuweilen nackt erscheinen, weil jeder unter dem Text die Autorin zu sehen vermeint?
Ja, es ist ein bisschen wie im Märchen «Des Kaisers neue Kleider» von Hans Christian Andersen, das ich in «Der Stoff» thematisiere – man gibt sich bis zu einem gewissen Mass eine Blösse.
Sie schreiben, dass Andersen das Märchen aus zweiter Hand hatte. Ist Literatur also auch die Secondhand-Verarbeitung von Stoffen?
Sehr oft. Und das ist ja nichts Schlechtes, wenn man einen Stoff aufgreift und neu interpretiert.
Bei Secondhand-Kleidern: Stört Sie da nicht der Geruch der Person, die das Stück zuvor getragen hat?
Doch, das ist ein Problem – deshalb kaufe ich auch keine Secondhand-Schuhe, weil ich die nicht waschen kann. Einen Mantel, den ich secondhand kaufe, gebe ich in die Reinigung.
Wie bringen Sie Gerüche aus Textilien?
Ein guter Trick: den Stoff über die Heizung legen – die Wärme nimmt die Gerüche weg. Das mache ich bei der Kleidung meines Mannes so. Und dann besprühe ich sie noch mit seinem Parfüm.
Bringen Sie die Kleidung nicht in die chemische Reinigung?
Ich gebe Kleider ungern in die chemische Reinigung, denn danach riechen die Stoffe auch wieder seltsam. Man hat das Gefühl, dass man kaum Luft kriegt.
Diese Probleme gibt es nicht bei gedruckten Büchern – die riechen auch in altem und gebrauchtem Zustand gut.
Wenn ich wegfahre, nehme ich meinen Kindle mit, weil ich nicht so viele Bücher mitnehmen kann. Aber gedruckte Bücher riechen schon toll.
Und wenn die Buchdeckel noch in Leinenstoff eingefasst sind, fühlen sie sich auch noch gut an.
Leineneinbände oder Fadenbindungen gibt es heute leider kaum mehr. Die sind zu teuer. Dafür gibt es heute richtig hässliche Bücher, die sind Junk – da müsste man einen Hamburger essen dazu.
Haben Sie als Autorin Einfluss auf die Buchgestaltung?
Weil ich seit der «Bagage» sehr viele Bücher verkauft habe, darf ich mitreden. Und dann sage ich, ich will das so, ich will mitbestimmen.
Damit der literarische Stoff eine sinnliche Ebene bekommt?
Beim Schreiben gibt es diese Ebene nicht, aber beim Lesen. Mein Mann las einmal die «Die Familie
Moschkat» von Isaac Bashevis Singer. Und dann kam er irgendwann in die Küche und fragte: «Haben wir Pflaumen da?» Er bekam Lust auf Pflaumen, weil er davon las.
Aber das ist ein Zwischenschritt: Er musste das gedanklich verarbeiten.
Gewiss, aber wenn ein Text einen nicht sinnlich anspricht, dann ist etwas faul.
Genau: Wenn ich zum Beispiel französische Literatur lese, bekomme ich zuweilen Lust, dazu französischen Wein zu trinken.
Wunderbar! Wenn Sie das machen, sind Sie ein verspielter Mensch – nüchterne Menschen machen das eher nicht.
Damit wären wir bei der dritten Ebene vom Stoff: den Drogen …
… ich hätte gerne auch darüber geschrieben, aber die Verlegerin wollte, dass das Buch nicht länger wird.
Sie schreiben: «Als junge Frau fühlte ich mich den Hippies verbunden, deshalb nähte ich mir weite Schlaghosen aus Vorhangstoffen.» Bei den Hippies waren noch andere Stoffe in Mode – haben Sie Drogen konsumiert?
LSD habe ich nie genommen, aber Cannabis habe ich hin und wieder konsumiert, selber angebautes, nicht zu vergleichen mit den Bomben, die man heute raucht. Ich habe immer gewusst, dass ich Kinder haben möchte, und da haben mich harte Stoffe geschreckt, weil ich nichts riskieren wollte. Haben Sie Drogen genommen?
Nein, vielleicht war ich zu wenig mutig. Aber dem Alkohol bin ich bei Gelegenheit – wie gesagt – zugetan.
Ja, ich mag Alkohol, nicht suchtmässig, er sollte eine gewisse Qualität haben.
Brauchen Sie ihn auch als Treibstoff beim Schreiben?
Beim Schreiben brauche ich einen klaren Kopf, da genügt mir starker Kaffee.
An welchem Stoff arbeiten Sie momentan?
Im Herbst erscheint ein Band mit Erzählungen – er wird heissen: «Wie das Leben weiterging – Geschichten für jeden Tag.»