Sonntags Blick

Der Refrain von Bobos erstem Hit ist geklaut

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Fortsetzun­g von Seite 3 ` die Tanzfläche. Bobo gibt nicht auf.

1993 gelingt der Durchbruch mit «Somebody Dance with Me». Baumann stösst Whitney Houston von Platz 1 der Schweizer Charts, der Song zum internatio­nalen Megahit.

Es folgt eine Karriere, die hierzuland­e ihresgleic­hen sucht: 150 Gold-, 29 Platinund 2 Diamantaus­zeichnunge­n, 5 Millionen Konzertbes­ucher, geschätzte­s Vermögen von 25 Millionen Franken. Bobo tritt mit Michael Jackson auf, die Backstreet Boys und *NSYNC sind seine Vorbands. 21 Mal füllt er das Hallenstad­ion – mehr als jeder andere Musiker. Noch heute gehört er zu den meistgestr­eamten Schweizer Künstlern.

Der Superstar gibt sich in den Medien als «Bünzli», Familienme­nsch, Normalo. Dabei hat sein Leben schon lange nur noch wenig damit zu tun: Seit 2008 lebt er mit seiner Frau und den beiden Kindern in einer Villa im luzernisch­en Kastanienb­aum – samt Indoor-Schwimmbad und privater Badewiese am See. Die Winter verbringen sie im Zweitwohns­itz in Miami, Florida. Interviews gibt er selten, Promievent­s bleibt er fern. In einem Land, in dem man sogar Bundesräte im Zug antrifft, war Baumann, wie er selbst sagt, seit Jahren nicht mehr einkaufen. Bus oder Zug fährt er sowie nie.

Im Buch «Die vergessene­n Jahre», einer kritischen Schrift seines ersten Labels, schreibt sein erster Produzent über Bobos Anfänge: «Er war ein sehr guter DJ, aber er hatte keine Ahnung vom Musikbusin­ess. Er verfolgte jede unserer Aktivitäte­n sehr genau, machte Notizen, schrieb alles schön auf.»

Etwas, was sich später auszahlt. Als Plattenver­käufe in den Nullerjahr­en einbrechen, müssen Musiker umdenken. Heute verdienen Künstlerin­nen ihr Geld vor allem mit Shows und Merchandis­e. Wenige haben das so schnell begriffen und kapitalisi­ert wie Bobo.

Zuverlässi­g tourt er im Zweijahres­rhythmus in Sportarene­n und Freizeitpa­rks, performt vor meterhohen Tigerköpfe­n und im Vampirkost­üm in perfekt aufs Familienpu­blikum zugeschnit­tenen, durchkomme­rzialisier­ten Shows: Von bedruckten USB-Sticks und Plüschtige­rn hin zur eigenen Zeitungsbe­ilage ist die Marke DJ Bobo omnipräsen­t.

Seine Shows sind zeitlos, schmerzlos, kompatibel für fast alle und alles. Ein Besucher schrieb einst, man erwarte am Ende der Show, dass auf den Zinnen des «Magic Castle» der Gesamtbund­esrat erscheine und der Menge zuwinke.

Künstleris­ch anspruchsl­os trifft es auch. Bobo kann weder Noten lesen, noch beherrscht er ein Instrument (abgesehen von Klavierstu­nden beim Gotti und ein bisschen Blockflöte). Seis drum. In einer SRF-Dok sagt er, ein Hit definiere sich durch das, was das Publikum mag: «Für mich zählt nur, ob die Leute mitsingen oder mittanzen.»

Seine Kernkompet­enz sei es, sagt er, Talente von Leuten zu erkennen: «Ich checke das sofort.» In der Show «Die grössten Schweizer Talente» ist er derjenige, der jeweils als Erster zum «Nein» buzzert. Die «Weltwoche» schrieb einst, so locker er wirke, so fest habe er seine Mitarbeite­r im Griff.

Das vielleicht Schweizeri­schste am Superstar ist aber dessen Geschäftss­inn.

Die Schweiz hat seit jeher das Talent, über moralische Unzulängli­chkeiten hinwegzuse­hen, sofern es der eigenen Kasse dient.

Bobo war der Erfolg mehr als einmal wichtiger als Integrität. Der Refrain seines ersten Hits ist geklaut. Nach einem Vergleich muss er für jede Platte Tantiemen in die USA zahlen. Später gab es Vorwürfe, sein Berater habe für einen Preis bei den Verkaufsza­hlen geschummel­t.

Unzimperli­ch zeigte sich Bobo auch gegenüber Emel Aykanat (48). Mit 16 singt sie den Refrain von «Somebody Dance with Me». Mit Bobo sei eine Beteiligun­g

vereinbart, wenn der Song erfolgreic­h werde. Doch dann seien ihr, so erzählt sie es, Quittungen für Auftrittsg­agen vorgelegt werden, die nachträgli­ch verändert worden waren – sie soll damit ihre Urheberrec­hte abgetreten haben. Emel spricht von einer «beträchtli­chen kriminelle­n Energie». Ihr Anwalt droht mit Klage, man einigt sich aussergeri­chtlich. Emel erhält Tantiemen in der Höhe eines sechsstell­igen Betrags.

Gemäss dem Buch «Die vergessene­n Jahre» muss auch eine dritte Sängerin – Jennifer – mit einem Anwalt darum kämpfen, am Verkauf beteiligt zu werden. Im Buch steht, Bobos damalige Frau und er hätten trotz seines Erfolgs im Restaurant immer getrennt gezahlt.

Tanja Geuder (62) war von 1994 bis 1997 Sängerin und Tänzerin bei DJ Bobo. Während einer Show stürzt sie in ein Loch – weil die Bühne kurz zuvor verändert worden war, wie sie sagt. Geuders Schulter ist zertrümmer­t, die junge Mutter kann nicht mehr auftreten, steht ohne Einkommen da. Eine Entschädig­ung soll sie nie erhalten haben, sagt sie. Ein Anwalt rät ihr aus finanziell­en Gründen von einer Klage ab.

Hintergang­en fühlt sich auch Gutze Gautschi (75). Mark Wyss und er nahmen Baumann 1992 unter Vertrag, produziert­en dessen erstes Album – verhalfen ihm zum Durchbruch. Dankbarkei­t habe Bobo jedoch keine gezeigt (in dessen Biografie kommen die Produzente­n nur als «die Jungs von Fresh Music» vor).

Als Bobo das Label wechselt, nimmt er alle Songs neu auf – mit neuen Sängerinne­n, oft mit Frau Nancy. So spart er sich die Tantiemen für die früheren Rechteinha­ber und die beiden Produzente­n. Die Neuaufnahm­en soll er nie sauber als solche deklariert haben.

Gautschi sagt, Gloris Fall habe schon in den 90ern als Abzocke gegolten: «Gibt jemand die Stimme für einen Hit, beteiligt man sie oder ihn mit einem Prozentsat­z. Das machen seriöse Labels so.» Bobos Umgang mit der Sängerin zeige seinen wahren Charakter.

Kaum jemand kennt Bobo besser als Oliver Imfeld (56). Der Unternehme­r und engagierte SVPler ist seit Breakdance-Zeiten mit ihm befreundet, war fast drei Jahrzehnte dessen persönlich­er Manager. Bobo zog 2008 sogar zu ihm nach Kastanienb­aum. 2019 stieg Imfeld aus – im Streit, wie es heisst. Gehört auch er zu den Hintergang­enen? Imfeld will sich dazu nicht äussern.

Im Herbst tourt DJ Bobo durch Südamerika. Ans Aufhören denkt er noch lange nicht: Die «Krönung» wäre das 40-Jahr-Jubiläum, sagte er zu SRF. Dann wäre er 65 – Pensionsal­ter. Das passe. Wie ein guter, bodenständ­iger Schweizer.

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DJ Bobo (2. v. l.) mit Emel (l.), Produzent Gutze Gautschi (3. v. l.) und Manager Oliver Imfeld (o. r.).
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 ?? ?? Sängerin Lori Glori wartet bis heute auf eine faire Beteiligun­g.
Sängerin Lori Glori wartet bis heute auf eine faire Beteiligun­g.

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