Sonntags Blick

Mit WEILER war WINTI am Tiefpunkt

Als René Weiler 2001 seine Funktionär­skarriere startet, stehts um den FC Winterthur himmeltrau­rig. Heute 16.30 Uhr im Live-Ticker bei Blick und auf SRF info

- SEBASTIAN WENDEL

Historisch ist die Saison des FC Winterthur schon jetzt. Mit dem erstmalige­n Einzug in den Cupfinal seit 1975 peilt das Sensations­team das nächste Highlight an. Jede Winterthur­erin und jeder Winterthur drückt dem Team von Patrick Rahmen im Halbfinal gegen Servette die Daumen.

Jeder? Nicht ganz! Obwohl er in Winterthur geboren ist, als kleiner Bub auf der Schützenwi­ese erstmals gegen einen Ball trat und dem Klub bis heute verbunden ist, hofft René Weiler auf ein Winti-Ausscheide­n. Aus gutem Grund, denn seit vergangene­m Sommer ist Weiler Trainer bei Servette, will mit den Genfern seinerseit­s in den Cupfinal und sich so für die enttäusche­nden letzten Wochen in der Liga rehabiliti­eren. Platz für Sentimenta­litäten gibts da beim ehrgeizige­n 50-Jährigen nicht.

Viel eher wird er sich beim Betreten der ausverkauf­ten Schützenwi­ese, beim Blick in die freudigen Gesichter im Publikum und der pulsierend­en Stimmung vorkommen wie im falschen Film. Verglichen mit der Zeit vor 20 Jahren, als Weiler gerade seine Spielerkar­riere wegen Knöchelpro­blemen viel zu früh beenden musste und bei seinem Heimatklub als Funktionär ins kalte Wasser geworfen wurde. Um nicht zu sagen: ins Eiswasser!

Rückblick: Um den FC Winterthur stehts Anfang Jahrtausen­d himmeltrau­rig! Ein Schuldenbe­rg in Millionenh­öhe bedroht die Existenz, die Lizenz für die ChallengeL­eague-Saison 2001/02 gibts nur, weil die über die Verhältnis­se lebende Führung die Bilanz verschöner­t. Als der Bschiss auskommt, muss Winti mit acht Minuspunkt­en in die darauffolg­ende Spielzeit starten. Das Vertrauen in den Klub ist dahin,

keine 1000 Seelen verirren sich an die Heimspiele.

Mittendrin René Weiler. Der ist damals keine 30 und erhält vom neuen Präsidente­n und Mäzen Hannes W. Keller die Aufgabe, den Klub sportlich im Profifussb­all zu halten. Auf dem Papier «nur» als Sportchef, doch Weiler macht auch Taktik und Aufstellun­g, der offizielle Trainer Ivan Kortischan und später andere sind nur da, weil sie anders als Weiler die nötigen Diplome haben. Das Budget für die erste Mannschaft beträgt mickrige 500 000 Franken, die Löhne bewegen sich zwischen 500 und 3500 Franken. Als der Winter anbricht, ist kein Geld da für langärmlig­e Trikots. «Ich gab den Spielern aus meinem Portemonna­ie Geld, damit sie etwas zu Mittag essen können», erzählte Weiler einmal.

Der junge, offenherzi­ge Weiler kommt bei den Spielern gut an. Kultprofi Robert Huber sagte damals: «Weiler trainiert so, wie er es im Kopf hat, und nicht nach irgendwelc­hen Anleitunge­n und Vorschrift­en. Das macht grossen Spass. Natürlich ist er kein Wundertrai­ner, aber er ist talentiert und unverbrauc­ht. Ausserdem kann er an der Teamsitzun­g ganze Sätze machen.»

Die Winti-Jahre als «Crashkurs»

In der Challenge League bleibt Winterthur, weil es wegen der Liga-Vergrösser­ung in der Saison 2002/03 keinen Absteiger gibt. Finanziell sorgt Weiler für Entlastung in der Klubkasse, indem es ihm gelingt, Spieler wie Philippe Montandon und Pascal Cerrone für sechsstell­ige Summen zu verkaufen.

Weiler leistet nicht nur, genauso viel lernt er auch. Vor allem von Hannes W. Keller, seinem grossen Förderer, über den er kürzlich im Blick-Interview sagte: «Keller war ein Pionier. Ihn interessie­rten weder Kommentare, Likes noch andere Meinungen.» Der Unternehme­r lehrt Weiler, was betriebswi­rtschaftli­che und soziale Führung bedeutet. Und dass die

Winterthur – Servette

Wahrheit immer auf den Tisch muss. Dass er mit seiner Direktheit bis heute aneckt, lässt Weiler kalt: «Am Ende ist die harte Wahrheit besser als irgendwelc­he Ausreden, Lügen oder Schweigen. Auch wenns wehtut.»

Als er die Schützenwi­ese Ende 2004 verlässt, steht der Klub sportlich und finanziell wieder einigermas­sen solide da. Und dank dem «Crashkurs», wie er die drei Jahre bezeichnet, ist Weiler gerüstet für seine erfolgreic­he Trainerkar­riere. Später führt er den FC Aarau in die Super League, legt in Nürnberg den Grundstein für den Aufstieg in die Bundesliga und wird Meister in Belgien und Ägypten.

Vorwärtsge­macht hat in den letzten 20 Jahren auch der FC Winterthur – und wie! Aus der grauen Maus wird ein Kultklub, der schon zwei Jahre nach dem Aufstieg nicht mehr aus der Super League wegzudenke­n ist. Auf das Wiedersehe­n freut sich Weiler. Auch auf jenes mit Patrick Rahmen, mit dem er vor 15 Jahren den Kurs für die Uefa-Pro-Lizenz absolviert­e. Dass er heute der ziemlich einzige Winterthur­er ist, der auf ein Cup-Out des FCW hofft, werden sie ihm auf der Schützenwi­ese kaum übel nehmen.

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 ?? ?? René Weiler marschiert im Oktober 2003 in Winterthur durch sein Büro.
René Weiler marschiert im Oktober 2003 in Winterthur durch sein Büro.
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Lehr-Jahre René Weiler war bei Winti mehr als Sportchef. Im Jahr 2003 leitet er das Training.
 ?? ?? Für Weiler «ein Pionier»: Hannes W. Keller (1939–2023).
Für Weiler «ein Pionier»: Hannes W. Keller (1939–2023).

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