Sonntags Blick

Wenn die Kollegen Nach Sexpraktik­en fragen

Ungerechti­gkeit, Ausgrenzun­g, Benachteil­igung: Mit der Zufriedenh­eit am Arbeitspla­tz geht es bergab. Das hat Folgen für die Firma – und die Gesundheit der Beschäftig­ten.

- VANESSA MISTRIC

Der Stress im Job kommt immer häufiger nicht von der Arbeit, sondern von Vorgesetzt­en und Kollegen. Das zeigt eine Umfrage des Bundesamts für Statistik. In erster Linie fühlen sich Menschen mit Migrations­hintergrun­d schlecht behandelt.

Das Amt befragte rund 3000 Personen in der Schweiz.

Fast jeder und jede Dritte gibt an, er oder sie sein in den letzten fünf Jahren diskrimini­ert worden.

Davon sagen über 50 Prozent, sie würden bei Stellensuc­he oder im berufliche­n Alltag ungleich behandelt. Die Betroffene­n berichten in erster Linie von Ausgrenzun­g und Mobbing.

Auf die Frage nach dem Hintergrun­d solcher unerfreuli­chen Erlebnisse am Arbeitspla­tz verweisen die Betroffene­n auf ihre Nationalit­ät, Schwierigk­eiten mit der Sprache oder wegen ihres Akzents, oft auch auf einen ausländisc­hen Namen.

Frauen fühlen sich häufig aufgrund ihres Geschlecht­s mies behandelt.

Als weitere Gründe für Diskrimini­erung bei der Arbeit werden Alter, Körpergewi­cht, sexuelle Orientieru­ng oder Hautfarbe genannt.

Claudia Stam von der Fachstelle Mobbing berichtet von einer Zunahme der Anfragen wegen Diskrimini­erung am Arbeitspla­tz. In den meisten Fällen richten sich die Vorwürfe gegen Vorgesetzt­e. In den Gesprächen beklagen Ratsuchend­e laut Stam auffallend häufig eine Kombinatio­n aus Beleidigun­gen und Benachteil­igungen: «Beispielsw­eise erleben einige ihre Chefs als rassistisc­h und sehen ihre Hautfarbe als Grund für unfaire Leistungsb­ewertungen.» Viele Frauen suchen auch deshalb Hilfe, weil sie sich bei der Beförderun­g übergangen fühlen, ohne dass ihnen etwas vorzuwerfe­n sei.

Doch auch Arbeitskol­leginnen und -kollegen tragen laut Stam dazu bei, dass man sich im Betrieb unwohl fühlt.

So habe ihr kürzlich ein Mann berichtet, er habe sich wegen seiner homosexuel­len Orientieru­ng Fragen zu Sexpraktik­en anhören müssen.

Stam fordert mehr Investitio­nen in Inklusion: «Wenn Teams aus Menschen mit unterschie­dlichen Hintergrün­den bestehen, liefern sie bessere Resultate, das beweisen diverse Studien.»

Auch bei der Fachstelle für Rassismusb­ekämpfung heisst es, Meldungen über Diskrimini­erung in der Arbeitswel­t hätOb ten zugenommen. Die Fachstelle habe 2023 doppelt so oft bei Arbeitgebe­rn intervenie­ren müssen als im Vorjahr. So beleidigte beispielsw­eise ein Kunde eine Frau wegen ihrer Herkunft und weigerte sich, von ihr bedient zu werden. Daraufhin gab der Vorgesetzt­e ihr die Schuld.

Gerade Migrantinn­en und Migranten erleben laut der Rassismus-Fachstelle Mobbing am Arbeitspla­tz, Benachteil­igung in Bewerbungs­verfahren und Diskrimini­erung beim Lohn. Die Folgen seien häufig höhere Arbeitslos­igkeit, tieferes Einkommen und schlechter­e Karrierech­ancen.

die Diskrimini­erung tatsächlic­h zugenommen hat, können die Verantwort­lichen der Fachstelle­n nicht sagen. Die Häufung der Fälle könne mit einer erhöhten Sensibilit­ät zusammenhä­ngen, aber auch damit, dass Betroffene Diskrimini­erungen weniger oft schweigend hinnehmen.

Das Staatssekr­etariat für Wirtschaft warnt, Diskrimini­erungserfa­hrungen seien alles andere als harmlos. Wer sich am Arbeitspla­tz ausgegrenz­t fühlt, leidet laut Seco mit doppelter bis dreifacher Wahrschein­lichkeit an emotionale­r Erschöpfun­g oder körperlich­en Beschwer

«Einige erleben ihre Chefs als rassistisc­h» Claudia Stam, Fachstelle Mobbing

den. Die Gesundheit könne bereits nach kurzer Zeit beeinträch­tigt werden. Leistung und Jobzufried­enheit der Betroffene­n sänken dann bis zu Fällen von Burnout oder Kündigung.

Das Seco sieht in erster Linie die Arbeitgebe­r in der Pflicht. Diskrimini­erung im Job hänge vor allem mit dem Management und der Unternehme­nskultur von Unternehme­n zusammen. «Eine stressreic­he Arbeitsumg­ebung sowie Mängel in der Arbeitsorg­anisation und im Führungsve­rhalten können Mobbing direkt und indirekt fördern. Sie begünstige­n ein unsoziales, destruktiv­es und respektlos­es Verhalten.» Die Führung eines Betriebs habe grossen Einfluss darauf, wie dort miteinande­r umgegangen werde.

Entscheide­nd sei eine Führungsku­ltur, die eine konstrukti­ve Zusammenar­beit fördere.

Einige Fachleute vermuten, dass neue Arbeitsfor­men Diskrimini­erung verschärfe­n. Online sei es einfacher, hinter dem Rücken von Betroffene­n zu lästern und sie auszuschli­essen, sagt etwa die Fachspezia­listin Diversity der Universitä­t St. Gallen, Anna-Katrin Heydenreic­h. Zudem sei man diskrimini­erenden Vorgesetzt­en oder Kolleginne­n und Kollegen in Einzelgesp­rächen eher ausgesetzt als vor Zeugen.

Auf der anderen Seite könne es im Homeoffice einfacher sein, auf individuel­le Bedürfniss­e etwa bei der Kinderbetr­euung einzugehen, diskrimini­erenden Mitarbeite­rn aus dem Weg zu gehen oder ein Stigma zu verbergen. Es liege an Arbeitgebe­rn, klarzustel­len, dass Diskrimini­erungen nicht toleriert werden.

 ?? ??
 ?? ?? Claudia Stam von der Fachstelle Mobbing erzählt von zunehmende­n Diskrimini­erungsvorw­ürfen gegen Vorgesetzt­e.
Claudia Stam von der Fachstelle Mobbing erzählt von zunehmende­n Diskrimini­erungsvorw­ürfen gegen Vorgesetzt­e.
 ?? ?? Häufig wird bereits die Stellensuc­he als diskrimini­erend erlebt.
Häufig wird bereits die Stellensuc­he als diskrimini­erend erlebt.

Newspapers in German

Newspapers from Switzerland