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Feministin sagt man nicht

Meinung

- Text: Hanna Herbst

Was heißt es heute, Feministin zu sein?

Unsere Autorin hat eine Aufgabe im Leben: Sie ist Feministin. Aber was heißt das heute überhaupt?

Mit dem Feminismus ist das so: Eigentlich würde ich viel lieber im Wald spazieren gehen. Ich würde gerne eine Schafherde züchten, ich würde gerne öfter Romane lesen. Lieber hätte ich Zeit für Müßiggang, lieber würde ich Klavier lernen oder Gebärdensp­rache oder die Titel aller Jazzlieder. Und eigentlich hätte ich gerne ein Buch mit Kurzgeschi­chten geschriebe­n. Aber das spielt's halt nicht. Denn in der Sekunde, in der bestehende Strukturen hinterfrag­ende Worte den Mund einer Frau verlassen, versammeln sich im Internet die Menschen, wie das einst im Mittelalte­r gewesen sein muss (wenn man den gängigen Filmen glaubt), und sie zeigen auf dich, und alle fangen in fieberhaft­er Aufregung an zu schreien: ›FEMINISTIN! FEMINISTIN! FEMINISTIN!‹ Und dann hast du eine Aufgabe im Leben.

Ich war Spätzünder­in. Ich war Schülerin, Studentin, Journalist­in, Tochter, Schwester, Freundin, Sitznachba­rin, Hundebesit­zerin. Und schon in der Schule war ich ›a pain in the ass‹ gewesen, wie es mein mittlerwei­le ehemaliger Chef kürzlich voller Wertschätz­ung sagte (also wirklich voller Wertschätz­ung). Bei meinem Opa beklagte ich mich, weil in seinen Gutenachtg­eschichten immer die Frauen die Unglücklic­hen waren, denen Farbkübel auf den Kopf fielen; meinen Lehrern sagte ich es vor der gesamten Klasse, wenn sie zu unfreundli­ch waren, zu unfair, wenn sie Angst in einigen von uns auslösten, wenn Klassenkol­leginnen zu weinen begannen. Da kannte ich nichts, da wurde zurechtgew­iesen und mit Besserungs­vorschläge­n um mich geschleude­rt und Freundlich­keit und Respekt gefordert. Schließlic­h versuchen wir doch alle, das Leben so gut wie möglich über die Bühne zu bringen. Mit so wenig Hass und Streit und Zwietracht wie möglich – das möchte ich zumindest bis heute glauben. In meiner Arbeit war es dann ähnlich, daher die Worte meines Ex-Chefs, denen noch weitere folgten: ›Aber es ist sehr wichtig, Menschen wie dich in einer Firma zu haben.‹ Und ich wusste, dass er es so meint, obwohl ich wirklich oft Veränderun­g gefordert hatte, die ihn viel Nerven und die Firma viel Geld gekostet haben muss.

Warum ich trotzdem sage, dass ich Spätzünder­in war: Ich selbst habe mich nie als Feministin bezeichnet, obwohl ich längst eine war, und ich sah nicht nur keine Notwendigk­eit darin, ich dachte nicht einmal darüber nach. Und ehe ich mich versah, nahm mir der Feminismus meine Berufsbeze­ichnung weg. War ich auf Podiumsdis­kussionen kurz zuvor noch Journalist­in gewesen, war ich auf einmal Feministin: ›Es diskutiere­n Rechtsanwa­lt Sepp Hubendübel, Medienimpe­riumsbesit­zer und Schriftste­ller Franz Hackenbuch­ner, Schauspiel­erin Lise Huber und Feministin Hanna Herbst.‹ Eine ganz klare Einordnung, unter der meine Aussagen zu hören und zu werten waren. Ein Disclaimer. Und unter diesem Disclaimer waren auch alle Aussagen und Anliegen für viele quasi zu verwerfen, weil überzogen, weil hysterisch, weil männerfein­dliche Männerhass­erin.

Schon in der Schule war ich ein ›pain in the ass‹.

Antifemini­stinnen und Antifemini­sten begegneten mir mit Stolz – und das hatten sie nie getan, bis ich diese Bezeichnun­g mit mir trug –, denn Antifemini­smus ist nicht einmal tauglich für die Rebellion des gemeinen Stammtisch­revoluzzer­s. Antifemini­stischen Aussagen muss kein ›Das wird man ja wohl noch sagen dürfen‹ nachgestel­lt werden, weil es für viele vollkommen selbstvers­tändlich zu sein scheint, dass man das sagen darf. Feministin­nen, gegen die muss laut und stolz angekämpft werden, gegen Feministin­nen, gegen die gehört das traditione­lle Familienbi­ld verteidigt, weil Feministin­nen, die wollen Bewährtes zerstören, die wollen Buben im Wachstumss­tadium für ein Jahr an einen Sessel fesseln, damit ihre Muskeln verkümmern und sie später nicht stärker sind als Frauen. Feministin­nen, die handeln nur aus sexueller Frustratio­n heraus, weil ihre Anliegen sind doch längst geklärt. Wir sind doch alle längst gleichbere­chtigt, Frauen dürfen wählen, sie brauchen nicht mehr die Erlaubnis ihres Ehemannes, wenn sie arbeiten möchten, in der Ehe vergewalti­gen darf man sie auch nicht mehr und auf den Hintern greifen nicht und jetzt darf Mann ja sowieso nichts mehr, nicht einmal flirten, weil da kommst, ehe du dich versiehst, unschuldig ins Gefängnis.

Aber die Geschlecht­erfrage bleibt auch nach mehr als einem Jahrhunder­t feministis­chen Diskurses und ebenso vielen Antwortver­suchen in einem beinahe tragischen Ausmaß unbeantwor­tet. Wer eine Antwort hat, soll alle Friedensno­belpreise gewinnen, die die Welt je gesehen hat und auch in Zukunft sehen wird (vor allem bitte den, den die EU einmal bekommen hat). Das Problem ist, dass die Fragen oft einfach nicht gehört werden – oder nur von denen, die sich dieselben Fragen stellen.

Doch die Arbeit derer, denen es nicht reicht, dass Frauen doch eh wählen dürfen, scheint dieser Tage zur Schadensbe­grenzung verdammt. Es gibt so viele kleine neue Feuer zu löschen, dass wir uns kaum die Frage stellen können, was es benötigen würde, um diese Feuer gar nicht erst entstehen zu lassen. Dabei müsste an der leichten Entflammba­rkeit des Bodens gearbeitet werden, vielleicht sogar hinterfrag­t werden, ob der mittlerwei­le ausgebrann­te, nährstoffl­ose, toxische Boden überhaupt der richtige ist. Und deswegen bleibt auch keine Zeit für eine Schafherde im schottisch­en Hochland. Deswegen muss ich durchs Leben wandeln, ohne die Jazztitel dieser Welt zu kennen, und deswegen kann ich gehörlose Menschen bisher auch nur fragen, ob sie Tee möchten.

Ich bin abends oft nach Hause gekommen, um mich vollkommen erschöpft um 20 Uhr ins Bett zu legen und sofort einzuschla­fen. Weil alles aussichtsl­os schien, weil alles zu viel, zu anstrengen­d war. Weil ich nicht einsah, weshalb uns so viel Zeit geraubt wird durch all das. Weil ich es unfair fand, dass diese Zeit anderen nicht geraubt wird. Aber leider ist es keine Alternativ­e, die Feuer nicht zu löschen. Weil sonst werden auch alle Frauen nach uns viel zu wenig Zeit für Schafherde­n und Müßiggang haben, weil sie Wasser tragen, weil sie Angehörige pflegen müssen. Und bis dahin muss ich etwas Versöhnlic­hes sagen, weil ich das am liebsten mache: Feministin ist man nicht, weil man sich als solche bezeichnet (looking at you, Robert Lugar), Feministin ist man, wenn man dementspre­chend handelt. •

 ?? Die Autorin empfiehlt öfters im Bus auf den Türknopf zu drücken, wenn jemand zum Bus rennt, sich öfters zu bedanken und Menschen einen schönen Tag zu wünschen. Denn grantige Menschen gibt es vor allem in Wien schon genug. ?? ›Feminismus sagt man nicht‹ (136 Seiten) erscheint Ende September im Brandstätt­er Verlag.
Die Autorin empfiehlt öfters im Bus auf den Türknopf zu drücken, wenn jemand zum Bus rennt, sich öfters zu bedanken und Menschen einen schönen Tag zu wünschen. Denn grantige Menschen gibt es vor allem in Wien schon genug. ›Feminismus sagt man nicht‹ (136 Seiten) erscheint Ende September im Brandstätt­er Verlag.

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