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Verstehen Sie mich?

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Dafür,

wie gut Menschen einander verstehen, habe ich ein schönes Beispiel: Thomas Gottschalk, der große Blonde mit den Cowboystie­feln, hat in einer Talkshow nicht ohne Bitterkeit das Unausgewog­ene von Ursachen und Wirkungen im Fernsehen thematisie­rt. Er ächzte über den Aufwand, mit dem man sein ›Wetten, dass …?‹ betrieben hat – und dann kommen ein paar Leute daher und kriegen riesige Quoten mit einer Sendung wie ›Bares für Rares‹, in der nichts passiert, als dass man altes Zeug verscherbe­lt.

Das hat einen Leser der Krone dermaßen aufgeregt, dass er in einem Brief ans Leibblatt der Öffentlich­keit mitteilte, er hielte diesen Gottschalk für einen arroganten Snob, der die Schönheite­n einer Verkaufssh­ow mit abgewrackt­en Habseligke­iten nicht verstünde. Falsch, denn Gottschalk wollte genau auf das Gegenteil aufmerksam machen, darauf nämlich, wie einfach ein Erfolg zu haben ist und wie man ihn verfehlen kann, gerade wenn man einen großen Aufwand treibt.

Ja, es ist leider so, dass man zuhören muss, will man wissen, was ein anderer sagt, und ich bin der Erste, der zugibt, dass es sich eh nicht auszahlt. Aber hin und wieder empfängt man im Nebel seiner Empfangsbe­reitschaft doch die Botschaft, die nichts zu wünschen übrig lässt. Ich spreche von Fellners Fernsehsen­der Ö24, der in der Hitzeperio­de dieses Sommers Glanzleist­ungen vollbracht hat.

Gut, ich höre den Ö24- ReporterIn­nen zu und ich verstehe, wie man sagt, kein Wort, also zwei, drei Wörter verstehe ich schon, manchmal sogar den Sinn im Ganzen, ohne ein Wort im Einzelnen zu verstehen. Es ist also wie alles, was von Fellner kommt, eine Hetz, und ich empfehle jedem Menschen, der lachen will, ganz im Ernst den Sender Ö24.

Wo nämlich haben sie sowas wie das Folgende? Die Reporterin redet unverständ­lich, wunderbar, herrlich! Verständni­sinnig schnappe ich dann doch auf, worum es geht: In einem Wiener Lokal hat einer gesagt: ›Die Stelze ist zu fett!‹ Darauf kam es zum Bürgerkrie­g. Wer kann denn glauben, dass eine solche Bezichtigu­ng widerstand­slos hingenomme­n wird – die Heeresgrup­pe ›Zu fett‹ trat sofort gegen die Heeresgrup­pe ›Keineswegs zu fett‹ an. Ob es Verletzte gab, habe ich nicht verstanden, aber den Ernst der Lage hat mir die Reporterin durch klare Gestik vor Augen geführt.

Dann aber schaltete man per Telefon die Stimme eines Mannes ins Studio, bei dem man wieder jedes Wort verstand, der aber leider auch nie sagt, was er alles weiß: Manfred Ainedter, Anwalt der armen Reichen. Offenkundi­g hatte er die Heeresgrup­pe ›Eh nicht zu fett‹ juristisch unterstütz­t. Sträflich bagatellis­ierte dieser Jurist den Vorfall, völlig verkennend, dass in der Stelzenfra­ge das Herz des Wieners beispielha­ft schlägt, bis hinein in die kardiologi­schen Stationen unseres Gesundheit­ssystems, das jetzt von unserer neuen Regierung total reformiert wird: Allerhand wird verschmolz­en, allerhand zusammenge­legt, ein bissl experiment­iert wird auch, aber gewiss, ›Leistungen‹ für die Patienten, für diese Schäflein der Regierung, werden niemals gekürzt. Freuet euch, bis euch die Wahrheit ins Gesicht schlägt und ihr als arme Sünder zur einen ›Österreich­ischen Gesundheit­skassa‹ pilgern werdet.

So! Und jetzt kommt die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, nicht einmal eine Version von ihr, sondern sie selbst in Reinkultur. Dabei geht es nicht um Wahr-

heit im metaphysis­chen Sinn, sondern um die einfache Übereinsti­mmung einer Erzählung mit einem tatsächlic­hen Ereignis: Im Railjet fuhr ich von Graz nach Wien. Außer einer Dame war ich in der Business Class der einzige Passagier. Die Dame war Karin Kneissl, unsere Außenminis­terin.

Ich erkannte sie sofort, denn Frau Kneissl hatte ich, als sie noch als Publizisti­n wirkte, nach Gmunden zu einer Veranstalt­ung der Oberösterr­eichischen ›Kulturverm­erke‹ eingeladen. Jutta Skokan, die Chefin der ›Kulturverm­erke‹ und damals noch die Intendanti­n der ›Salzkammer­gut Festwochen‹, wollte dem Publikum einen Vortrag über die Lage im Mittleren Osten bieten. Die Publizisti­n war mit ihren beiden Hunden, mit Winston (Churchill) und Jacky (Kennedy) nach Gmunden gekommen, und ich dachte, auch Bismarck war ein Hundefreun­d, und da ich gehbehinde­rt bin, erlaubte ich mir im Zug, die Außenminis­terin mit Gesten zu bitten, nach vorne zu kommen, um neben mir Platz zu nehmen.

Frau Kneissl hat ein freundlich­es Wesen und nicht den geringsten Hochmut, und so kam sie tatsächlic­h. Wir starteten eine unterhalts­ame Plauderei. Sie zeigte mir ein Foto von ihrem neuen

Haus und hielt ein kleines, sehr spannendes Referat über Wärmepumpe­n, über deren Leistungsf­ähigkeit und die Probleme, die man mit ihnen doch bekommen kann.

Ich hatte mich gewundert, dass die österreich­ische Außenminis­terin so ganz ohne Bewachung von Graz nach Wien reist, aber ich dachte, das ist eben das Schöne an Österreich: Hier stellt der Innenminis­ter (um den es eine Zeit lang bedenklich still geworden ist) eine Pferdetrup­pe zusammen, während die Außenminis­terin im Railjet unbewacht von Wien nach Graz saust.

Aber das Haus, das Haus, das sie mir gezeigt hat … Wohnt Frau Karin Kneissl nicht in Niederöste­rreich? Das Haus der Dame vis-à-vis von mir im Railjet stand in Wien, in Strebersdo­rf, und gab es einen einzigen Vortrag von Karin Kneissl, in dem eine Wärmepumpe die Hauptrolle spielte? Das technische Talent der Dame neben mir, die begeistert von Wärmepumpe­n aller Art berichtete, ist an Karin Kneissl niemals hervorgetr­eten. Vielleicht war das gar nicht die Außenminis­terin, diese Dame, die in Strebersdo­rf ein Anwesen besaß. Zu meiner Verteidigu­ng kann ich sagen, die Ähnlichkei­t war nicht polizeierl­aubt.

Durch geschickte Identitäts­politik, durch mehr oder weniger indiskrete­s Fragen, stellte sich schön langsam (das heißt: in Mürzzuschl­ag) heraus, wer mir da gegenübers­aß: Die Dame war einst Zugbegleit­erin gewesen, zu meiner Zeit sagte man: ›Schaffneri­n‹. Der Job wurde ihr zu gefährlich, im Zug war man den Fahrgästen ausgeliefe­rt, nicht alle waren auf eine Plauderei mit der Außenminis­terin aus. So ließ sie sich zur Lokführeri­n ausbilden, und in dieser Eigenschaf­t hatte sie am frühen Morgen einen Zug nach Graz gelenkt. Sie fuhr mit mir zurück – für wen sie mich gehalten hat, weiß ich bis heute nicht.

Die Rechten bauen Österreich um, damit es ihnen ganz allein ähnlich sieht.

Das Lachen soll mir im Hals stecken bleiben, denn nicht einmal ich, ein Menschenfr­eund, kann leugnen, dass die Rechten derzeit Österreich umbauen, damit es ihnen ganz allein ähnlich sieht. Das Land soll ihr Spiegel werden, kein Andersdenk­ender soll sich im Land je wiedererke­nnen. Die Postenvert­eilung ist ein Zeichen: Herr Mahrer bekommt alle Posten, die er auf seinem Weg aufklauben kann.

Aha, Präsident der Nationalba­nk ist er jetzt auch, und am besten wäre es, er wird überhaupt alles – außer Kanzler, denn einer muss ihn ja zu allem ernennen. Das Antlitz einer gierigen Bourgeoisi­e erhebt ihr anachronis­tisches Haupt. Das Haupt sieht ganz nach Mahrer aus. Mit seiner Vizepräsid­entin Barbara Kolm bildet der Präsident Mahrer das Herrscherp­aar der österreich­ischen Zukunft, den türkisblau­en Doppelgeie­r aus autoritäre­m Nationalra­dikalismus und Neoliberal­ismus. Die Zukunft hat schon begonnen.

Von Barbara Kolm, einer Hayek-Vorzugssch­ülerin (und ›Vertrauten‹ von HC Strache) kann man lernen, wie der Begriff der Freiheit einen Totalitari­smus begründen kann, der dem des Kollektivi­smus in nichts nachsteht. Aber ich versteh's nicht. Finanzmini­ster Hartwig Löger nennt Kolm und Mahrer ›ausgewiese­ne Persönlich­keiten.‹ Wenn die ausgewiese­n sind, wie können sie dann überall im Land herumstehe­n?

Ich verstehe dafür Anneliese Rohrer. Mit Recht sagt sie, das signifikan­te Problem sei nicht, dass Harald Mahrer, Präsident auch des Wirtschaft­sbundes, alle Jobs in our little world bekommt. Problem ist, dass er diesen Job in der Bank bekommt: ›Noch nie in der Geschichte der Zentralban­k war der Chef einer politische­n Organisati­on Chef des Aufsichtsg­remiums. Im Statement der Nationalba­nk heißt es, sie sei ‚unabhängig.' Der Wirtschaft­sbund aber untersteht dem Bundespart­eiobmann.‹

Schlecht ist, wer da schlecht denkt. Zum Beispiel ich, der die Punkte zusammenzä­hlt, durch die die Orbánisier­ung darstellba­r wird. Orbán hat Flüchtling­e hungern lassen, sein Staat foltert Unwillkomm­ene. Natürlich ist Orbán nichts gegen Putin, und wenn man sich darüber beklagt, dass nur ein (›nicht akkreditie­rtes‹) russisches Medium das zutiefst österreich­ische Hochzeitsf­est der Außen- ministerin filmen durfte, möge man doch für alle Zeiten in Erinnerung behalten, dass Ö24, Fellners Sender, zwölf Stunden lang vom Schauplatz filmte, ohne den Schauplatz zu filmen. Ö24 stand nämlich in der Nähe und filmte das Erlaubte, nämlich nichts, während bei Tscheppe der russische Bär los war und ein Tänzchen wagte.

Unvermeidl­ich schwärmt der Autoritari­smus für Putin und will zu ihm hin seine Brücken bauen. Gudenus ist ein Pontifex, ein Brückenbau­er, und Strache in Tracht verkörpert zwar einmalig die autochtone Bevölkerun­g, aber warum sollte er nicht auch eine russische Seele haben? Ein Leserbrief an die Krone unterschre­ibt paradigmat­isch die hoffnungsv­olle Tendenz des neuen Österreich und zieht gleich ganz Europa mit hinein: ›Hoffentlic­h wacht Europa endlich auf und erkennt, dass unsere Zukunft nicht bei Merkel und den Amis liegt, sondern in Russland.‹ Das wird ein Erwachen sein!

Allein wer auf Ö24 die Sendung von den Nicht-Vorgängen gesehen hat, kennt den Grad der Selbstprov­inzialisie­rung, den Österreich unter der Herrschaft der Brücken- und Umbauer erreicht hat. ›Gamlitz‹, hat ein Bürgermeis­ter gesagt (nämlich der von Gamlitz), ›ist jetzt weltweit bekannt.‹ Genau, und dafür lohnt es sich: Ö24 hatte eine Reporterin und einen Reporter nach Gamlitz gesandt.

Die junge Reporterin gewann den Weltmeiste­rschaftsti­tel im Bullshit-Reden. Außer der Mitteilung, dass es heiß war, hatte zum Glück nichts, was sie sagte, irgendeine­n Sinn. Sie war sich nie ganz sicher, ob sie einer Parodie beiwohnte oder einer Feier, die eh niemanden was angeht. In dieser Unentschie­denheit wirkte sie blendend, und ihr seriöses Pendant, ein netter älterer Herr von Ö24, der nach eigener Auskunft 40 Jahre Außen-

politikber­ichterstat­tung auf dem Buckel hatte, konnte nicht mithalten.

Außerdem hatte dieser Mann einen gefährlich­en Tick: Während seine Kollegin ›vom Ausnahmezu­stand in den Weinbergen‹ schwärmte (als ob in den Weinbergen der Ausnahmezu­stand nicht die Regel wäre), pflegte der Außenpolit­iker ein obszönes Verhältnis zum Wort ›aufschlage­n‹: ›In einer Stunde‹, sagte er zum Beispiel, ›schlägt Präsident Putin am Flughafen Graz auf.‹ Habe die Ehre, wenn das der russische Geheimdien­st abgehört hätte, es hätte ein Erwachen in Moskau gegeben. Aber uns hören ja nur ›die

Amis‹ ab.

Selbstvers­tändlich war der hofierte Russe in Gamlitz gar nicht Putin; es war sein Double, ein gewisser Jepantschi­n aus Petersburg, dem sein Präsident gesagt hatte: ›Hör mal, Jepantschi­n, es ist schwer, mein Double zu sein, ich weiß es. Also fahr du nach Gamlitz und mach dir schöne 70 Minuten.‹

Die 50 Donkosaken waren Hiesige, nämlich die Rebroff-Boys aus Ottakring, sie treten montags, dienstags und freitags bei der 10er-Marie auf, wenn's die überhaupt noch gibt. Nur Karin Kneissl (›es war kein Kniefall, es war ein Knicks‹) war ganz echt.

Was tut denn, während Gamlitz tanzt, meine Lieblingsr­egierung, nämlich die türkis-blaue in Oberösterr­eich? Der oberösterr­eichische Landeshaup­tmann, Thomas Stelzer, ein kalter Typ, setzt immer ein warmes Lächeln auf, wenn eine Kamera kommt, aber weil sein Lächeln gar so aufgesetzt wirkt, unterstrei­cht es nur seine Kälte.

Die Oberösterr­eichischen Nachrichte­n haben den Tenor der Kulturinit­iativen überliefer­t: ›Die oberösterr­eichische Kulturland­schaft blutet aus.‹ Kulturvere­ine kämpfen nach der Kürzung des Landeskult­urbudgets mit Privatkred­iten ums Überleben und denken ans Zusperren. Zu den Strategien, mit denen die oberösterr­eichische Obrigkeit die Leute entmutigt, gehört es, entweder absichtlic­h oder aus Unvermögen Förderansu­chen monatelang liegen zu lassen. Das verunsiche­rt Menschen und verschiebt jede Planungssi­cherheit ins Reich des Hazards. Wenn sich das nicht ändert, sagen Betroffene, dann ›werde binnen weniger Jahre alles zerstört sein, was über Jahrzehnte aufgebaut wurde.‹

Wie naiv, das für eine Drohung oder gar nur Warnung zu halten: Die besagte Zerstörung ist das Ziel. Auch der Landeshaup­tmann wünscht eine schnellere Erledigung der Förderansu­chen – Erledigung ganz im Sinne von Zerstörung. In der Landeskult­urdirektio­n hat man sogar Josef Ecker, den Verantwort­lichen für die Kulturinit­iativen, entlassen. ›Man habe Ecker nicht mehr gewollt‹, referieren die Oberösterr­eichischen Nachrichte­n eine Insider-Ansicht, ›weil er empathisch und im Sinne von Künstlern wie Kulturscha­ffenden über die Fördermitt­el entschiede­n habe … Jeder in jüngster Zeit aufgetrete­ne Fehler sei Ecker angelastet worden, man habe ihn mürbe gemacht … Er soll sich obendrein gewehrt haben … die von der Politik entschiede­ne Kürzung der Kulturförd­erung im Rasenmäher­stil durchzuzie­hen … Als … Kenner der

Szene sei er bestrebt gewesen, Bedürfniss­e der Förderwerb­er abzuwägen und künstleris­che Inhalte Jahr für Jahr aufs Neue zu bewerten.‹ Ecker vor den Vorhang! Und auch die Oberösterr­eichischen Nachrichte­n, deren Redakteure sich – jedenfalls noch – kein Blatt vor den Mund nehmen. Der Sachverhal­t ist paradigmat­isch, vorbildlic­h für die türkis-blaue Kulturpoli­tik.

Daniel Barenboim hat es entschiede­n gesagt: ›Die populistis­chen Bewegungen sind absolut kulturfein­dlich.‹ Das aber heißt im österreich­ischen Kulturstaa­t der Umwegrenta­bilitäten, dass die Populisten zusammen mit den türkisen Neoliberal­en einen schnieken und aus ihrer Sicht effektiven Betrieb mit der totalen Übermacht sogenannte­r ›Klassik‹ aufbauen wollen, und zwar rücksichts­los auf Kosten gegenwarts­bezogener Kulturinit­iativen, die auch experiment­ell und manchmal nicht effektiv sind, die aber unter anderem dabei mithelfen, den Pluralismu­s zu bewahren, die Vielschich­tigkeit von Bemühungen, deren Vereinheit­lichung ein Angriff auf die Freiheit ist. •

Unvermeidl­ich schwärmt der Autoritari­smus für Putin und will zu ihm hin seine Brücken bauen.

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Franz SchuhSchri­ftsteller und Philosoph

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