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›Wir fressen uns dem Ersticken entgegen‹

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Wie mich der Historiker Philipp Blom enttäuscht­e.

Philipp

Blom betritt das Café Korb und enttäuscht mich. Wir wollten spazieren gehen. Nun steht er da: vollbepack­t mit Einkaufssa­ckerln und einem Geigenkoff­er um die Schulter. Draußen hat es 37 Grad. Also gut, kein Spaziergan­g. Dann eben Gspritzte bestellen und den Luftzug herbeisehn­en.

Wir fressen uns dem Ersticken entgegen, mit diesem Satz sorgte der Historiker und Schriftste­ller in diesem Sommer für Aufmerksam­keit. Er sprach ihn als Eröffnungs­redner der Salzburger Festspiele, warf ihn der Elite vor die Füße. Wir seien letztlich nicht viel weiter als Hefepilz, der sich explosiv vermehrt, indem er Zucker frisst, immer weiter, unersättli­ch, bis alle Ressourcen aufgebrauc­ht sind und er an seinen eigenen Ausscheidu­ngen erstickt und verhungert.

Wenn Blom so etwas ausspricht, klingt es feiner, als es auf Papier aussieht. Seine sorgfältig­e Sprache und die weiche Stimme sind Markenzeic­hen. In Hamburg geboren, studierte er in Oxford und lebt nun in Wien. Warum eigentlich? Weil es die schönste Stadt der Welt ist, nicht wahr?

Weil uns Paris zu teuer war. Das sagt er einfach so. Die nächste Enttäuschu­ng. Wien hat allerdings meine schlimmste­n Erwartunge­n nicht erfüllt. Na, immerhin.

Die Geige, weshalb die Geige? Das ist die Hauptdarst­ellerin meines nächsten Buches. Er erzählt, wie sie ihm vor Jahren in die Hände fiel, wie ihn ihr Klang und ihre Geschichte nicht mehr losließen. ›Eine italienisc­he Reise‹ wird das Buch heißen und es wird die Geschichte eines anonymen Geigenbaue­rs aus dem Allgäu erzählen, der um 1700 durch Europa reist. Es wird aber auch meine eigene Spurensuch­e beinhalten – insgesamt ein seltsames Buch. Anhand dieses Instrument­s, das süddeutsch­e und venezianis­che Techniken vereint und hier neben uns auf der ausgebleic­hten Bank liegt, erforscht und erzählt Blom europäisch­e Geschichte. In zehn Tagen will der Lektor das Manuskript auf seinem Tisch. Nur weiß ich noch nicht, wie die Geschichte zu Ende gehen soll.

Wir reden über Handwerk und Musik, über den Zauber der steten methodisch­en Bemühung, etwas zu schaffen, das eigentlich viel zu schwer ist. Blom stammt aus einer Musikerfam­ilie, wollte profession­eller Geiger werden. Bis er mit 16 Jahren das Konzert eines Gleichaltr­igen gehört hat. Ich wusste: Niemals werde ich so gut sein. Egal, wieviel ich übe. Eine Kränkung? Ja, natürlich! Ich teile einen naiven Gedanken mit ihm: Würde jeder Mensch ein Musikinstr­ument spielen, wäre die Welt dann nicht eine bessere? Ich muss Sie enttäusche­n. Schon wieder. Ich bin im Umfeld von Musikern aufgewachs­en, und Sie glauben nicht, wie neurotisch und widerlich die sein können.

Mich interessie­rt, wofür unsere Zeit dereinst als signifikan­t gelten wird. Blom schmunzelt milde, weil Historiker diese halborigin­elle Frage wohl oft gestellt bekommen, beantworte­t sie dennoch: Die Erderwärmu­ng und wie wir nicht darauf reagieren. Dann erzählt er von einem Beamten der niederländ­ischen Küstenwach­e, der ihn nach einem Vortrag über den Klimawande­l ansprach und meinte, alle Experten seien sich einig, dass die Deiche erhöht werden müssten – nur wisse man nicht, ob um 30 Zentimeter oder um sechs Meter.

Diese Ratlosigke­it sei der wahre Grund für unsere Lähmung. Wenn wir uns einig wären, dass wir unsere spirituell­en, sozialen und wirtschaft­lichen Deiche um einen Meter erhöhen müssen, dann würden wir das ziemlich sicher schaffen. Aber wir sind uns nicht einig.

Spaziergan­g wird das keiner mehr. •

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PHILIPP BLOMarbeit­et als Historiker, Schriftste­ller und Übersetzer. Der gebürtige Hamburger lebt und arbeitet in Wien. Demnächst erscheint sein Buch ›Eine italienisc­he Reise‹.
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Sebastian Loudon Herausgebe­r

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