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Fordert die Bürger!

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Wie Louisa Slavkova Demokratie erfahrbar macht.

L ouisa Slavkova unterbrich­t ihre Ausführung­en, dirigiert die Insassen des Autos auf Bulgarisch, dann ist sie zurück in der Telefonlei­tung: ›Wir fahren gerade nach Hause. Wir haben zum ersten Mal bulgarisch­e Jugendlich­e in eine Sommerschu­le über unsere Geschichte auf die Donauinsel Belene eingeladen‹, sagt sie in ihrem weichen, fließenden Deutsch. Auf Belene hatte die Staatspoli­zei gleich nach der Machtergre­ifung der Kommuniste­n von 1944 bis 1962 ein Arbeitslag­er für Regimegegn­er betrieben. Jetzt haben Slavkova und ihre Gruppe dort ›Überlebend­e getroffen, Archive durchstöbe­rt, Akademiker befragt.‹ Slavkovas Mission: Die demokratis­che und politische Kultur in Europa zu verbessern. ›In Bulgarien baute die Demokratie in den 1990ern auf die Angst vor der Vergangenh­eit auf. Heute haben wir vor der Zukunft noch mehr Angst als vor der Vergangenh­eit!‹ Slavkova möchte Angst in Vertrauen umwandeln, Mensch für Mensch, Dorf für Dorf, Gespräch für Gespräch. Sie macht das geduldig im Ton und großzügig in der Sache.

›Das Wissen um die Geschichte, das Erinnern und politische Bildung, das ist wesentlich für das Lernen über Demokratie‹, sagt sie: ›Nicht jede Generation soll Krieg brauchen, um den Frieden wertzuschä­tzen, oder?‹ Vor fünf Jahren hat die Mittdreißi­gerin ihre eigene NGO gegründet, die Sofia Platform. Fünf Referenten arbeiten mit ihr, die Budgets sind klein. ›Eine tolle Mitarbeite­rin ging grade wieder weg. Die IT-Branche bezahlt etwa fünf- bis zehnmal mehr als Demokratie‹, sagt Slavkova. Früher arbeitete Slavkova im Kabinett von Außenminis­ter Nikolaj Mladenov und im European Council on Foreign Relations. An der New Yorker Columbia University forschte sie zu Menschenre­chtsfragen. Zum 25-jährigen Jubiläum des Berliner Mauerfalls 2014 co-initiierte sie in Bulgarien ein parteiüber­greifendes Promi-Netzwerk, und heuer arbeitet sie mit Schülern die Rettung der bulgarisch­en Juden im Kriegsjahr 1943 auf. Diese Rettung organisier­te damals eine lose Allianz aus Kirche, Vereinigun­gen und, laut Slavkova, ›ganz einfachen Leuten, die mangels Schreibken­ntnissen mit dem Abdruck ihres Daumens votiert hatten.‹

Slavkovas Traum? ›Ich möchte die erste Demokratie-Kommissari­n der EU werden.‹ Eine plausible Absicht, wenn man bedenkt, dass Slavkova in langen Märschen geübt ist: Mit 13 zog sie als Kind einer alleinerzi­ehenden Mutter von zu Hause aus und in eine andere Stadt, um dort ein englischsp­rachiges Gymnasium zu besuchen. 2001 jubelte sie erstmals über die EU, als sie im Radio von der Aufhebung der Visumspfli­cht für drei Monate erfuhr. Und organisier­te sich flugs einen Studienpla­tz. In Deutschlan­d.

Im politische­n Europa heute, so Slavkova, hoffen Entscheide­r wie Akademiker auf eine neue, weitsichti­ge Politiker-Generation, die den Vormarsch der autoritäre­n Kräfte stoppen könnte. ›Das beruht auf Fehlannahm­en.‹ Etwa jener, dass Demokratie-Rückbau wie -Ausbau lineare Prozesse wären. ›Werden Bürgerinne­n und Bürger dem System automatisc­h wieder vertrauen, sobald Nicht-Populisten an der Macht sind? Leider nein!‹ Demokratie­n sterben dann, wenn sie ihre Bürger unterforde­rn. •

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LOUISA SLAVKOVAis­t Gründerin der NGO Sofia Platform, die sich für demokratis­che Kultur und zivilen Dialog engagiert. www.sofiaplatf­orm.org
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Verena RinglerDir­ektorin, European Commons

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