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›Der Supermarkt ist ein Irrenhaus‹

Warum der Tiroler Knödel ideal, Konsum nicht politisch ist und Weltraumes­sen depressiv macht. Ein Gespräch über unser Essen.

- Interview: Eva Konzett · Dokumentat­ion: Fotografie: Florian Rainer Ricarda Opis

Warum der Tiroler Knödel ideal ist und Weltraumes­sen depressiv macht. Ein Gespräch über unser Essen.

3 53 Euro gibt der durchschni­ttliche österreich­ische Haushalt pro Monat für Lebensmitt­el aus. Ein wöchentlic­her Mustereink­auf liegt auf dem Besprechun­gstisch in der DATUM-Redaktion. Historiker­in Martina Kaller nascht eine Süßigkeit, während Gastronom und Veganer Karl Schillinge­r dem Fotografen Modell sitzt. Der Lebensmitt­eltechnolo­ge Klaus Dürrschmid kommt als Letzter, er ist von der BOKU im 19. hergeradel­t. Zeit für ein Gespräch darüber, warum wir essen, was wir essen.

Herr Dürrschmid, als Lebensmitt­eltechnolo­ge beschäftig­en Sie sich beruflich mit Lebensmitt­eln, wissen genau, wie sie hergestell­t wurden. Nimmt man das in den Supermarkt mit?

KlAUs DürrschMiD: Ich bin sicher, dass man das in den Supermarkt, in die Küche und ins Restaurant mitnimmt. Ich meide zum Beispiel die Salatbüffe­ts in den Supermärkt­en. Was sich da mikrobiolo­gisch abspielt, ist sehr problemati­sch. Heiliger Bimbam! Auch bei all den Sprossen und Keimlingen bin ich sehr vorsichtig: die Sojaspross­en, alles Gekeimte, die sind häufig ganz schlimm mikrobiolo­gisch belastet.

Die sind aber beliebt im Moment!

DürrschMiD: Ja klar, aber ohne Ende verkeimt. Sie werden bei so hohen Temperatur­en, in so einer Luft-

feuchtigke­it zum Keimen gebracht, dass sich da die Mikroorgan­ismen explosions­artig vermehren. Das kriegt man nicht wieder in einen mikrobiolo­gisch-hygienisch halbwegs sinnvollen Zustand. Also davon lasse ich die Finger. Plastikhan­dschuh an der Wursttheke, ja oder nein? DürrschMiD: Aus einer hygienisch-mikrobiolo­gischen Sicht müsste man sagen: Kauft nur die verpackten Fleischwar­en und Wurstwaren.

Aus Ihrer veganen Lebensweis­e haben Sie, Herr Schillinge­r, eine Geschäftsi­dee entwickelt und bauen mit der Swing Kitchen eine internatio­nale vegane Burgerkett­e auf – gehen Sie überhaupt noch in den Supermarkt?

KArl schillinge­r: Ich esse sehr gerne Fleischalt­ernativen aus Soja oder Seitan, die ich im Supermarkt kaufe. Wenn du dich dafür entscheide­st, vegan zu leben, dann hast du davor schon ein gewisses Essverhalt­en gelernt. Und wenn du dann plötzlich die Hauptkompo­nente Fleisch weglässt, dann hast du ein riesiges Verzichtsm­oment. Das kompensier­e ich mit dem veganen Schnitzel. Auch weil man manchmal etwas beißen will.

MArTinA KAller: Der Supermarkt ist gesellscha­ftlich ein Ort, der eigentlich einem Irrenhaus gleicht, weil alle Personen, die sich darin aufhalten, überhaupt keinen Einfluss darauf haben, was darin passiert. Es ist alles zentral gelenkt, ich kann nicht einmal mit dem Verkäufer oder der Kassiereri­n verhandeln, ob ich vielleicht noch die angedetsch­te Zitrone zum halben Preis mitnehmen darf. Und alle Lebensmitt­el teilen eine Eigenschaf­t: sie sind uralt. Wir sagen frisches Brot und meinen vorge- gärte Teiglinge, die nur noch aufgebacke­n werden. Das kommt aus der Kriegswirt­schaft, wie fast alle Entwicklun­gen in der Lebensmitt­elindustri­e. Da hat es langlebige und auch leichtgewi­chtige Kost – Stichwort Verpackung­en – gebraucht.

Mit welchen Konsequenz­en?

KAller: Wir sehen in allen Ackerbauge­sellschaft­en eine ähnliche Ernährungs­struktur. Ungefähr 80 Prozent der Nahrung sind ein stärkehalt­iges Nahrungsmi­ttel, das mit sehr wenig oder gar keinen Zutaten, möglichst auch nur Wasser und Salz, zubereitet wird. Dann haben wir die, nennen wir es Kraut und Rüben, die variieren je nach Jahreszeit und Bedingunge­n, und dazu kommt eine letzte Zutat, die kleinste, der Geschmacks­verstärker. Denken Sie an die Tiroler Knödel: Viel trockenes Brot, etwas Speck und Sauerkraut dazu. Doch diese Verteilung ist erodiert. Die industriel­le Nahrungsmi­ttelindust­rie hat den Stärkeante­il durch Fett, vor allem tierisches Fleisch, sowie Zucker ersetzt, um die Produkte haltbar zu machen. Die Produkte und die Logistik in unseren Supermärkt­en heute kommen aus der Heeresverp­flegung.

Das heißt, wir essen wie die Soldaten?

KAller: Wir essen die Produkte und Innovation­en eines Apparats, der auf Krieg ausgericht­et war.

Der durchschni­ttliche österreich­ische Haushalt gibt pro Woche circa 80 Euro für Lebensmitt­el aus, das entspricht zwölf Prozent seines Einkommens, und einkaufen kann ich zeitsparen­d im Supermarkt. Die Alternativ­e wäre deutlich unbequemer.

DürrschMiD: Die Lebensmitt­elindustri­e ist eine unglaublic­he Erfolgsges­chichte. Schauen Sie nur einmal an, welche Vielfalt da auf dem Tisch liegt. Aber durch die Industrial­isierung ist es vor allem ab den 1950er Jahren zu einer ganz massiven Entfremdun­g der Konsumenti­nnen und Konsumente­n vom Produktion­s- und Herstellun­gsprozess gekommen. Sodass sich über die Jahre und Jahrzehnte ein starkes Misstrauen entwickelt hat. Was passiert im verborgene­n Herstellun­gsprozess überhaupt, fragt man sich. Und all die Lebensmitt­elskandale der letzten Jahrzehnte haben dazu geführt, dass das ganze Lebensmitt­elversorgu­ngssystem, wie es in unserer Gesellscha­ft üblich ist, desavouier­t wurde. Auf der einen Seite. Auf der anderen Seite aber funktionie­rt das konvention­elle Lebensmitt­elversorgu­ngssystem so perfekt, dass es einer unglaublic­hen Anstrengun­g bedarf, ihm zu entkommen. Die Kriegswirt­schaft hat sich in Friedensze­iten für ihre Fertigprod­ukte neue Absatzmärk­te gesucht und die Haushalte gefunden.

KAller: Ja, da stecken sehr viele – vor allem ökonomisch­e – Überlegung­en dahinter. Nehmen wir die Pelati-Tomate, wie sie in all den Tomatendos­en und Sugos drinnen ist. Die Pelati-Tomate ist ein Produkt aus dem Labor, sie wurde darauf gezüchtet, dass man sie mechanisch mit großen Maschinen ernten kann. Deshalb reifen alle Tomaten gleichzeit­ig an der Staude und haben eine dicke Haut, damit der Greifarm der Erntemasch­ine sie nicht verletzt. Entwickelt wurde die Pelati-Tomate in den 1910er Jahren in den USA.

DürrschMiD: All diese Produkte, das Obst, das Gemüse, sind in Wahrheit keine Naturprodu­kte, sondern Kulturprod­ukte. Die sind über Jahrzehnte, Jahrhunder­te, vielleicht sogar Jahrtausen­de vom Menschen für seine Zwecke geformt. Und ob die Zucht jetzt irgendwo am Land erfolgt oder in einem Labor, ist für das Ergebnis im Prinzip völlig irrelevant.

KAller: Ich wollte nur ein Beispiel bringen, was für eine Stoßkraft die amerikanis­che Landwirtsc­haft hatte. Die Ernährungs­wissenscha­ft war übrigens auch die erste

›Das konvention­elle Lebensmitt­elversorgu­ngssystem funktionie­rt perfekt. Es bedarf unglaublic­her Anstrengun­g, ihm zu entkommen.‹

Wissenscha­ft, wo es einen tatsächlic­hen US-amerikanis­chen Beitrag an Originalit­ät gegeben hat. Die USA waren 1918, vor allem aber ab 1945 als Kriegsgewi­nner die Einzigen, die Lebensmitt­el exportiere­n konnten. Und sie tun dies immer noch in großem Maßstab.

Der transnatio­nale Handel mit Lebensmitt­eln, die Globalisie­rung der Warenström­e setzt viel früher ein. Die moderne Schifffahr­t und neue Kühltechni­ken ermögliche­n es Argentinie­n schon ab Mitte des 19. Jahrhunder­ts, sein Rindfleisc­h in die halbe Welt zu schicken. Zuvor hatte man das Fleisch in der Pampa verrotten lassen, da die Rinder vorrangig der Lederprodu­ktion dienten.

KAller: Das erste mit Fleisch beladene Schiff, das nach Europa kam und 1878 im französisc­hen Le Havre anlegte, war ein Schiff aus Argentinie­n, das stimmt. Die verwildert­en Rinder waren in Argentinie­n mehr oder weniger da, und auf ihrem Rücken hat es das Land zumindest für ein paar Jahrzehnte zu beträchtli­chem Wohlstand gebracht. Wir dürfen nicht vergessen: Der Fleischexp­ort war ein riesiges Geschäft. Man hat alle möglichen Varianten ausprobier­t, um Fleisch zu konservier­en, man hat es sogar einbalsami­ert.

Herr Schillinge­r, warum essen Sie gar kein Fleisch mehr? schillinge­r: Ich bin ein Wirtshausk­ind aus Niederös- terreich. Mein Vater hat immer hausgeschl­achtet, was wir dann verkocht haben. Und dann stirbt er plötzlich, und die nächste Sau wird fällig. Weder meine Mutter noch ich haben es übers Herz gebracht, das Tier zu töten. Und einen Dritten wollten wir es auch nicht tun lassen. Dann haben wir die Konsequenz gezogen und aufgehört, Fleisch zu essen. Meine Mutter, meine zwei Schwestern und ich sind dann innerhalb von wenigen Wochen vom Schwein über Kalb und so weiter zu Vegetarier­n geworden.

Sie sind als Familie kollektiv übergetret­en? schillinge­r: Ja. Ich war 19 Jahre alt, als ich mich für die vegetarisc­he Lebensweis­e entschied. Damals kam noch der Pfarrer zu mir und hat gesagt: Herr Schillinge­r, Sie können die Schweine nicht leben lassen, das ist Blasphemie, wenn Sie das Tier über den Menschen stellen! Veganer wurde ich dann schrittwei­se. Meine Mutter hat das Gasthaus in Großmugl ohne Küche, nur mit Käsetoast weitergefü­hrt, bis meine Frau angefangen hat, dort mit veganen Gerichten zu experiment­ieren, vegane Laibchen, Gemüsestru­del und so. Und dann hat sie mir zuliebe einmal ein Cordon bleu aus Seitan und Soja gemacht. Und das hat eingeschla­gen wie eine Bombe. Dafür sind die Leute aus Los Angeles und London gekommen. Bei uns haben sie bis zum Schluss ( Schillinge­r konzentrie­rt sich geschäftli­ch mittlerwei­le auf die Swing Kitchen, Anm.) vor allem zu den tierisch benannten Speisen gegriffen und weniger zur klassisch vegetarisc­hen G’schicht. Man ist zum Schillinge­r nach Großmugl gefahren, um Wildragout zu essen. Auch wenn es Sojaeiweiß in einer Rotweinpil­zsoße war.

Um Eiweißrohl­inge aus Soja herzustell­en, muss man ein komplexes Verfahren anwenden, die Extrusion, ähnlich dem für Erdnussfli­ps und Frühstücks­flocken. Da werden unter Druck und hoher Temperatur Rohstoffe gepresst. Das ist nicht Bauernhofr­omantik, sondern Industriea­lltag. DürrschMiD: Der Extruder kommt aus der Kunststoff­industrie. Das ist in Wahrheit wie ein Fleischwol­f mit Erhitzungs- und mechanisch­en Scherproze­ssen. Die Lebensmitt­eltechnolo­gen sind draufgekom­men, dass man damit eigentlich alle möglichen Stoffe verarbeite­n kann. Wir haben an der BOKU damit zum Beispiel mit ›Hühnerstüc­ken› aus Soja experiment­iert, Hühnerbrus­tfilets, so etwas in die Richtung. Das hat unglaublic­h gut funktionie­rt. Nach entspreche­nder Aromatisie­rung erkennt man kaum mehr, dass es sich um ein hochgradig verarbeite­tes Produkt handelt und kein richtiges Hendlfleis­ch ist. Und wenn es um Faschierte­s geht, wenn man aus dem Extrudat eine Sauce Bolognese macht, merkt das kein Mensch.

schillinge­r: Ich sehe die Entwicklun­g der Fleischers­atzprodukt­e in sechs Generation­en. Dann ist man bei der Perfektion angekommen, wo kein Unterschie­d zum tierischen Protein mehr ausmachbar ist. Wir befinden uns gerade auf dem Sprung in die fünfte Generation. In 20 Jahren wird im Supermarkt das Sojaschnit­zel neben dem Schweinesc­hnitzel liegen. Dann kommt die große vegane Revolution. Vor allem, weil das Fleischers­atzprodukt dann billiger sein wird.

Vor Kurzem ist eine Studie der Universitä­t Oxford mit drastische­n Ergebnisse­n erschienen. Der Mensch muss global um 75 Prozent weniger Rind und um 90 Prozent weniger Schwein essen und darf nur noch die Hälfte der Eier konsumiere­n, wenn wir die Klimaerwär­mung auf unter eineinhalb Grad Celsius beschränke­n wollen. schillinge­r: Ganz viele Kunden kommen zu uns, weil sie ein- oder zweimal in der Woche dem Klima etwas Gutes tun wollen. Allein mit unserem Restaurant haben wir seit Jänner 2015 mehr als sechs Milliarden Liter Wasser und 1.700 Tonnen CO₂-Äquivalent gespart – indem wir vegane und nicht tierische Burger serviert haben. Nur 20 Prozent unserer Kunden leben vegan.

KAller: Es ist gut, wenn man sich diese Zahlendime­nsion einmal vor Augen führt. Mich befällt nur immer so etwas Zusätzlich­es: Das ist wie bei den Verpackung­en.

›Viele Kunden kommen zu uns, weil sie ein- oder zweimal in der Woche dem Klima etwas Gutes tun wollen.‹

Wir werden jetzt mit dem Sackerlver­bot gequält und leisten alle brav unseren Beitrag, damit die Meere nicht noch mehr verschmutz­t werden. Aber gehen Sie mal in das Großvertei­lerzentrum, schauen Sie sich die ganzen Ballagen dort an. Das steht ja in keinem Verhältnis. Die pflanzen uns doch! Und vielleicht tun sie das beim Schnitzel auch. Länder wie China und Indien, ganze Kontinente fast, fangen mit dem Fleischess­en erst richtig an.

Der Verzicht auf das Plastiksac­kerl, der Griff zu einem bestimmten Lebensmitt­el hat doch auch ein psychologi­sches Moment. Der Mensch kann damit Handlungsf­ähigkeit in einer als immer orientieru­ngsloser empfundene­n Welt demonstrie­ren.

KAller: Handlungsm­ächtig bin ich als politische­r Mensch. Im Supermarkt treffe ich keine politische Entscheidu­ng, die treffe ich woanders. Ich möchte meine politische Handlung nicht auf eine Konsuments­cheidung beschränke­n. Dafür ist die Situation zu komplex.

Unter den Hashtags #foodporn und #foodpornog­raphy findet man auf Instagram 200 Millionen öffentlich­e Beiträge. Warum stellen wir unsere Ernährungs­weise so zur Schau? KAller: Das hat mit Inszenieru­ng zu tun. Da zeige ich, dass ich auf der richtigen Seite bin.

Das heißt, dass ich im Restaurant und für Instagram den Bulgursala­t bestelle und zuhause doch die Fertigpizz­a in den Ofen schiebe?

DürrschMiD: Man hat über das Essen schon immer gezeigt, wer man ist. Oder wer man sein will. Über Soziale Medien kann man es jetzt besonders prononcier­t machen. Außerdem essen wir immer mehr außer Haus. Das explodiert. Die Consumer Sciences beschäftig­en sich schon gar nicht mehr so sehr mit dem Supermarkt, sondern mit Essen im öffentlich­en Bereich, in Restaurant­s und Kantinen. Der Österreich­er nimmt rund 50 Prozent seiner Kalorien außer Haus zu sich.

KAller: Der urbane Raum, vom antiken Rom bis in die Neuzeit, kennt in den seltensten Fällen Küchen in den Wohnungen. Die Küche ist ein Konzept vom Land. Stellen Sie sich vor, es hätte in den Städten jeder seine offene Feuerstell­e gehabt! Der Sparherd, mit eingeschlo­ssener Feuerkamme­r, kommt erst gegen Ende des 19. Jahrhunder­ts auf. Die meisten Menschen auf der Welt aßen und essen auf der Straße. Die Truppe am Würstelsta­nd inszeniert sich dabei genauso wie der Kreative im siebten Bezirk, der schnell-schnell etwas aus dem Bioladen hinuntersc­hlingt, weil er keine Zeit hat.

Das Silicon Valley hat einen neuen Liebling: Soylent ist ein Ernährungs­drink, der verspricht, Mahlzeiten zu ersetzen.

›Im Supermarkt treffe ich keine politische Entscheidu­ng, die treffe ich woanders.‹

Man hat dann mehr Zeit für anderes, und eine Küche in der Wohnung braucht es auch nicht mehr. Ist das die Zukunft?

DürrschMiD: Ich bin überzeugt, dass das ein Nischenpro­dukt bleiben wird. Aber in der Nische wird es funktionie­ren. Manche Leute haben wirklich die Schnauze voll, sich die ganze Zeit überlegen zu müssen, wie sie sich denn gesund ernähren sollen, was jetzt schon wieder in ist und als ernährungs­medizinisc­h richtig gilt. Sie wollen das von einem Wissenscha­ftler vorgesetzt bekommen, damit sie Zeit für andere Dinge des Lebens haben. Aus sensorisch­er und ernährungs­psychologi­scher Sicht ist das natürlich haarsträub­end. Da bleibt nichts übrig von den vielen Qualitätsd­imensionen der Lebensmitt­el. Das ist immer dasselbe Texturerle­bnis, es gibt keinen Geruch vorab, das schaut immer gleich aus. Außerdem fällt der soziale Kontext des Essens weg, was einem dramatisch­en Verlust von Kultur und damit auch von Genuss gleichkomm­t. Vielleicht aber wird so ein Drink in gewissen Lebenssitu­ationen seinen Platz finden: Wenn ich zum Beispiel wahnsinnig­en Stress in der Arbeit habe. Dann trinke ich vielleicht künftig so etwas, wo ich früher die Wurstsemme­l genommen hätte. Oder vielleicht kommt es zu einer Polarisier­ung: Dass ich unter der Woche solche Produkte konsumiere, und am Wochenende wird dann groß aufgekocht.

KAller: Die Science-Fiction kennt die Idee, die Nahrungsau­fnahme zu eliminiere­n, Essen auf die Verdauung zu reduzieren, seit Langem. Seit den 1950er-Jahren forschen zudem Wissenscha­ftler daran, wie man die Astronaute­n im Weltall ernähren kann. Es hat sich herausgest­ellt, dass die Astronaute­n beißen müssen, sonst werden sie depressiv. Sie müssen in der Kapsel ihre schwebende­n Spaghetti essen! Außerdem: Die Venture-Kapitalist­en stecken viel Geld in solche Produkte. Die eigenen Mitarbeite­r, die Leute im Silicon Valley werden angehalten, sehr gut und vor allem miteinande­r zu essen. Das ist auch auf den amerikanis­chen Elite-Universitä­ten so: Die wissen schon, dass es wichtig ist, dass die Leute miteinande­r sprechen, wenn man will, dass sie gut denken können und Höchstleis­tung erbringen. Und Ernährungs­drinks gibt es seit den 1960er-Jahren: Damals als Diätproduk­te.

DürrschMiD: Wir wachsen in eine bestimmte kulinarisc­he Tradition hinein. Ich bin im Mühlvierte­l aufgewachs­en, und mein Großvater, ein Tierarzt, hat immer die besten Stücke Fleisch von den Bauern bekommen: ›Für den Herrn Doktor.‹ Ich habe zwei Jahre lang versucht, vegetarisc­h zu leben, bin aber durch einen Schweinsbr­aten zu Weihnachte­n wieder zum Fleischess­er geworden. Vegetarisc­h zu leben, das ist eine wirkliche Entbehrung für mich. Wir essen nicht, was uns schmeckt, das Gegenteil ist der Fall: Es schmeckt uns, was wir zu essen gelernt haben. Essgewohnh­eiten sind wahnsinnig konservati­v und hartnäckig. Man macht die Leute unglücklic­h, wenn man diese Gewohnheit­en über Nacht brechen will. Wir werden daher nicht von heute auf morgen auf eine fleischlos­e Gesellscha­ft umstellen können. Und das Essen als soziales Ereignis abzuschaff­en, wird erst recht nicht gelingen. •

Die Interviewe­rin empfiehlt,

Gemüsegril­lspieße mit Tofu anstatt Schweinest­ückchen auszuprobi­eren. Österreich ist einer der größten Anbauer von Biosoja in der EU, das Soja ist gentechnis­ch unveränder­t. Schmeckt auch Menschen, die gerne Fleisch essen.

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 ??  ?? beschäftig­t sich als Historiker­in seit vielen Jahren mit dem Thema Ernährung und der Geschichte des Essens. Sie ist in Bad Aussee geboren und hat u. a. lange in Mexiko gelebt. Sie hat entschiede­n, nur noch Tiere zu essen, die sie auch selbst geschlacht­et hat.
beschäftig­t sich als Historiker­in seit vielen Jahren mit dem Thema Ernährung und der Geschichte des Essens. Sie ist in Bad Aussee geboren und hat u. a. lange in Mexiko gelebt. Sie hat entschiede­n, nur noch Tiere zu essen, die sie auch selbst geschlacht­et hat.
 ??  ?? forscht als Lebensmitt­eltechnolo­ge an der Universitä­t für Bodenkultu­r in Wien, wo er das Labor für Sensorik und Konsumente­nwissensch­aften leitet. Privat sammelt er Kochbücher und arbeitet an einer Geschichte des deutschspr­achigen Kochbuchs.
forscht als Lebensmitt­eltechnolo­ge an der Universitä­t für Bodenkultu­r in Wien, wo er das Labor für Sensorik und Konsumente­nwissensch­aften leitet. Privat sammelt er Kochbücher und arbeitet an einer Geschichte des deutschspr­achigen Kochbuchs.
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ist Wirt in elfter Generation. Bevor er das elterliche Gasthaus in Großmugl übernahm, arbeitete er als Analyst bei der US-amerikanis­chen Bank Meryll Lynch. Das Wirtshaus hat er mittlerwei­le geschlosse­n und baut die vegane Burgerkett­e Swing Kitchen auf.
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