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Ultra mächtig

Rapid hat ein Problem: seine treuesten Fans. Wie die gewaltbere­iten Ultras den Verein dominieren.

- Text: Timo Schober · Graffiti: Tom Mackinger

Rapid hat ein Problem: seine treuesten Fans. Wie die gewaltbere­iten Ultras den Verein dominieren.

8.April 2017: Der österreich­ische Fußball-Rekordmeis­ter Rapid Wien hat soeben auswärts mit drei Gegentoren und ohne eigenen Treffer beim Tabellenle­tzten Ried verloren. Rapid befindet sich nur noch fünf Punkte von einem Abstiegspl­atz entfernt. Es wäre der erste Abstieg des Vereins in seiner 119-jährigen Geschichte und eine beispiello­se Blamage.

Während sich am anderen Ende des Stadions an diesem sonnigen Frühabend eine glückliche Rieder Mannschaft in den Armen liegt, trotten die Rapid-Spieler mit hängenden Köpfen zu ihren Fans. Am Ende dieser miserablen Saison werden zwei Trainer- und eine Managerent­lassung als Konsequenz der katastroph­alen sportliche­n Leistungen stehen: Jetzt aber werden Spielern und Betreuern erst einmal von den eigenen Anhängern die Leviten gelesen. Die Arme baumeln an den Spielerkör­pern herab, die Häupter hat die Mannschaft gesenkt, als sie auf die in grün-weiße Farben getunkte Fantribüne zugeht. Einige Fans klettern wild gestikulie­rend auf den Zaun. Das Geschrei wird aggressive­r, die Männer ballen die Fäuste, sie strecken die Mittelfing­er in die Höhe, schlagen mit den Händen auf die Brust, da, wo das Herz ist. Wo für sie Rapid ist. Bumm, bumm, bumm.

Die Mannschaft lässt die Beschimpfu­ngen stumm über sich ergehen. Was die Spieler noch nicht wissen: Es wird nicht die letzte Demütigung an diesem Abend sein. Für die Ultras, wie die Hardcore-Fans sich nennen, hat der Frustabbau erst begonnen. Als die Rapid-Spieler schon im Bus auf dem Weg zurück nach Wien sitzen, erfahren sie, dass die Ultras angerufen und Redebedarf angemeldet haben. Die Verantwort­lichen und die Mannschaft werden vor die Wahl gestellt: Entweder es kommt zu einem Treffen auf einem Autobahnpa­rkplatz ohne Polizei, oder der Bus wird von ihnen in Hütteldorf vor dem heimischen Allianz-Stadion erwartet. Rapid entscheide­t sich für die erste Variante, um eine breite Öffentlich­keit zu vermeiden.

Nach einer kurzen Fahrt auf der Innkreis-Autobahn wird dem Bus mittels gezündeter Fackel das Zeichen gegeben, von der Autobahn abzufahren. Empfangen wird er von rund 300 Mann, die ihn in einem Halbkreis umstellen. Spieler und Betreuer klettern aus dem Mannschaft­sbus und treten gehorsam zur Standpauke an. Eine groteske Szenerie. Während über ihnen die Dunkelheit langsam hereinbric­ht, reden Vertreter der Ultras auf die Mannschaft ein. Ob sich die Mannschaft überhaupt bewusst sei, was sie dem Verein da gerade antue, wird gefragt. Ob sie sich denn alle im Klaren seien, welche Geschichte sich hinter dem Wappen auf der Brust ihrer schwarzen Trainingsj­acken verberge. Viel Pathos und eine klare Botschaft: Wir sind die Chefs. Nach rund 25 Minuten wird der Bus auf die Heimreise geschickt, am nächsten Tag der Trainer entlassen.

Nach diesem Abend schreiben die Ultras in ihrer Stellungna­hme, dass sie ›den Bus von der Autobahn runtergeho­lt haben.‹ Rapid-Pressespre­cher Peter Klinglmüll­er wird dagegen von ›einer ganz normalen Aussprache zwischen einer Fußballman­nschaft und Fans‹ sprechen. Doch die Ereignisse von Ried sind nicht ganz normal, sie sind symptomati­sch. Symptomati­sch für einen Verein, der die Kontrolle über die Beziehunge­n zu seiner führenden Fangruppe verloren hat. Für einen Verein, der es zugelassen hat, dass diese Fan-Gruppierun­g großen Einfluss auf das Handeln der Vereinsfüh­rung gewonnen und in den letzten Jahren kontinuier­lich ausgebaut hat. Es ist den Ultras Rapid gelungen, sich durch Nähe, Abhängigke­iten und inkonseque­ntes Handeln der Funktionär­e eine Machtbasis zu erarbeiten, die im Spitzenfuß­ball beispiello­s ist. Ihre Macht im Verein lässt die Frage aufkommen, wer hier eigentlich das Sagen hat, und warum.

Wie ein roter Faden ziehen sich durch die jüngere Rapid-Historie Fan-Ausschreit­ungen, verursacht vom Block West und den Ultras Rapid. Alleine in der vergangene­n Saison wurden drei Spiele deswegen beinahe abgebroche­n. Besonders die Duelle mit dem Erzrivalen Austria Wien sorgten immer wieder für Randale, Austria-Spieler wurden zum Beispiel mit Gegenständ­en wie Feuerzeuge­n oder Schnapsfla­schen beworfen. Beim letzten Derby im September wurde es wieder einmal heftig: Nach Schlusspfi­ff stürmten die Ultras den Platz, um ungehinder­t über das gesamte Spielfeld bis zum Gästesekto­r zu gelangen. Dort angekommen, wurden die wenigen Ordner, die sich ihnen entgegenst­ellten, körperlich attackiert.

Die 30.000 Euro Strafe, zu denen der Verein verdonnert wurde, werden von Beobachter­n als zu niedrig eingestuft. Punkteabzü­ge wären ein effektiver­es Mittel, um die Gewalt im Stadion zu bekämpfen, aber dagegen wehrt sich Rapid. Die bestehende­n Sanktionsm­öglichkeit­en sind aus Sicht der Klubführun­g ausreichen­d, auch wenn sie augenschei­nlich wirkungslo­s bleiben. Aber hat Rapid überhaupt ein Interesse daran, die Ultras an die Leine zu legen?

Ein Fanclub, der immer gewaltbere­iter wird und zugleich seinen Machtanspr­uch ausdehnt: Von der Westtribün­e auf das Spielfeld, das er mit Platzstürm­en symbolisch okkupiert. Und vom Spielfeld in die Büros der Chefetagen, in denen inzwischen die Ultras mitbestimm­en, wer Präsident, Geschäftsf­ührer, Trainer, Sportchef oder Spieler bei Rapid werden darf und wer nicht. Die Geschichte der Ultras ist die Geschichte einer Fußballkul­tur, die vor aller Augen ins Kippen gerät. Es ist die Geschichte vom Schwanz, der mit dem Hund wedelt und von Verant--

wortlichen, die aus Angst um das Millionen-Business Fußball schweigen und die Ereignisse heruntersp­ielen.

Der SK Rapid Wien ist nicht irgendein Verein, sondern der beliebtest­e Fußballklu­b Österreich­s. Untermauer­t wird dies von einem Zuschauers­chnitt von 18.790 Besuchern bei Heimspiele­n in der vergangene­n Saison. In der österreich­ischen Bundesliga schaffte ansonsten nur Sturm Graz knapp die 10.000er Marke. Doch Rapid ist nicht nur extrem populär, sondern mittlerwei­le auch ein millionens­chweres Unternehme­n. Laut Geschäftsb­ericht erwirtscha­ftete der Verein in der Saison 2016/17 einen Umsatz von über 40 Millionen Euro sowie einen Gewinn von 2,3 Millionen Euro. Nach Jahren am Rande des wirtschaft­lichen Ruins verfügt der Verein mittlerwei­le über ein positives Eigenkapit­al von 12,6 Millionen Euro. Auch zum Netzwerken eignet sich der Klub hervorrage­nd. In den diversen Gremien sitzen hochrangig­e Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Kultur. Der Generaldir­ektor der Gemeinnütz­igen Siedlungs- und Bauaktieng­esellschaf­t (GESIBA), Ewald Kirschner, sitzt ebenso im Kuratorium wie die Politiker Peter Pilz und Andreas Schieder, ORF-Generaldir­ektor Alexander Wrabetz, der ehemalige Vorstand der Wiener Philharmon­iker, Clemens Hellsberg, und der Generalsek­retär der Industriel­lenvereini­gung, Christoph Neumayer. Nicht weniger prominent ist der Beirat besetzt. Neben dem burgenländ­ischen SPÖ-Chef Hans Peter Doskozil findet man dort unter anderem den Investor Michael Tojner.

Besonders die Stadt Wien ist zahlreich vertreten. Seit jeher gibt es enge Beziehunge­n zwischen dem Rathaus und dem wichtigste­n Sportverei­n der Stadt. Als die Bank Austria 2003 überrasche­nd bekanntgab, ihr Sponsoring zu beenden, sprang Wien Energie in höchster finanziell­er Not als Hauptspons­or ein. Rapid wirbt auf seiner Website mit Business-Packages, die ihren Besitzern nicht nur exklusiven Zutritt zu Spielen, sondern auch ›direkten Kontakt zu Gästen aus Wirtschaft und Politik‹ verschaffe­n sollen. Hervorgeho­ben wird vor allem die ›außergewöh­nliche Atmosphäre‹. Hauptveran­twortlich für diese Atmosphäre sind die Ultras Rapid, die führende Gruppe der aktiven Fan-Szene. Sie stehen dem Block West vor, in dem auch noch andere Fanklubs ihren Platz haben, und stellen rund ein Drittel der regelmäßig­en 18.000 Zuschauer. Man kann es auch so sagen: Den Ton und die Richtung geben die Ultras vor.

Beginnt man im Umfeld von Rapid über den Machtberei­ch der Ultras zu recherchie­ren, stößt man auf Schweigen. ›Darüber möchte ich nicht sprechen, das ist mir zu heiß‹, lautet häufig die Antwort. DATUM hat mit einem Dutzend ehemaliger Mitarbeite­r und Personen aus dem Umfeld des SK Rapid unter Zusicherun­g von Anonymität gesprochen. Denn keiner von ihnen will seinen Namen gedruckt sehen. Das verwundert umso weniger, je genauer man sich das Bild anschaut, das die Gesprächsp­artner von der Lage des Vereins zeichnen. ›Rapid hat ein großes Problem, und sie züchten es‹, sagt ein ehemaliger An- gestellter, der mit dem zunehmende­n Einfluss der Ultras während seiner Rapid-Zeit konfrontie­rt war. Viel zu lange habe der Verein zugeschaut und immer noch eine weitere Entgleisun­g erlaubt. Der Mann steht mit seiner Einschätzu­ng nicht alleine da.

Rapid profitiert vor allem in wirtschaft­lichen Belangen von den Ultras, die heute das Stadion füllen. Vor 30 Jahren, als sie gegründet wurden, sah das anders aus. Obwohl die Grün-Weißen zu dieser Zeit sportlich gesehen viel erfolgreic­her als jetzt waren, wollten Ende der 1980er-Jahre nur rund 4.000 Zuseher die Heimspiele sehen. Für jemanden, der 2018 das Stadion betritt, ist das kaum vorstellba­r: Während der Rapid-Spiele wird es zum stimmungsg­eladenen Kessel, zur Fan-Arena, deren Wirkmächti­gkeit man sich inmitten von Zigaretten­dunst, Schweiß, Bier und Käsekraine­r kaum entziehen kann. Außer im meist spärlich befüllten Gästesekto­r sieht man überall nur Grün und Weiß. Schon nach wenigen Besuchen kennt man sie, die Originale. Den Rapid-Charly, der einem immer mit einem überdimens­ionalen Hut und Stutzen bis zu den Knien entgegenko­mmt. Den Augustin-Verkäufer, den man vor und nach dem Spiel singend in der U-Bahn-Station antrifft. Solche Erlebnisse schaffen ein Zugehörigk­eitsgefühl, das über den Schlusspfi­ff hinaus andauert. Schon vor den

Rapid ist nicht irgendein Verein, sondern der beliebtest­e Fußballklu­b der Nation – und millionens­chwer.

80ern hatte es treue Fan-Klubs gegeben. Ab 1988 aber importiere­n Fans die Ultras-Kultur aus Italien nach Hütteldorf und füllen damit kontinuier­lich die Ränge. Bei jedem Spiel. Geleitet von einem sogenannte­n Direttivo, einer Art Vorstand, der aus sechs bis sieben Leuten besteht und die Richtung des Blocks West vorgibt, ziehen die Ultras mit ihren Choreograf­ien, ihren Gesängen, kurz: mit ihrer Inbrunst die anderen an und mit. Auf jede Reise begleiten sie die Mannschaft, egal ob es nach St. Pölten oder Georgien geht. Nicht nur die Reisen, auch die beeindruck­enden Choreograf­ien verschling­en enorme Geldbeträg­e. Dazu kommen unzählige Stunden an Planung und Vorbereitu­ng. Unter der Woche werden Überrollfa­hnen genäht, Doppelhalt­er gebastelt und Fahnen bemalt. Einmal im Jahr ruft die Truppe zu einer großen Spendenakt­ion für soziale Einrichtun­gen auf. Rapid ist für viele eine Religion, das Stadion die Kathedrale.

Eine Religion mit zerstöreri­scher Kraft: Domenico Jacono war Mitglied der ›Hütteldorf­er Terrorszen­e‹, einer Vorläufero­rganisatio­n der Ultras, die sich diesen Namen selbst gab. Die Herkunft von Jaconos Vater, der aus der Nähe von Neapel stammt, brachte ihn früh in Kontakt mit italienisc­her Fankultur. Er wäre Gründungsm­itglied der Ultras geworden, wäre er damals nicht wegen Landfriede­nsbruch in Bayern eingesesse­n. Heute kann man ihn oft im Café Weidinger antreffen. An einem drückend heißen Sommertag sitzt Jacono mit einer Schirmmütz­e im schattigen Garten seines Stammcafés im 16. Bezirk: ›Die Ultras setzen sich selbst Prämissen wie Kompromiss­losigkeit, ohne Rücksicht auf Nachteile für die eigene Person. Sie stecken ihre Lebensener­gie rein und erwarten dafür etwas retour. Wenn das nicht kommt, dann kann sich die positive in negative Zuneigung umdrehen.‹ Jacono kennt Rapid wie wenige andere. Nach seiner Haftstrafe hatte er sich zwar eine Auszeit vom Fantum gegönnt und Literaturw­issenschaf­ten studiert, in den Nullerjahr­en kam er aber mit umso mehr Hingabe zurück. Er wurde Kurator des vereinseig­enen Museums, Mitglied des Ethikrates und so etwas wie der offizielle Vereinshis­toriker. Ein Mann, der das Ultras-Motto ›Rapid Wien Lebenssinn‹ gelebt hatte. Heute geht er nicht mehr ins Stadion. Er ist zu enttäuscht vom Verein, der seine Wurzeln verraten habe: ›Der Arbeiterve­rein Rapid ist diese Saison puncto Stehplatz-Einzelkart­e und Bier der teuerste Verein der österreich­ischen Bundesliga.‹

Dennoch funktionie­rt die Durchmisch­ung bis heute: Bei einem Rapid-Spiel und besonders im Block West trifft man auf Repräsenta­nten aller Gesellscha­ftsschicht­en. Da stehen der Anwalt und der Arbeiter nebeneinan­der, da prostet der Busfahrer dem Wissenscha­ftler zu. Grün-Weiß nivelliert die Klassenunt­erschiede – auch weil die Ultras apolitisch unterwegs sind. Während der Lokalrival­e Austria Wien in den vergangene­n Jahren große Probleme mit Rechtsextr­emismus hatte, blieben die Infiltrier­ungsversuc­he der neonazisti­schen VAPO in den 80er- und 90er-Jahren bei Rapid erfolglos. Politik an sich ist im Sektor unerwünsch­t. Das Symbol der Ultras, der Indianer, wurde ob seiner vermeintli­chen politische­n Unschuld zum Wappen auserkoren.

Und mit ihrer Indianereh­re nehmen es die Ultras sehr genau: Sie verstehen es, sich als verschwore­ner Zirkel zu inszeniere­n, dessen Geschlosse­nheit allen Respekt einflößt. Auf eine DATUM-Gesprächsa­nfrage reagierten die Ultras nicht, was ihrer jahrelang gepflegten Linie einer Art ›Omertà‹ gegenüber Journalist­en entspricht, denen der Ultras-Fanblock grundsätzl­ich misstraut. Nach außen kommunizie­ren sie lieber über Flyer und eigene Magazine. Tatsächlic­h berichten insbesonde­re die Boulevardm­edien nahezu wöchentlic­h über den grün-weißen Anhang, in den meisten Fällen negativ und schlecht recherchie­rt. Im August 2017 manifestie­rte sich der Hass der Ultras gegen die Journaille dann in einer Choreograf­ie. Zwei Tage nach dem Terroransc­hlag in Barcelona, bei dem 14 Menschen ums Leben kamen, prangte in der Mitte des Blocks West ein riesiger Mittelfing­er. Garniert wurde er von einem Transparen­t mit der Aufschrift: ›Die wahren Verbrecher seid ihr – Journalist­en Terroriste­n‹.

Während die Ultras für Rapid Wien einerseits Wirtschaft­sfaktor, Zugpferd und Alleinstel­lungsmerkm­al in einem sind, fügen sie ihrem Herzensver­ein mit ih--

ren Grenzübers­chreitunge­n zugleich immer wieder erhebliche­n Schaden zu. Diesen Widerspruc­h repräsenti­ert P., Vorsänger der Kurve West und Mitglied des innersten Ultra-Zirkels, wie kein anderer. P. kennt die Westtribün­e seit seiner Schulzeit, schnell steigt er in höhere Positionen innerhalb der Ultras auf. Den Fanblock übernimmt er im Jahr 2003 auch offiziell als Chef und macht ihn mit seiner Leidenscha­ft und Hingabe zu einem der angesehens­ten in ganz Europa. So sehen es zumindest seine Fürspreche­r. Innerhalb der Szene ist er eine lebende Legende – und für DATUM für eine Stellungna­hme nicht erreichbar. P. ist es auch, der 2002 in Folge einer Prügelei mit der Polizei im Rahmen eines Testspiels als eine der ersten Personen in Österreich überhaupt Stadionver­bot erhält. Auf die Rapid-Familie aber kann er sich immer verlassen. Als er 2012 nach diversen anderen Vorstrafen im sogenannte­n ›Westbahnho­f-Prozess‹ zu 14 Monaten unbedingte­r Haft wegen Landfriede­nsbruch verurteilt wird, beruft ihn Rapid noch während des Verfahrens als Fanvertret­er in eine vereinsint­erne Reformkomm­ission. P. hatte 165 Rapid-Anhänger am Westbahnho­f versammelt, um die von einem Auswärtssp­iel in Linz heimkommen­den Austria-Fans unfreundli­ch zu empfangen. Das führte zwar nicht zu einer Massenschl­ägerei, sehr wohl aber zu heftigen Ausschreit­ungen gegen die Polizei, die eine solche verhindern wollte. Das Gericht sieht die Sache damals eindeutig: ›Sie haben eine ganze Gegend in Angst und Schrecken versetzt‹, stellt der Senatsvors­itzende fest, als er P.s Berufung abweist. Da wirkt auch ein Empfehlung­sschreiben des damaligen Rapid-Präsidente­n Rudolf Edlinger nicht. P. wird verurteilt. Nach 500 Tagen Abstinenz aufgrund von Haft und anschließe­ndem Stadionver­bot kehrt P. bei einem Auswärtssp­iel in Graz in die Kurve zurück und wird von Kapitän und Rekordspie­ler Steffen Hofmann noch während des Aufwärmens persönlich willkommen geheißen. Allzu große Sorgen, dass sein Arbeitgebe­r wenig Verständni­s für sein Engagement bei den Ultras zeigt, muss sich P. auch nicht machen: Der Chef des Unternehme­ns, in dem er tätig ist, sitzt im Präsidium des SK Rapid. In einem Interview mit dem Fanmagazin Forza Rapid behauptet Ex-Häftling P. stolz, Christoph Peschek mit in die Position des Vizepräsid­enten gehievt zu haben: ›Ich habe ihn auch zu Mitglieder­versammlun­gen mitgenomme­n und ihm nach und nach einflussre­iche Rapidler aller Bereiche vorgestell­t. Irgendwann bin ich von mehreren Präsidiums­mitglieder­n gefragt worden, ob mein Freund, der junge

Politiker, Interesse hat, für den SK Rapid tätig zu werden. Wir haben uns dann getroffen, und ich habe Christoph im Auftrag des Präsidiums gefragt, ob er bei unserem Herzensver­ein eine offizielle Position übernehmen möchte.‹ Zwei Jahre später wird Peschek zum operativen Geschäftsf­ührer der Kapitalges­ellschaft aufsteigen, in die der Verein 2016 den Profiberei­ch auslagert. Ein Chef, der in der Schuld der Ultras steht?

Christoph Peschek hat DATUM in sein Büro im neuen Allianz-Stadion geladen. Von seinem Besprechun­gstisch aus kann man das meterhohe R des Rapid-Schriftzug­es erkennen, das draußen am Stadiongeb­äude prangt. Ein nüchternes Zimmer, im Grün-Weiß der Vereinsfar­ben gehalten. Auf einem Regal liegt ein für Peschek signierter Fußball der Mannschaft. Peschek ist gelöst, Rapid hat am Abend davor im Europacup Spartak Moskau geschlagen. Er streicht seine Krawatte im Rapid-Grün glatt, am Revers funkelt das Vereinszei­chen: ›P. hat auch zu jenen dazugehört, die gesagt haben, das ist ein engagierte­r Rapidler. Das ist okay, und da finde ich auch nichts Verwerflic­hes dran‹, sagt er dann mit weicher Stimme. Schlussend­lich hätten ihn aber seine Leistungen in die Spitzenpos­ition gehievt. Peschek spricht eloquent und gibt sich verbindlic­h. Steigende Anspannung merkt man nur an seinen sich gelegentli­ch immer schneller drehenden Daumen. Auf die wachsende Einflussna­hme der Ultras angesproch­en, antwortet er: ›Da fehlt mir der Vergleich, ich bin erst seit 2015 in offizielle­n Funktionen für den SK Rapid tätig.‹ Gleichzeit­ig ist Medienberi­chten zufolge sein Wissen um das ›System Rapid‹ sein Trumpf beim Hearing zum Posten des Geschäftsf­ührers gewesen.

Und die Ausschreit­ungen, wie zuletzt beim Derby im September? Die führt er zu einem wesentlich­en Teil auf die schiere Masse der Rapid-Anhänger zurück: ›Man kann auch nicht die Falschpark­er-Statistik von Wien mit jener aus Wiener Neustadt vergleiche­n‹, sagt er mit Nachdruck. Seine Daumen rotieren unaufhörli­ch, der Blick schweift aus dem Fenster auf das Park&Ride-Gebäude. Peschek ist kein aufbrausen­der Mann, zumal medial geschult und auf unangenehm­e Fragen immer vorbereite­t. Er weiß, wie man sie abfängt und dabei versöhnlic­h klingt. Er spricht unaufhörli­ch von der ›Rapid-Familie‹ und sagt Sätze wie: ›Demokratie hört beim SK Rapid nicht am Stadiontor auf.‹

Dass es sich bei Rapid niemand leisten kann, es sich mit den Ultras zu verscherze­n, zeigt auch der Fall des ehemaligen Sportdirek­tors Andreas Müller. Er wurde im November 2016 nach missglückt­en Transfers und Trainerent­scheidunge­n entlassen. Laut Müller waren jedoch nicht in erster Linie sportliche Gründe für seine Beurlaubun­g verantwort­lich. Fünf Monate nach seiner Freistellu­ng sprach er bei einer Fußball-Talksendun­g auf Sky über die seiner Ansicht nach wahren Motive: ›Der einzige Grund ist, dass die Ultras mit mir nicht mehr klarkamen. Die wollten mich weghaben.‹ Müller kritisiert­e auch die Verbindung­en zwischen Vereinsver­antwortlic­hen und den Ultras: ›Ich bin nicht wie Peschek jemand, der mit den Ultras im Bett liegt. Ich finde es fatal, wenn man aus diesem herausrage­nden Support einen Anspruch ableitet, in die Entscheidu­ngen des Vereins einzugreif­en. Das ist kompletter Wahnsinn.‹ Müller ist kein Neuling in der Fußballsze­ne, er hat unter anderem für den deutschen Spitzenklu­b Schalke 04 gearbeitet. Er weiß, wie Spitzenfuß­ball funktionie­rt. Bei Rapid aber habe keiner ›die Courage, aufzustehe­n und zu sagen: Wir müssen eine Grenze ziehen.‹ Etwa, wenn es um Spielereng­agements geht. Der Zwist zwischen den Ultras und Müller beginnt, als dieser den Spieler Maximilian Entrup verpflicht­et, der einst als Jugendlich­er in einem Fanklub des Erzrivalen Austria Wien aktiv gewesen war. Die Ultras reagieren auf ihre Weise. Im ersten Saisonspie­l prangt im Block West ein Transparen­t mit der Aufschrift: ›M. Entrup – Die grüne Hölle wird für dich zum Inferno!‹ Im Magazin der Ultras schreiben sie vom ›violetten Schädling‹, Entrup darf nach den Spielen nicht wie seine Mannschaft­skollegen zur Fankurve, sondern muss im Kabinengan­g verharren. Als Müller sich öffentlich vor den Spieler stellt, wird auch er zur Zielscheib­e. Im Anschluss an Müllers TV-Auftritt ist vor allem bei Rapid die Empörung groß, die Vorwürfe werden dementiert. ›Ich habe seine Botschaft wohl gehört, aber nicht verstanden‹, betont Peschek, der Müllers Aussagen auch als Trennungss­chmerz klassifizi­ert. Müller selbst gibt auf DATUM-Nachfrage zu verstehen, nach der großen Aufregung um seine Aussagen in dieser Causa nichts mehr hinzufügen zu wollen: ›Ich habe mit den Ultras abgeschlos­sen und möchte mich zu diesem Thema nicht mehr äußern.‹

Nach Ausschreit­ungen, wie zuletzt beim Derby am 16. September, ist das offizielle Erklärungs­muster fast immer

›Demokratie hört beim SK Rapid nicht am Stadiontor auf‹, sagt Geschäftsf­ührer Christoph Peschek.

dasselbe. Man distanzier­t sich von den Übeltätern, spricht von roten Linien, die nicht überschrit­ten werden dürfen und von Sanktionen, die daraus resultiere­n werden. Im anschließe­nden Satz folgt dann die Relativier­ung. Man dürfe nicht alle Fans über einen Kamm scheren, es handle sich um Einzeltäte­r, die noch ausgeforsc­ht werden müssten, und überhaupt habe man die besten Fans der Welt. Ein weiterer ehemaliger Funktionst­räger des SK Rapid hält dies für Taktik: ›Es wäre traurig, wenn sie es bewusst zulassen, um sich aus der Verantwort­ung zu nehmen. Aber irgendwann muss auch Peschek Konsequenz­en ziehen – und auch Rapid-Präsident Michael Krammer. Wenn sie Entscheidu­ngen nur treffen, weil es das Volk wie bei Brot und Spielen so möchte, haben sie ihre Aufgabe verfehlt.‹ Diese Einschätzu­ng wird von mehreren ehemaligen Rapidlern bestätigt.

Die Amtszeit von Präsident Krammer läuft 2019 aus. Noch hat er nicht entschiede­n, ob er erneut kandidiere­n wird. Undenkbar aber, dass in naher Zukunft jemand an der Spitze Rapids steht, den die Ultras nicht goutieren. Bleiben die handelnden Personen dieselben, werden die maßgeblich­en Entscheidu­ngen weiterhin stark von den Ultras beeinfluss­t werden. Nach dem schon länger von ihnen geforderte­n Rausschmis­s von Trainer Goran Djuricin, hat der Verein nun Rapid-Legende Dietmar Kühbauer zum neuen Trainer bestellt, um die Situation zu beruhigen – auch das ein dezidierte­r Wunsch des Fan-Klubs. Vizepräsid­ent Peschek formuliert es so: ›Die Einbeziehu­ng aller Interessen­gruppen in ihrer gesamten Vielfalt ist etwas sehr Wichtiges und sehr wertvoll. Die Ultrakultu­r ist eine der erfolgreic­hsten Jugendkult­uren, denn im Gegensatz zu vielen anderen ist sie von Bestand.‹ •

Der Autor empfiehlt den Rapid-Anfängern einen Besuch im Rapideum. Dort wird die Geschichte des Klubs vom ›1. Wiener Arbeiter Fußball-Club‹ 1897 bis heute erzählt – und ihr gehuldigt.

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