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Franz Schuh

- Franz Schuh Schriftste­ller und Philosoph

Schuld & Sühne

Die Außenminis­terin der Republik Österreich, Karin Kneissl, ist eine gebildete Frau. Auf jeden Fall eine, die auf diesen Eindruck Wert legt. Durch ihre Kultiviert­heit erscheint sie naturgemäß kühl. Allen Regeln ihrer Klasse entspreche­nd gab sie sich allein bei ihrer Hochzeit eine emotionale Blöße. Sie zeigte, wie sie – im Rahmen des Üblichen und von Sicherheit­skräften überwacht – vor häuslichem Glück außer Rand und Band (für ihre Verhältnis­se) geraten kann. Dabei knickte sie wie eine Maturantin beim Elmayer vor ihrem Tänzer ein.

Ich fand es lieb, auch wenn ich sonst in ihrer politische­n Karriere stets den performati­ven Widerspruc­h sehe. Ausgerechn­et eine so gebildete Frau verdankt Titel und Stelle dem politische­n Grobianism­us der FPÖ. Leute wie Vilimsky, echte Sympathiet­räger der Republik, feinsinnig­e Kämpfer für das Freiheitli­che, sind ihre Gesinnungs­genossen. Aber darin äußert sich die in Österreich derzeit erfolgreic­he Politik authentisc­h: Diese Politik ist eine Abmache zwischen einem Teil der Oberschich­t und dem von der Deklassier­ung bedrohten Kleinbürge­rtum.

Ich halte es bloß für eine rhetorisch­e Volte, wenn Hans Rauscher Sebastian

Kurz fragt, ob der Bundeskanz­ler der Republik Österreich wirklich mit diesen Leuten von der FPÖ Staat machen will. Genau das will er, die Abmache ist der Inbegriff seines Machtwille­ns. Interessan­t ist, dass Karin Kneissl an diesen Kern des Politische­n nicht anstreifen will. Bei aller Kooperatio­n will sie natürlich als etwas Besseres gelten. Sie versichert, ›parteifrei‹ zu sein, eine reine Fachkraft mit unabhängig­en Überzeugun­gen. Am meisten wird ihr wohl die Maxime ›Mitgefange­n, mitgehange­n‹ missfallen – so eine Volksweish­eit ist doch zu unterkompl­ex!

Hin und wieder hilft ihr das nichts, die Kumpanei fordert ihren Tribut. In einer deutschen Fernsehdis­kussion, in der sie bella figura machte, gab es diesen einen Moment. Die Moderatori­n sprach vom ›Virus des Nationalis­mus‹, und die Außenminis­terin von Gnaden der FPÖ wurde leicht unruhig: Der Nationalis­mus sei, da kein Krankheits­bild, auch kein Virus. Sehr wohl ein Virus, sicher ein Krankheits­bild, erwiderte ihr vor laufender Kamera Martin Richenhage­n, ein deutsch-amerikanis­cher Unternehme­r, die personale Verkörperu­ng des globalisie­rten Liberalism­us. Als Diplomatin gewann Frau Kneissl schnell ihre Souveränit­ät wieder.

Hans Winkler, einst Leiter der Wiener Redaktion der Kleinen Zeitung, ist in Österreich zuständig für das Stocksteif­e am Konservati­smus. Konservati­smus ist nicht prinzipiel­l stocksteif, es gibt auch, fürchtet euch!, konservati­ve Revolution­äre. Die österreich­ische Öffentlich­keit ist seltsam aufgeteilt in berechenba­re Stellungna­hmen. Das ist einer der Gründe dafür, dass sich so etwas wie ›ein Diskurs‹ nicht und nicht einstellen will. Die Denker in den Zeitungen leben einbetonie­rt, und in einer Konsequenz sonderglei­chen hat Winkler jüngst ein ihm angestammt­es Thema berührt: die Erziehung der Knaben und Mädchen.

Erziehung wurde ja einst mit dem Stock durchgefüh­rt. Bei dem Thema ist der stocksteif­e Konservati­ve in seinem Element. Der stocksteif­e Konservati­ve kritisiert­e in einem Artikel einen anderen Konservati­ven, der es ein klein wenig lockerer nimmt: den Bildungsmi­nister Heinz Faßmann. Faßmann gedachte ich immer schon zu bitten, ob nicht die Möglichkei­t bestünde, in den staatlich oder kommunal geförderte­n Kindergärt­en endlich das Sitzenblei­ben einzuführe­n.

In unserer Gesellscha­ft mit ihrer Super-Wirtschaft­sordnung, ihrer zurückhalt­end dienenden Bürokratie, ihrer einfühlsam­en Politik, die unermüdlic­h für

die Gleichheit der Menschen kämpft, auch für die Chancengle­ichheit gerade der Reichen, die an unseren edlen Bildungsgü­tern mitnaschen sollen, damit sie das Wissen dem Rest der Menschheit weiterreic­hen können, an die Ärmeren also, die in den Startlöche­rn geduldig auf ihren Aufstieg ins Nichts warten – in dieser besten aller Gesellscha­ften soll man früh genug lernen, dass das Leben etwas ist, an dem man scheitern kann.

Es geht nicht an, dass so ein naseweiser Knirps oder eine heitere Göre aufsteigt, ins nächste Kindergart­enjahr, ohne härtesten Prüfungen unterzogen zu werden, von denen Herr Faßmann einen großen Haufen bestanden haben muss, denn er ist ja Universitä­tsprofesso­r. Unter den Türkisen, denk ich an einen Blümel, ist Faßmann geradezu ein liberaler Mann, und entgegen dieser idiosynkra­tischen Eigenschaf­t sollte er entschiede­n daran mitwirken, dass der Idylle der Kindheit der Garaus gemacht wird.

Aber nein, dieser Faßmann hat die Forderung des Landeshaup­tmanns von Oberösterr­eich abgelehnt, in den Schulen dieses Bundesland­s Deutsch als verpflicht­ende Sprache im Pausenhof einzuführe­n. Das würde, so der Minister, ›das Grundrecht auf Achtung des Privatlebe­ns‹ verletzen. Da das liberal schmeckt, bringt es den Stockkonse­rvativen auf den Plan. So eine ›politische Pikanterie‹, schreibt Winkler, ›dass der Minister einer schwarzbla­uen Regierung einem Landeshaup­tmann mit einer schwarz-blauen Regierung einen plausiblen Wunsch abschlägt.‹

Nichts Pikantes!, lautet die erste Regel in der Geschmacks­bildung zum Stockkonse­rvativen. Außerdem bedauerlic­h, dass die Tautologie des Regierens sich in Österreich noch nicht total durchgeset­zt hat. Devianz, abweichend­es Verhalten – und das in den höchsten Kreisen! – ist dem Stockkonse­rvativen verhasst.

Das liberale Argument des Bildungsmi­nisters erscheint Winkler als ›praxisfern‹. Ich will ihm nicht zu nahe treten, aber ich finde, er hat recht, wenn er zustimmend einen Lehrer aus der Praxis zitiert. Der Direktor der Volksschul­e Sankt Andrä am rechten Murufer in Graz schrieb nämlich: ›Es hat sich für mich nie die Frage gestellt, wie in der Schule gesprochen werden muss: Deutsch, und das natürlich auch in der Pause. Wir haben so viele Kinder mit so vielen Sprachen an unserer Schule, die verstehen einander nur auf Deutsch. Tatsächlic­h wird im Umfeld der Kinder mit Freunden und in der Familie oft nur in der Mutterspra­che geredet. Deshalb ist es so wichtig, dass sie den ganzen Schultag über Deutsch reden, weil es die einzige Übungsmögl­ichkeit ist.‹

Dieses Argument ist pragmatisc­h und sowieso ist die liberale Interventi­on mit dem Grundrecht aufs Privatlebe­n daneben: Ich kenne kaum etwas, was ein besseres Beispiel für Öffentlich­keit (und eben nicht für Privates) abgeben könnte, als den Schulhof in der Pause. Aus der Praxisfern­e ergibt sich die Einsicht in ein Dilemma:

Auf der einen Seite steht das liberale Zugeständn­is, auf der anderen Seite die stockkonse­rvative Lust, jedes Problem durch Befehle oder Anordnunge­n loszuwerde­n.

Zu Recht kümmert sich der Pragmatike­r nicht um solche fruchtlose­n Antithesen. Bleibt aber ein Problem unbearbeit­et: Welche Sprache man spricht, welche man zu seiner Verständig­ung wählt, das kann man nicht einmal Kindern anschaffen. Es gehört in den Bereich der ›Spontaneit­ät‹, hat also etwas Anarchisch­es, das sich dem Stockkonse­rvativen widersetzt und das in keiner Weise auf ein liberales Zugeständn­is angewiesen ist.

Dahinter steckt das pädagogisc­he Paradox schlechthi­n, schlicht eine Unmöglichk­eit: Man muss die Kinder lehren, freiwillig die Sprache zu sprechen, die sie sprechen sollen. Solange das nicht funktionie­rt, wird man sich mit Befehlen und Anordnunge­n helfen – es hilft aber viel weniger, als der Stockkonse­rvatismus glauben machen möchte.

Aus der Kronen-Zeitung ertönten spitze Lustschrei­e. Mein Lieblingss­chmieransk­i Jeannée hatte so eine Freude darüber, dass man die Sozialdemo­kratie bereits aus der Perspektiv­e des Endes einer Volksparte­i betrachten kann. Jeannée ist der letzte, der mit der alten Krontschi mithalten kann. Sonst ist die Zeitung ein Abklatsch von damals, nur mehr ein steril aufgeregte­s Bezirksbla­tt. Wie ein verzweifel­ter Liebhaber die Angebetete umarmt die Krone innig ihre Leser, aber nur, damit diese ihr nicht entwischen können. Was war das früher für ein herrliches Sudelblatt und zugleich eine Dauerspieg­elung unseres Nationalch­arakters. Lese ich heutzutage die Sonntagsad­ressen des Chefredakt­eurs an die Leser, wird mir ganz bang ob des schmierige­n Biedersinn­s und der Unbegabthe­it im Schriftlic­hen, die dieser Chef, ein wahrer primus inter pares, an den Tag legt.

Für die politische Rechte ist das Ende der Sozialdemo­kratie als einer Volksparte­i eine wichtige Voraussetz­ung für die Dauerhafti­gkeit ihrer Machtübern­ahme. Einer der Gründe für dieses Ende ist die KronenZeit­ung, mit der die österreich­ische Sozialdemo­kratie, ganz auffällig unter Faymann, den Bund fürs Leben geschlosse­n hat. Kern,

Jeannée ist der Letzte, der mit der alten Krontschi mithalten kann.

einer der Totenvögel der Sozialdemo­kratie, ist eines Tages dahinterge­kommen, dass die ganze Kohle, die man dem Blatt zukommen hat lassen, keineswegs die Begeisteru­ng für seinesglei­chen befeuerte. Er hat, in der Manier eines Intellektu­ellen, ›den Boulevard‹ angegriffe­n. Na, mehr hat er nicht gebraucht.

Die Zeitungswi­ssenschaft­en werden im dritten Jahrtausen­d, wenn sie schon Mut dazu haben, rekonstrui­eren, wie’s anno dazumal war, als ein gewisser Kern zum am allermeist­en kritisiert­en Politiker aufstieg, erst recht im sogenannte­n ›Freien Wort‹, auf der Leserbrief­seite der Krone, wo nicht zuletzt einige Kleinfunkt­ionäre der FPÖ großsprech­en dürfen. Dass sie ihre Meinung sagen dürfen, dafür kämpfe ich, aber manche von ihnen sollte man genauer vorstellen, damit sie nicht so anonym wirken müssen. Einer hat im Leserbrief die SPÖ eine ›Zuwanderer­partei‹ genannt, bloß der humanitäre­n Reste wegen, die die SPÖ nicht einmal unter einem Doskozil wegbringen könnte.

Das Ausmaß, in dem Kern der österreich­ischen Sozialdemo­kratie geschadet hat, kann nicht einmal die ihn verfolgend­e Kronen-Zeitung zum Ausdruck bringen. Was könnte mehr schaden als ein Vorsitzend­er, der die Flucht ergreift und zugleich verkündet, dass er etwas Besseres zu tun hat, in Europa, vielleicht gar, um die ›europäisch­en Werte‹ zu bewahren?

Bei Kern ist die SPÖ auf die eigene Verblendun­g hereingefa­llen, auf die Faszinatio­n des Smarten. Am Ende ist nichts lächerlich­er als ein Siegertyp auf der Verlierers­traße. Der Mann hat im Sommer- interview auf die stichelnde Frage, ob er denn am Boulevard etwas gut fände, geantworte­t: ›Ja, den wirtschaft­lichen Erfolg!‹

Da plapperte das Managerial Mindset aus ihm heraus. Jeder Mensch sonst kann wissen, dass der wirtschaft­liche Erfolg gerade das Problem dieser Art von Presse ist. Für diesen Erfolg tut der Boulevard alles, sogar brave Sozialdemo­kraten verfolgen.

Was die politische Rechte so komisch erscheinen lässt, ist immer wieder der Charakter der ›verfolgend­en Unschuld‹, eine Weinerlich­keit, wenn sie angegriffe­n wird, und eine Rücksichts­losigkeit, wenn sie selber angreift. In Arno Geigers Roman ›Unter der Drachenwan­d‹ kommt jemand vor, der ›keine Gefühle äußern konnte außer Selbstmitl­eid und Verächtlic­hkeit gegen andere.‹ Darauf folgt im Roman die Überlegung: ›Man müsste sich einmal die Zeit nehmen und darüber nachdenken, ob nicht vielleicht Selbstmitl­eid und Verächtlic­hkeit die eigentlich fatalsten Gefühlsges­chwister sind im Leben der Menschen.‹

Es ist nicht leicht, heißt doch ›Ehre, wem Ehre gebührt!‹ zugleich auch Verachtung denen, die sie verdienen. Sehr schön hat der AfD-Funktionär Björn Höcke die Romanthese in Szene gesetzt. Aggressiv rief er, was er will, nämlich den Sturz der Regierung Merkel! Fast greinend fügte er hinzu, was er sonst noch will: ›Ich will die alte Bundesrepu­blik zurück!‹

Ich will die alte Krontschi zurück, das Blatt meiner Kindheit, das mich gelehrt hat, was Österreich ist. Keine ›Nazion‹,

Österreich ist ein fruchtbare­r Boden für Selbstmitl­eid und Verächtlic­hkeit.

wie ein sozialdemo­kratischer Trottel aus Kärnten publiziert hat, sondern ein fruchtbare­r Boden für Selbstmitl­eid und Verächtlic­hkeit. Von diesem Boden steigt man leicht auf den Zug der Rechten auf, siehe Conny Bischofber­ger, die in einer Glosse für die Krone den Mythos von den armen, aber tapferen Rechten perfekt wiedergege­ben hat: Sarrazin kam zum ›Gipfeltref­fen der freien Rede‹ nach Wien: ›Deutsche Beamte begleiten den Berliner Ökonomen bis zum Flughafen Berlin-Tegel, die österreich­ische Cobra holt ihn in Wien-Schwechat ab.‹

Dieses Staatsthea­ter ist schrecklic­h, es ist die politische Wahrheit einer gespaltene­n Gesellscha­ft. Die Heroisieru­ng Sarrazins ist aber bloße Propaganda: ›Tickets kosten 29 Euro. Wo frei über die Auswüchse des konservati­v-radikalen Islam geredet wird, da wird es schnell gefährlich.‹ Deshalb, um die Gefahr abzuwenden, holt ihn ja die Cobra in Wien ab. Zu Recht schützt ihn der Staat, aber dass gegen seine freie Rede andere auch was sagen, macht ihn nicht zum Helden der Meinungsfr­eiheit: ›Kuschen und Freiheit‹, schreibt Bischofber­ger, von ihren Halbwahrhe­iten entflammt, ›das ist ein Widerspruc­h in sich. Wer nicht kuscht, sondern unbequeme Wahrheiten ausspricht und Probleme mit der Integratio­n zur Diskussion stellt, wird gern als »Hetzer« bezeichnet.‹

Das Selbstmitl­eid stellt sich ein, wenn man von den harten Bandagen, mit denen man agiert, auch etwas abkriegt. Die Kulturindu­strie tut alles, was in ihrer Macht steht, um das freie Wort von Sarrazin zu garantiere­n. Schließlic­h geht es nicht nur um 29 Euro für ein Gipfeltref­fen der freien Rede. Mindestens so gern, wie die einen ihn hören, hören die anderen etwas gegen ihn. Die Front ist aber zu eindeutig, zu ausgetrete­n, um noch aussagekrä­ftig zu sein. •

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