FRANZ-STEFAN GADY
Der gebürtige Steirer arbeitet als Sicherheitsberater beim East West-Institut, einem Think Tank in Washington. Dort hat er sich in den vergangenen Jahren auf Cybersecurity spezialisiert. Gady publiziert zudem Analysen zum Thema Sicherheit in Medien wie
Foreign Affairs, Foreign Policy und The Diplomat.
DATUM: Inwiefern hat sich der Blick in informierten Kreisen auf Österreich mit der schwarz-blauen Regierung verändert?
gADy: Was ich am interessantesten finde, ist, dass die Regierung in den USA immer mit der nationalsozialistischen Vergangenheit Österreichs in Verbindung gebracht wird. Das passiert jetzt auch bei Leuten, mit denen ich rede. Ich schreibe auch für die Magazine Foreign Affairs und Foreign Policy. Die wollen von mir wissen, ob jetzt in Österreich die Demokratie abgeschafft wird. Und ob wir wie Ungarn werden?
DATUM: Kennen Sie solche Fragen auch, Herr Kickert? KIcKerT: Nein, in der UNO wird das nicht thematisiert. Das einzige war die jüngste Entscheidung der Bundesregierung, aus dem globalen Pakt für Migration auszusteigen. Da wurde es aufgebracht, weil neben den USA zu dem Zeitpunkt nur Ungarn nicht dabei war. Aber andere werden noch folgen.
DATUM: Wegen Österreich?
KIcKerT: Nein, nicht wegen Österreich. Es gibt zwar eine gewisse Kettenreaktion, die wird aber eingeschränkt bleiben. Abseits dieses Themas sehe ich nicht, wo es innerhalb der UNO-Sphäre Beunruhigung wegen Österreich gibt. Wir haben eine Linie und eine Kontinuität, wo ich keinen Bruch sehe.
DATUM: Sie sagen, diese Kontinuität bleibt erhalten, trotz des Rückzugs der Regierung beim Migrationspakt?
KIcKerT: Ich gehe davon aus, dass das ein Einzelfall ist, ein spezieller, und ich sehe derzeit keine Anzeichen, dass in den anderen Bereichen, wo sich Österreich aktiv eingebracht hat, eine Kursänderung absehbar ist. Diese außenpolitische Kontinuität wurde über die Jahrzehnte bisher immer von allen Parlamentsparteien mitgetragen.
DATUM: Herr Kickert, Sie haben den Migrationspakt mitverhandelt. Die rechtsextremen Identitären haben gegen den Pakt und auch gegen Sie persönlich kampagnisiert. Waren Sie überrascht, als sich die Regierung gegen den Pakt entschieden hat?
KIcKerT: Das möchte ich nicht kommentieren. gADy: Ich war überhaupt nicht überrascht, eben weil die FPÖ in der Regierung ist. Was diese Regierung betrifft, sind die Österreich-Russland-Beziehungen sehr relevant für die Vereinigten Staaten: Ist Österreich das trojanische Pferd Russlands, genauer gesagt, Wladimir Putins in der EU?
DATUM: Wie lautet Ihre Antwort? gADy: Österreich ist nach wie vor ein sicherheitspolitischer Trittbrettfahrer in Europa. Und das ist gepaart mit einem gewissen politischen Opportunismus, weil die Russen sehr klug sind, was Österreich betrifft: Es ist ein kleines Land, das dadurch weltpolitisch ein bisschen mehr Gewicht bekommt, indem es quasi als Brückenbauer fungiert. Meines Erachtens aber sind wir schon viel zu nahe an Russland. Ich sehe auch keinen wirklichen Benefit, bis auf die wirtschaftlichen Interessen. Und dass in Österreich nach wie vor ein Antiamerikanismus herrscht, erlebe ich jedes Mal, wenn ich einen Vortrag über Amerikas Sicherheits- oder Außenpolitik dort halte. Da fliegt mir immer eine Welle des Antiamerikanismus entgegen, der oft gepaart ist mit einem leichten Antisemitismus.
DATUM: Was antworten Sie, Herr Kickert, auf die Frage nach dem österreichisch-russischen Verhältnis?
KIcKerT: In der UNO stellt sich die Frage ja ganz anders dar. Unser Abstimmungsverhalten spricht dort Bände, wir koordinieren uns innerhalb der Europäischen Union und haben dort in 95 Prozent der Fälle ein Abstimmungsverhalten wie die anderen EU-Partner. Da geht es oft auch gegen Russland, das mit Initiativen kommt, die nicht von uns unterstützt werden. Wichtig ist, dass man
›Man fragt mich, ob Österreich das trojanische Pferd Russlands, genauer gesagt, Wladimir Putins, in der EU ist.‹
Franz-Stefan Gady, Sicherheitsberater
auch die geschichtliche Genese der Beziehungen sieht: Österreich hatte immer gute Erfahrungen in der Kooperation mit der Sowjetunion und später Russland – etwa die Gaslieferungen, die wir als erstes westliches Land vereinbart haben. Sie waren 50 Jahre lang verlässliche Partner, und das ist natürlich eine ganz andere Realität, als die Polen oder die Balten erfahren haben. Aber entscheidend ist, dass Österreich alle EU-Entscheidungen, auch was die Sanktionen gegenüber Russland betrifft, voll mitträgt und auch weiter mittragen wird. Das ist gepaart mit dem Wunsch, den Dialog aufrecht zu erhalten, um letztlich womöglich zu Lösungen zu gelangen wie etwa in der Ostukraine.
DATUM: Würden Sie zustimmen, dass Europa ein Interesse hat an einem amerikanischen Präsidenten, der stärker auf Multilateralismus setzt und im weiteren Sinn, was das Thema Menschenrechte, das Thema Abrüstung betrifft, einen anderen Kurs einschlägt? gADy und KIcKerT: Auf jeden Fall, ja.
DATUM: Also an einem Mann, der nicht Trump heißt. KIcKerT: Oder an einer Frau! gADy: Europa kann nur überleben im Multilateralismus. Es gibt keine Alternative für Europa.
KIcKerT: Wir sehen erstmals einen US-Präsidenten, der der EU nicht positiv gegenübersteht, der sie sogar als einen Foe, also als einen Gegner bezeichnet hat. Natürlich aus der Handelsperspektive heraus.
gADy: Wahrscheinlich gab es sogar schlimmere Leute im Weißen Haus, über die Jahrhunderte, als Trump. Zum Beispiel Woodrow Wilson, ein ausgeprägter Rassist, der trotzdem als einer der führenden Denker der liberalen Weltordnung nach dem Ersten Weltkrieg gilt. Die Amerikaner haben dennoch mit Trump eine wirklich große Sache eingebüßt, und das ist Soft Power. Amerika war immer mehr als nur eine Großmacht und als der Hegemon im internationalen System, es war immer auch eine Idee. Und diese Idee ist für gewisse Werte gestanden, Offenheit, Demokratie, Liberalismus.
DATUM: Und diese Idee halten Sie für irreparabel beschädigt?
gADy: Das amerikanische System und das Amt des Präsidenten hatte immer auch einen gewissen – wenn auch informellen – monarchistischen Charakter. Von George Washington angefangen bis hin zu Barack Obama. Insofern konnte man diese Aura im Weißen Haus, diese Erhabenheit, diese Unantastbarkeit fast mit dem Papst vergleichen. Ja, ich glaube tatsächlich, dass Trump das Präsidentenamt irreparabel beschädigt hat. •