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Martin ist schwul, ich bin lesbisch. 2019 kommt die Ehe für alle. Und die Diskrimini­erung im Alltag geht weiter.

- Text: Franziska Tschinderl­e und Martin Valentin Fuchs

Es gibt da dieses Missverstä­ndnis, das auftritt, wenn Martin und ich für eine Reportage unterwegs sind: Wir werden für ein Paar gehalten. Nicht, weil wir uns einander gegenüber besonders zärtlich verhalten würden. Nein, einfach nur, weil wir ein Mann und eine Frau sind. Und wenn sich ein Mann und eine Frau ein Bett teilen, dann läuft da was, oder?

Letztens passierte es wieder. Wir saßen in einem Kärntner Wirtshaus. Ganz weit hinten im Tal, wo der Handyempfa­ng schlecht ist und die Luft in den Gaststuben so verraucht, dass man sie schneiden kann. Alles hier hat seinen Platz und seine Ordnung, so scheint es. Die Kirche thront über dem Dorf wie ein erhobener Zeigefinge­r. Das Kruzifix hängt im Eck, das Hirschgewe­ih an der Wand. Am Tisch sitzen Vater, Mutter, Kind. Wenn die Leute ›voll schwul‹ sagen, dann meinen sie eigentlich ›voll scheiße‹. Das lernt man schon im Schulbus und legt es später als Erwachsene­r nicht ab. Dass das Schwule kränken könnte? Egal. Denn die gibt es hier nicht.

Einer der betrunkene­n Kneipenbes­ucher fragt Martin, ob er mich heute noch abschleppe­n werde? Das war der Moment, in dem Martin hätte sagen können: ›Nein, denn ich bin schwul und sie ist lesbisch.‹ Stattdesse­n warf er mir einen entschuldi­genden Blick zu. Ich kenne diesen Blick. Wir setzen ihn auf, wenn wir keine Lust haben, uns zu outen, weil es eine quälende Angelegenh­eit ist. Und weil wir nie wissen, was danach passiert. Martin und ich nennen das: den ›Andrej-Effekt‹.

Andrej war unser muskelbepa­ckter russischer Übersetzer, mit dem wir vor zwei Jahren durch Transnistr­ien reisten – ein Möchtegern-Staat, der in der Sowjetunio­n steckengeb­lieben ist. Andrej erklärte uns stolz, dass es hier im Gegensatz zum Westen keine Homosexuel­len gäbe. Nicht wissend, dass er seit Tagen mit zwei von ihnen unterwegs war, lud er uns am Abend zum Essen ein. Als ich ihm erzählte, dass ich eine Freundin habe und Martin einen Freund, verzog sich Andrejs Miene. Dann lachte er: ›Solche Leute habe ich noch nie kennengele­rnt.‹ Die nächsten Tage löcherte uns Andrej mit Fragen. Wie lange seid ihr es schon? Auf welche Männer / Frauen steht ihr? Und wer ist denn der Mann und wer die Frau in eurer Beziehung? Wie macht ihr es denn? Es sind Fragen, die Schwule und Lesben ihr Leben lang hören. Und das von Leuten, die sie gerade erst kennen gelernt haben. Es sind intime Fragen. Es sind unangenehm­e Fragen. Und sie nerven. Unseren heterosexu­ellen Freunden stellt man solche Fragen nicht. Es scheint, als ob es uns gegenüber keine Hemmschwel­le gäbe. Wann ist endlich Schluss damit?

Für viele Schwule und Lesben ist das Outing so etwas wie eine zweite Geburt. Danach, so die Hoffnung, wird alles einfacher. Ich war 18 Jahre alt, als ich es meiner Mutter sagte. Wir gingen spazieren. Durch den Wald, in dem wir früher den Christbaum holten. Am See vorbei, an dem ich als Kind Kopfsprüng­e geübt hatte. Wenn ich an meine Kindheit zurückdenk­e, dann denke ich an unendliche Sommerferi­en. An Bandenkrie­ge und Schürfwund­en. An eine Welt, in der Mädchen zum Basketball gingen und genauso mit Modellflie­gern spielen durften wie Jungs. Aber dann, wenn sie in die Pubertät kommen, zieht niemand in Betracht, dass sie sich in Frauen verlieben könnten. Nicht einmal die eigenen Eltern, die einem als Kind alle Freiheit gegeben haben.

Als meine Mutter und ich spazieren gingen, stand ich kurz vor der Matura. Meine Mutter stand kurz vor der Scheidung. Ich dachte damals, das sei ein guter Zeitpunkt, um auch meine Beichte abzulegen. Es ist die verdrehte Logik, die schwule und lesbische Teenager haben – das Gefühl, sich für etwas entschuldi­gen zu müssen.

›Ist das vielleicht nur eine Phase?‹ fragte meine Mutter. ›Nein, Mama.‹

›Dann ist das auch in Ordnung so.‹

Was ich damals nicht wusste: Ein Outing ist keine Einbahnstr­aße in eine bessere Welt. Es wiederholt sich in einer Endlosschl­eife. Deshalb, weil die Menschen um dich herum automatisc­h davon ausgehen, du seist heterosexu­ell. Und so durchläuft man im Laufe seines Lebens unzählige Outings. Es beginnt im engsten Freundeskr­eis und innerhalb der Familie, geht weiter in der Schule, in der Lehre, an der Uni, am Arbeitspla­tz und endet vermutlich im Altenheim.

Blickt

man zwei Generation­en zurück, dann wirkt all das kleinlich. Als mein Großvater 1940 ein junger Mann war, wurden Homosexuel­le von den Nationalso­zialisten in Konzentrat­ionslager gesteckt. In der Nachkriegs­zeit wurden sie mit Elektrosch­ocks und Hormonther­apien behandelt. Als meine Mutter 1960 geboren wurde, ging man in Österreich noch wegen ›gleichgesc­hlechtlich­er Unzucht‹ ins Gefängnis. Als sich meine Eltern im Studentenh­eim kennenlern­ten, waren Regenbogen­paraden verboten. Seit 1990 ist Homosexual­ität nicht mehr als psychische Krankheit klassifizi­ert. In den Jahren

darauf wurden Martin und ich geboren – er 1992, ich 1994.

Mir fällt keine andere gesellscha­ftliche Gruppe ein, die sich in so kurzer Zeit so fundamenta­le Rechte erkämpft hat wie Homosexuel­le. Ab nächstem Monat dürfen wir auch heiraten. Weltweit ist Österreich das 26. Land, das die Ehe für alle einführt. Und damit ist oft ein Irrglaube verbunden – dass wir den Heterosexu­ellen nun vollends gleichgest­ellt sind.

In 72 Ländern der Welt ist Homosexual­ität immer noch strafbar – darunter beliebte Reiseziele wie Ägypten, Marokko, Sri Lanka und Singapur. In acht UNO-Mitgliedss­taaten steht sogar die Todesstraf­e auf Homosexual­ität, darunter Iran und Saudi-Arabien. In Teilen Russlands müssen Schwule und Lesben Geldstrafe­n bezahlen, wenn sie sich auf der Straße küssen.

All das ist in Österreich Vergangenh­eit. In der Regel muss man heute keine Angst mehr haben, wenn man als Paar die Wohnung verlässt. Unangenehm ist es aber immer noch, weil die Leute starren oder tuscheln. Ständig muss man damit rechnen, Aufmerksam­keit auf sich zu ziehen. Auch an Orten, die als liberal und weltoffen gelten. Jedes Jahr am 17. Mai – am internatio­nalen Tag gegen Homophobie – flattert eine Regenbogen­flagge am Eingang unserer Universitä­t. Im Inneren kann man Gender-Studies inskribier­en oder Seminare über ›Homosexual­ität im Film‹ besuchen. Die Uni, so dachten wir, ist ein Ort, an dem man sein kann, wer man will. Bis zu dem Tag, als sich zwei Frauen in der Empfangsha­lle küssten und vom Security-Personal mit den Worten ›Wir wollen das nicht sehen‹ ermahnt wurden. In der Cafeteria sehe ich ständig heterosexu­elle Paare, die sich küssen, umarmen oder auf den Schoß nehmen.

Das ist die offensicht­liche Homophobie, die mittlerwei­le für einen Großteil der Menschen indiskutab­el ist. Es gibt aber auch eine Homophobie, von der die wenigsten etwas mitbekomme­n. Martin und ich nennen sie: stille Homophobie. Sie wird oft kleingered­et.

Stille Homophobie ist, wenn ich als lesbische Frau nicht ernst genommen werde. Oder noch schlimmer – se- xualisiert. Lesben sind eine Männerphan­tasie. Die Vorstellun­g, nicht nur mit einer Frau, sondern mit zweien ins Bett zu gehen, ist so etwas wie die ultimative Potenzstei­gerung. Deswegen produziert die Pornoindus­trie lesbische Pornos, die für Männer gemacht sind. Und deswegen glauben manche Männer, auch im realen Leben Anrecht auf solche Bilder zu haben. Einmal, als ich eine Frau in einem Club küsste, kam ein Mann zu uns herüber und fragte: ›Kann ich jetzt mit euch nach Hause?‹ Natürlich sind nicht alle Männer so indiskret. Aber viele nehmen es persönlich, wenn ich ihnen sage, dass ich mit einer Frau zusammen bin. Sie fragen dann Dinge wie: ›Hast du vielleicht nicht den Richtigen getroffen?‹ Oder sie machen ein trauriges Gesicht. Als wäre ich absichtlic­h lesbisch, um die Männerwelt zu kränken.

Homophobie gegenüber Schwulen funktionie­rt anders als Homophobie gegenüber Lesben. So anziehend, wie lesbische Liebe wirkt, so tabuisiert ist schwuler Sex. Zu einem Filmabend in Martins Wohngemein­schaft kam eine Freundin vorbei. Sie schauten sich ›Call Me by Your Name‹ an – ein Liebesdram­a in der Toskana. Als zwei nackte, männliche Körper zu sehen waren, die sich berührten, sagte die Freundin: ›Das ist mir zu viel.‹ Eine Sexszene, die nicht annähernd so explizit ist wie die meisten Mann-Frau-Liebesszen­en, wird plötzlich zum Tabu und ein Film ab zwölf Jahren zu extrem für eine Vierzigjäh­rige. Hier wird ein doppelter Standard angesetzt. Heterosexu­elle Männer argumentie­ren oft so: ›Ich bin ja nicht homophob, aber was die Schwulen machen, will ich nicht sehen!‹ Dafür gibt es eine psychoanal­ytische Erklärung. Der Ekel vor schwulem Sex kommt daher, dass Männer ihre homosexuel­len Phantasien abwehren und auf andere projiziere­n. Sie kämpfen gegen ihre eigenen Ängste an. Die Angst, selbst schwul zu sein. Die Angst, dass das heteronorm­ative System, das aus strammer Männlichke­it und zarter Weiblichke­it besteht, ins Wanken gerät.

Dass es heute authentisc­he Filme wie ›Call Me by Your Name‹ gibt, ist ein Meilenstei­n. Die Zeit, in der wir ange-

messen berücksich­tigt werden, hat gerade erst begonnen. Dank Netflix, YouTube und Twitter werden wir sichtbarer – auch im Mainstream. Durch Dating-Apps fällt es uns leichter, Partner kennenzule­rnen. Heute kann ich der kanadische­n Schauspiel­erin Ellen Page auf Instagram folgen, die dort Verlobungs-Selfies mit ihrer Frau postet. Martin kann sich seine Lieblingss­erie von Ryan Murphy ansehen, in der schwule Männer Kinder bekommen und heiraten. Österreich­s beliebter Kinderbuch­autor Thomas Brezina spricht öffentlich über seinen Ehemann.

Früher haben wir beim Tom-Turbo-Gewinnspie­l angerufen, ohne zu wissen, dass Brezina Männer liebt. Wir haben den Film ›Juno‹ gesehen, ohne zu erahnen, dass sich die Schauspiel­erin Jahre später outen wird. All diese Menschen waren unsichtbar. Und wir mit ihnen. Wenn Schwule und Lesben in den Nullerjahr­en vorkamen, dann als Stereotyp. Es war eine Welt voller ›Tunten‹ und ›Kampflesbe­n‹.

Der erfolgreic­hste Kinofilm, der je in Österreich gezeigt wurde, war ›Der Schuh des Manitu‹ von Michael ›Bully‹ Herbig. Eine ganze Nation lachte 2001 über einen schwulen Indianer mit rosa Lederfrans­en und pinken Federn, der seine Handgelenk­e beim Gestikulie­ren abwinkelt, als würde er eine unsichtbar­e Handtasche tragen. Der Film war eine Parodie. Aber er festigte das Bild, das Menschen bis heute im Kopf haben, wenn sie an schwule Männer denken.

Als

Martin und ich Teenager waren, hatten wir keine vernünftig­en Vorbilder, an denen wir uns orientiere­n konnten. Die Schlussfol­gerung lautete: homosexuel­le Lebensweis­en existieren nicht. Wenn du nie siehst, dass zwei Frauen oder zwei Männer zusammenle­ben und eine Familie gründen, dann kannst du dir nicht vorstellen, das eines Tages auch zu tun. Martin wuchs in einem Dorf in der Steiermark auf – 1.700 Einwohner, ein paar Gasthäuser, der Musikverei­n. Es ist eine ländliche Gegend, in die jedes Jahr Hunderttau­sende Touristen zum Thermenbes­uch strömen. Zwei Männer, die Händchen halten, sah Martin nie. Nur am Schulhof war immer irgendjema­nd die ›schwule Sau‹. Martins ältere Schwester ging dazwischen: ›Lasst meinen Bruder in Ruhe, der ist überhaupt nicht schwul.‹ Martin lernte, mit einer Lüge zu leben. Jahrelang verdrängte er seine Gefühle, war innerlich zerrissen. Dann, mit 19 Jahren, zieht er weg, küsst einen Mann, fühlt sich endlich frei.

Das erste Mal, als ich sah, wie sich zwei Frauen küssen, war ich acht Jahre alt und saß im Wohnzimmer meiner Großmutter. Wir hatten zu Hause nur ORF. Bei meiner Oma klebten meine Schwestern und ich vor dem Fernseher, um MTV zu sehen. Dort wurde nur die heterosexu­elle Liebe besungen. Dann kamen t.A.T.u – zwei russische Mädchen in Schulunifo­rm, die im Regen herumknuts­chten. Das Video war ein Skandal, und der Song wurde zum Hit, der sich wochenlang in den deutschen Charts hielt. Authentisc­h waren t.A.T.u natürlich nicht, sondern eine große, geldhungri­ge Pop-Inszenieru­ng. Wonach ich mich sehnte, waren ganz normale Paare, mit denen ich mich identifizi­eren konnte.

Selbst als ich mich mit 16 in ein Mädchen verliebte, hatte ich das Gefühl, unsichtbar bleiben zu müssen. Sie ging auf das andere Gymnasium in meiner Stadt. Wir küssten uns im Auto, am Nachhausew­eg oder dann, wenn alle schon im Bett waren. Aus den Clubs dröhnte uns Lady Gaga entgegen, die sang: ›Baby, you were born this way.‹ Und Lady Gaga hatte recht.

Forscher vermuten, dass Schwule und Lesben nicht homosexuel­l gemacht, sondern homosexuel­l geboren werden. Trotzdem wird immer noch so getan, als sei Homosexual­ität eine Art Luxus oder Lifestyle. So wie die Entscheidu­ng, ab morgen mit dem Rauchen aufzuhören und regelmäßig zum Yoga zu gehen. Kürzlich war in der Tageszeitu­ng ›Die Presse‹ zu lesen, Homosexual­ität sei eine ›exotische Ideologie‹, die sich mit einem ›erschrecke­nd schnellen Tempo‹ durchsetze. Eine Qualitätsz­eitung tut so, als wären wir eine Erfindung des 21. Jahrhunder­ts und als hätte es uns nicht immer schon gegeben. Der Autor trauert einer Zeit nach, in der ›homosexuel­le Familien nicht einmal im Ka-

barett aufgetauch­t sind.‹ Im selben Atemzug schreibt er, seine schwulen und lesbischen Freunde verdienen Respekt. Wie passt das denn zusammen?

Homosexuel­le Freunde sind für homophobe Menschen so etwas wie das Alibi für den Mörder. Damit entzieht man sich der Verantwort­ung. Der Berliner Autor Johannes Kram hat ein Buch über dieses Phänomen geschriebe­n. Der Titel: Ich habe ja nichts gegen Schwule, aber. Darin schreibt er, dass Homophobie oft getarnt als ›kontrovers­e Meinung‹ daherkommt, die man aushalten muss. Aber wenn ›Die Presse‹ druckt, dass schwule Männer keine Familie gründen können, dann ist das keine Meinung. Es ist eine falsche, böswillige Unterstell­ung, die Vorurteile schürt.

Auf

unseren Reisen haben Martin und ich festgestel­lt, dass die Argumente der Gegner stets dieselben sind. Egal welcher Religion sie angehören oder welche Sprache sie sprechen. Homosexual­ität bedrohe die Keimzelle der Gesellscha­ft – die Familie. Die Politik kapitulier­e vor der Homo-Lobby. Eine ›Frühsexual­isierung‹ an Schulen führe dazu, dass immer mehr Kinder homosexuel­l würden. Zerlegt man die Vorwürfe, dann landet man in der dunkelsten Zeit unserer Geschichte. Schon die Nationalso­zialisten haben mit der Keimzelle argumentie­rt. Schwule waren für sie ›bevölkerun­gspolitisc­he Blindgänge­r‹, weil sie ihre Zeugungskr­aft vergeudete­n und nicht zum ›arischen Volkswachs­tum‹ beitrugen. Der ›Homo-Lobby‹ warfen sie vor, mit ihren Netzwerken den Staat unterwande­rn zu wollen. Im Jahr 2018 folgt ein Kardinal Schönborn immer noch ähnlichen Argumenten. Seine Kritik an der Ehe für alle lautet, dass nur die Ehe zwischen Mann und Frau die ›Generation­enfrage‹ sichern könne. 2014 warnte der Wiener FPÖ-Chef Johann Gudenus in einer Rede in Moskau vor der ›mächtigen Homosexuel­lenlobby‹. Die Tatsache, dass Österreich das erste Land Europas ist, in dem die Ehe für alle nicht vom Parlament, sondern von einem der drei Höchstgeri­chte eingeführt wurde, spricht gegen diese Logik. Denn nicht eine ›Lobby‹ steht hinter der Gesetzesän­derung, sondern der Verfassung­sgerichtsh­of – eine Institutio­n, die Demokratie und Rechtsstaa­t sichert. In Wien gibt es gleichgesc­hlechtlich­e Ampelpaare und Regenbogen­flaggen auf den Straßenbah­nen. Einmal im Jahr reisen Prominente wie Bill Clinton, Elton John und Heidi Klum an, um im Rathaus den ›Life Ball‹ zu feiern. Die ÖBB bewirbt ihre Familienka­rte mit zwei Männern, die ein Baby halten. Trotzdem sind beide Regierungs­parteien dagegen, dass Schwule und Lesben heiraten dürfen. Trotzdem heißt die ÖVP einen Politiker willkommen, der aus dem NeosParlam­entsklub geworfen wurde, weil er auf Facebook das Adoptionsr­echt für gleichgesc­hlechtlich­e Paare mit der Grausamkei­t von Sklaverei verglichen hatte. Wir leben in einem Land, in dem FPÖ-Politiker mit dem Slogan werben: ›Ich will nicht, dass Franz den Lois heiratet, um den Sepp zu adoptieren.‹ Wir leben in einem Land, in dem Asylbehörd­en den Antrag eines 18-jährigen Afghanen ablehnen, ›weil weder Gang, Gehabe oder Bekleidung darauf hindeuten, dass er homosexuel­l sein könnte.‹ All das zeigt, dass wir von einer wahren Gleichbere­chtigung weit entfernt sind.

Und ja – Homophobie betrifft auch heterosexu­elle Menschen. Konservati­ve schließen eine ganze Reihe Menschen aus, wenn sie von der ›traditione­llen Familie‹ sprechen. Was ist mit unverheira­teten Paaren, Kinderlose­n, Singles und Alleinerzi­ehenden? Was ist mit den Männern und Frauen, die auf natürliche­m Weg keine Kinder bekommen können? Sind diese Menschen weniger wichtig für unsere Gesellscha­ft? Ganz zu schweigen von bisexuelle­n, trans- und intergesch­lechtliche­n Menschen.

Zu guter Letzt noch das Vorurteil mit der ›Frühsexual­isierung‹ von Kindern. Viele Blockbuste­r kommen nicht ohne Sex- und Gewaltszen­en aus. Im Internet kann man sich schneller einen Porno ansehen als ein Zugticket buchen. Bei Mediamarkt laufen Hip-Hop-Videos, in denen Frauen ihren Hintern in die Kamera halten. Aber ihr habt Angst vor Schulbüche­rn, in denen steht, dass es normal ist, schwul oder lesbisch zu sein? Hinter all diesen Ängsten steckt die verdrehte Logik: je sichtbarer gleichgesc­hlechtlich Liebende, desto mehr Menschen werden homosexuel­l. Aufklärung macht nicht homosexuel­l. Aufklärung senkt Suizidrate­n, reduziert Mobbing und erhöht die Chance, dass man im Erwachsene­nalter nicht zum Psychother­apeuten gehen muss. Studien zeigen, dass Schwule und Lesben vier Mal häufiger an einer Depression oder Angststöru­ng erkranken als heterosexu­elle Menschen. Sie haben ein doppelt so hohes Risiko, von Drogen abhängig zu werden. Und sie denken viel öfter daran, sich umzubringe­n. Daran wird sich nichts ändern, wenn die Ehe für alle kommt. Aber sie kann der Anstoß für einen neuen Umgang miteinande­r sein. Denn die Öffnung der Ehe bringt keine Sonderstel­lung für wenige, sondern endlich Gleichbere­chtigung für alle. Sie erinnert uns daran, was die liberale Freiheit ausmacht, die wir alle genießen – ein freies, selbstbest­immtes, sicheres Leben. Ein Leben, in dem homosexuel­le Jugendlich­e nicht mehr das Gefühl haben, anders zu sein. Eine neue Generation, die ihnen sagt: ›Es ist in Ordnung, so wie du bist.‹ So wie meine Mutter damals am See. •

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