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Sebastian Loudon Zeitenwech­sel

Wie mich IWM-Chefin Shalini Randeria beinahe versetzt.

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Shalini

Randeria betritt pünktlich das Café Landtmann, nimmt Platz und bestellt sich einen Tee. Das alles ist insofern interessan­t, als wir im Café Museum verabredet waren. Ein schneller Anruf, eine kurze Taxifahrt und schon sitzt sie ebenda – und bestellt sich wieder einen Tee. Es ist Samstagabe­nd, und das ist die einzige Chance, Randeria zu treffen, zumindest auf längere Zeit, denn am Montag geht es nach Genf, von dort nach England und dann nach Indien. Und jetzt dann gleich zum Konzert in den Musikverei­n. Randeria ist seit 2015 Rektorin des Instituts für die Wissenscha­ften vom Menschen, kurz IWM, in Wien. Zusätzlich leitet sie das Albert Hirschman Centre on Democracy am IHEID in Genf und ist obendrein Gastprofes­sorin in Berlin. Sie wirkt ein bisschen unrund, wenn sie von ihren vielen Aufgaben erzählt: Ich habe das Gefühl, ich verwende zu viel Zeit für Verwaltung. Ich bin Ethnologin – ich muss ins Feld! Das schafft sie für höchstens ein Monat pro Jahr in Indien, wo sie erforscht, wie lokale Bauern versuchen, ihr Land und ihre Lebensgrun­dlage gegen mächtige Konzerne zu verteidige­n.

Das IWM wurde Anfang der Achtzigerj­ahre als unabhängig­es sozial- und geisteswis­senschaftl­iches Zentrum zwischen den beiden Blöcken des Kalten Krieges in Wien gegründet. Heute ist die Perspektiv­e längst eine andere – und irgendwie auch wieder nicht. Es geht um die liberale Demokratie, um einen lösungs- und vernunftor­ientierten Diskurs aus Wissenscha­ft und Praxis, um die Werte der Aufklärung. Dass die Arbeit des Instituts heute mitten in einem von Renational­isierung und Entsolidar­isierung geplagten Europa so virulent ist, lässt Randeria seufzen. Es ist eben eine Sisyphos-Arbeit. Gerade noch wirkte der Felsblock stabil, jetzt müssen wir uns wieder gegen ihn stemmen, damit er nicht abstürzt.

Randeria stammt aus einer kosmopolit­ischen indischen Familie mit bewegter Geschichte: Ihre Urgroßmutt­er war eine der ersten Inderinnen mit Hochschula­bschluss, ihr Urgroßvate­r ein Romancier. Sie gehörten der höchsten Kaste an, den Brahmanen. In seinen Romanen machte sich der Urgroßvate­r über die abergläubi­schen Rituale der Brahmanen lustig – das ging denen gegen den Strich, reichte aber nicht für den Ausschluss aus der Kaste. Dass sie ihn dennoch rausschmis­sen, hat mit dem berühmten Cricketspi­eler Palwankar Baloo – Baloo the Bowler – zu tun, aber das ist eine andere Geschichte. Um die Jahrhunder­twende gab es jedenfalls ein Cricket-Turnier der Religionen. Beim Bombay Quadrangul­ar traten ein Hinduteam, ein Muslimteam, ein Christente­am und ein Parsenteam gegeneinan­der an. Vier Religionen im sportliche­n Wettstreit gegeneinan­der, welch göttliche Alternativ­e zu Glaubenskr­iegen aller Art . Eine Frage noch an die Anthropolo­gin: Wenn man die Menschheit und ihre Gesellscha­ften so intensiv erforscht – wie schafft man es, Menschenfr­eundin zu bleiben? In ihrer 40-jährigen Forschungs­arbeit habe sie gelernt, mit welchem Optimismus und welcher Kreativitä­t auch die Ärmsten danach trachten, ihr Leben Tag für Tag menschenwü­rdig zu gestalten. Da kannst du einfach nicht verzweifel­n. Also, sind die Menschen doch im Grunde gute Wesen? Da halte sie es mit Yehuda Elkana, jenem israelisch­en Wissenscha­ftstheoret­iker, der Auschwitz überlebt hatte. Er glaubte weder an das absolut Gute noch an das absolut Böse im Menschen. Es seien die Lebensumst­ände, die das Gute oder das Böse in uns hervorrufe­n. Und es ist unsere Aufgabe, jene Lebensumst­ände herbeizufü­hren, die das Gute in den Menschen fördern.

Noch zwei Tassen Tee, bitte! •

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Sebastian Loudon Herausgebe­r

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