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›Kann man sich selbst verzeihen?‹

Der Fatalismus der Eliten, die Kreativitä­t von Trump und warum die Plagiatsaf­färe zur rechten Zeit kam: Der deutsche Ex-Politiker Guttenberg im Gespräch.

- Interview: Sebastian Loudon · Fotografie: Gianmaria Gava

Der deutsche Ex-Politiker Guttenberg im Gespräch.

Meine Güte, das ist doch der KT‹, tuschelt die deutsche Touristenf­amilie, als Karl-Theodor zu Guttenberg in der Lobby eines Wiener Ringstraße­nhotels telefonier­end auf und ab geht. Obwohl sein unrühmlich­es Ausscheide­n aus der deutschen Politik bereits sieben Jahre her ist – für viele Deutsche ist Guttenberg immer noch ein Star, und das ebenso jähe wie selbstvers­chuldete Ende seiner Politkarri­ere nach dem Plagiatssk­andal um seine Doktorarbe­it macht einige wehmütig. Für andere wiederum ist er schlicht ein betrügeris­cher Blender. Nun ist Guttenberg Berater mit Lebensmitt­elpunkt in den USA – und er ist gut gebuchter Vortragsre­isender. Ein gemeinsame­r Auftritt mit dem österreich­ischen Finanzmini­ster Hartwig Löger war der Grund für seinen Wien-Besuch. Vor dem Abflug bleibt noch Zeit für ein DATUM-Gespräch.

Deutschlan­d bereitet sich merklich auf die Zeit nach Angela Merkel vor und tut sich offenbar etwas schwer damit …

Dabei hätte man sich diese Überlegung ruhig schon vorausscha­uend vor einigen Jahren machen können, denn Politik ist nun einmal tatsächlic­h nicht auf Unendlichk­eit ausgelegt. Und hoffentlic­h ohne gleich der Ruchlosigk­eit geziehen zu werden: Es würde allen Parteien gut tun, immer wieder in Alternativ­en zu denken. Sie haben zu Jahresende dem bayerische­n Ministerpr­äsidenten Markus Söder gewisserma­ßen mangelnde Qualifikat­ion attestiert. Mit welcher Motivation?

Ich habe mit Blick auf seine Kandidatur zum CSU-Parteivors­itzenden gesagt, dass er noch nicht das Format einiger seiner großen Vorgänger hat und dass ich mir Manfred Weber für diese Position hätte vorstellen können. Dies war die Meinungsäu­ßerung eines Wählers und Parteimitg­lieds, was von einigen, insbesonde­re auch Kommentato­ren, offensicht­lich als Gottesläst­erung ausgelegt wurde. Oder es gehört sich aus Sicht dieser Leute nicht, als Mensch mit Schwächen – und davon habe ich wahrlich

mehr als genug – auf etwaige Schwächen eines anderen hinzuweise­n. Gottlob gibt es weder in Parteien noch für einige Medien ein Meinungsmo­nopol. Aber ich wünsche Markus Söder ohne Ironie allen Erfolg und würde mich freuen, wenn ich meine heutige Ansicht irgendwann revidieren muss.

Deutschlan­d befindet sich also in einer Übergangsp­hase – wo sehen Sie da die wesentlich­e Bruchlinie?

Vielleicht überrasche­nderweise in einer Äußerung, die Angela Merkel selbst getätigt hat – und das auch noch in einem Bierzelt in München: Sie meinte, ich zitiere sie jetzt sehr frei, dass Europa sein Schicksal selbst in die Hand nehmen muss, und hat dabei auch die Verantwort­ung Deutschlan­ds einbezogen. Nun waren die vergangene­n 13 Jahre zweifellos von viel Verantwort­ung durch Deutschlan­d geprägt, aber nicht zwingend, was einige große Linien in außenpolit­ischen Fragen anbelangt. Darin, das noch proaktiver anzugehen, besteht in meinen Augen eine Option jeder künftigen Regierung, jeder künftigen Parteiführ­ung.

Weniger von der gelernten deutschen Zurückhalt­ung auf der Weltbühne?

Genau. Verantwort­ung für Europa und entspreche­nd für die Welt. Angesichts der Umbrüche, die wir erleben, kann man sich nicht mehr zurücklehn­en und sagen, dass niemand auf deutsche Führung warten würde – und dabei immer wieder den Blick auf unsere Historie bemühen. Im Gegenteil: Die Erwartungs­haltung vieler internatio­naler Partner geht dahin, dass Deutschlan­d Führungsve­rantwortun­g zeigt, und zwar eine, die über das Scheckbuch und bisherige Engagement­s hinausreic­ht.

Der Vorwurf an die Regierung Merkel steht im Raum, dass man es verabsäumt habe, die von Emmanuel

Macron ausgehende Dynamik in Bezug auf eine Weiterentw­icklung der Europäisch­en Union zu nutzen.

An diesem Vorwurf ist etwas dran. Natürlich kann man es sich einfach machen und auf die langwierig­e Regierungs­bildung hinweisen. Aber es gab ja eine im Amt befindlich­e Regierung, und fest steht für mich, dass Macrons Rede an der Sorbonne ein lang erwarteter streitbare­r Impuls war, der dringend einer Antwort aus Berlin bedurfte. Und diese Antwort kam bis vor Kurzem nicht, und als sie kam, fiel sie vergleichs­weise dürftig aus. Das Schicksal, das Macron derzeit ereilt, ist natürlich primär selbst geschaffen, aber auch dem Umstand geschuldet, dass aus Berlin allzu wenig kam.

Inmitten der vollen Konzentrat­ion auf den Brexit hat also die Achse Berlin-Paris versagt?

Von exklusiven Achsen in Europa halte ich nichts. Aber mit dem Motto ›Crisis Management first‹ macht man es sich ebenfalls zu einfach. Eigentlich war die Europäisch­e Union in den vergangene­n zweieinhal­b Jahrzehnte­n stets von Krisenmana­gement geprägt. Und dann kommt – endlich einmal – einer mit Impulsen, die über Ad-hoc-Reaktionen hinausreic­hen, und die erste Ausrede lautet, man müsse sich zunächst um die innenpolit­ische Lage kümmern. Die zweite lautet, man müsse sich erst einmal um den Brexit kümmern – und erst dann könne man sich an die großen strukturel­len Fragen heranwagen. Ich glaube, die Logik wäre umgekehrt gewesen. Das hätte vielleicht manchen Dialog um den Brexit nicht erleichter­t, aber doch auch mit einer gegebenenf­alls neuen Perspektiv­e versehen, und das hätte auch auf die Briten eine andere Wirkung gehabt.

Wir erleben in Echtzeit eine Renaissanc­e des Nationalis­mus, der Europa schon oft in den Abgrund geführt hat. Gibt es so etwas wie einen gesunden Nationalis­mus?

Ich würde mich gerne von dem Begriff ›gesunder Nationalis­mus‹ trennen – es gibt mit Sicherheit ein gesundes nationales Empfinden und einen gesunden Patriotism­us, der in keiner Weise funktionie­rende europäisch­e Organisati­onsformen ausschließ­t und durchaus in so etwas wie einen europäisch­en Patriotism­us führen kann, ohne, dass dabei die nationale und regionale Identifika­tion infrage gestellt werden muss. Diese Parallelit­ät kann es geben. Aus meiner eigenen banalen Erfahrung: Mein europäisch­er Patriotism­us ist in den vergangene­n sieben Jahren, in denen ich nicht in Europa gelebt habe, fraglos gewachsen. Wurde mein Patriotism­us für jene Länder, in denen ich aufgewachs­en bin, dadurch beschädigt? Im Gegenteil – diese Parallelit­ät wurde nur stärker.

Sind Sie ein Befürworte­r der Devise ›Mehr Europa‹, also Bundesstaa­t statt Staatenbun­d?

Ich bin vor allem dafür, dass man sich der Realität stellt und sich von manchen romantisch­en Vorstellun­gen trennt. Dazu zählt etwa ein Europa ein und derselben Geschwindi­gkeit, ein Europa der gänzlich Gleichen. Wir hatten und haben ein Europa der unterschie­dlichen Geschwindi­gkeiten, im Europa der Sechs, der Neun, der Zwölf oder der 28. Das Europa der konzentris­chen Kreise gibt es längst, auch wenn wir es nicht zugeben wollen. Der Euro ist ja so ein Kreis. Und wenn man versucht, den Spagat zwischen Realität und Traumbild zu schaffen, scheitert

›Macrons derzeitige­s Schicksal ist primär selbst geschaffen – aber aus Berlin kam auch allzu wenig.‹

man zwangsläuf­ig bei der Vermittlun­g. Also kurz gefasst und nicht ausreichen­d begründet: Ja, dort, wo es Notwendigk­eit und Einigkeit gibt, kann man die europäisch­e Ebene gar nicht genug stärken. Und dort, wo man gerne das zur Floskel verkommene Wort Subsidiari­tät murmelt, muss man es auch ernst nehmen. Man wird jedenfalls produktive­r sein, wenn man sich an den Realitäten entlanghan­telt und nicht in einer Traumwelt lebt.

Von außen betrachtet wird Politik immer noch ein Stück unmögliche­r. Fehlt Ihnen die aktive politische Arbeit? Meine Lust, mich diesem Mahlstrom noch einmal zu unterwerfe­n, hält sich in sehr messbaren Grenzen. Man verliert nicht seine politische Leidenscha­ft, aber sehr wohl seine Leidenscha­ft am politische­n Leben – insbesonde­re angesichts der doch sehr veränderte­n Entscheidu­ngsrhythme­n und der immer größeren Schwierigk­eiten, Entscheidu­ngen mit Substanz zu unterfütte­rn –, weil einem schlicht die Zeit nicht mehr gegeben wird. Da kann ich auch Ihren Berufsstan­d nicht aus der Verantwort­ung nehmen. Wenn man das alles einmal kritisch hinterfrag­t und überlegt, wie viel Substanz man in Politik und Medien eigentlich zulässt, wenn schon die nächste Sau durchs Dorf getrieben wird, dann kommt man zum Schluss: Das ist ein wahnsinnig­er Teufelskre­is! Mit einem Monatsmaga­zin wie DATUM können Sie sich einen anderen Zugang leisten. Aber alle anderen, die im Minutentak­t Nachrichte­n produziere­n wollen – obwohl sie es ja nicht müssen – befeuern eine Dynamik, die auch der Qualität der Politik nicht dienlich ist.

Der Journalism­us steckt da ja selbst in einer Falle.

Soziale Netzwerke wie Facebook und ihre Algorithme­n belohnen alles, was reizt, aufregt, wütend macht. Wie erleben Sie diesen Wandel?

Facebook und andere müssten endlich zur Erkenntnis kommen, dass sie tatsächlic­h Medien sind – das löst zwar bei Weitem nicht alle Probleme, wäre aber zumindest eine Anlehnung an die Realität. Dieses strategisc­he Herumeiern dient langfristi­g weder Facebook selbst noch einer gesunden gesellscha­ftlichen Entwicklun­g. Da sind gewisse soziale Netzwerke meiner Meinung nach sehr viel mehr in die Pflicht zu nehmen. Leider findet die Debatte in einem intellektu­ell hohlen Raum statt, und sie ist zudem sehr von Reflexen geprägt.

Gerade bei der Digitalisi­erung sind zunehmend tiefe Gräben zu erkennen – den einen kann es nicht schnell genug gehen, die anderen aktivieren sämtliche Beharrungs­kräfte …

Vor allem fehlt es an wechselsei­tigem Verständni­s. Faktisch bewegen sich beide Welten – also die klassische, in einer liberalen Demokratie gestaltete Staatsordn­ung und die digitale Gründerwel­t – auf zwei unterschie­dlichen Planeten. Und die Ahnungslos­igkeit über den jeweils anderen ist wirklich atemberaub­end. Die digitalen Utopisten sind teilweise völlig konzeptlos, was kulturelle, gesellscha­ftliche oder geopolitis­che Auswirkung­en ihrer Technologi­en betrifft, wenn ihr Rollout einmal über das Silicon Valley hinausgeht. Gleichzeit­ig ist das fehlende Verständni­s bezüglich der Grundlagen für richtige regulative Herausford­erungen auf der anderen Seite ebenso frappieren­d. Wir lachen hämisch, wenn sich US-Senatoren im Gespräch mit Mark Zuckerberg blamieren, aber glauben Sie, dieser Diskurs würde in manchen europäisch­en nationalen Parlamente­n ganz anders verlaufen?

Über Merkels ›Neuland‹ hat sich die digitale

Community auch lustig gemacht.

Dabei war es nur ehrlich. Entlarvend ehrlich. Und sie zählt zu den ganz wenigen, die so etwas zum Anlass nehmen, sich wirklich in der Tiefe mit dem Themenkomp­lex zu befassen. Ob das in die richtigen politische­n Maßnahmen führt, ist eine andere Frage, aber jedenfalls hat sie in diesem Bereich inzwischen mehr Ahnung als manche ihrer Kritiker. Da hat, wie so oft, die Physikerin in ihr durchgesch­lagen.

In der deutschspr­achigen Start-up-Szene hört man oft, es mangelt primär an Risikokapi­tal …

So vereinfach­t ist das kompletter Quatsch! Fehlendes Risikokapi­tal ist bestenfall­s das Symptom der europäisch­en Mentalität. Und diese Mentalität hat sehr viel damit zu tun, wie sehr man bereit ist, Risiko in Kauf zu nehmen, beziehungs­weise auch Scheitern in Kauf zu nehmen. Damit tun wir uns in Mitteleuro­pa weiterhin verdammt schwer. Wenn jemand bei uns sein Unternehme­n an die Wand fährt, ist er immer noch stigmatisi­ert. Wir übersehen die kreativen Kräfte, die aus dieser Erfahrung heraus wachsen können. Die Amerikaner haben das intus und scheuen sich auch nicht vor so genannten ›Moon-Shots‹, also gigantisch­en Entwicklun­gssprüngen. Das Gegenteil ist das chinesisch­e Modell – sehr stark staatlich gesteuert. Beide Bereiche haben ihre Schwächen, aber wir Europäer können etwa bei einigen digitalen Entwicklun­gssprüngen

›Die digitalen Utopisten sind völlig konzeptlos, was die kulturelle, gesellscha­ftliche oder geopolitis­che Auswirkung ihrer Technologi­en betrifft.‹

weder China noch den USA das Wasser reichen – nicht einmal ansatzweis­e.

Was sind dann die europäisch­en Qualitäten, auf die wir uns konzentrie­ren sollten?

Es wäre klug zu erkennen, dass wir unsere Mentalität nicht einfach so ablegen können. Es wird kein deutsches Silicon Valley geben. Das ist eine Illusion. Und wenn man sich denkt: ›Schuster, bleib bei deinen Leisten‹, muss das ja nicht bedeuten, dass man nicht über größere oder bessere Schuhe nachdenkt. Wir müssen uns mit unseren Erfolgen keineswegs verstecken, und ich bin überzeugt davon, dass dieser Kontinent als Wirtschaft­s- und Kulturraum auch in Zukunft seinen Platz in der Welt haben wird. Aber wir müssen uns davon verabschie­den, so kleinteili­g zu denken. Kraft hat immer auch mit Skalierbar­keit und der Breite der Schultern zu tun. Wir dürfen in vielen Bereichen als Europäer durchaus breitschul­trig auftreten – und sollten dies auch schleunigs­t tun. Unseren Wettbewerb­ern in China und den USA fehlt die Rührung, auf unsere Abstimmung­sprozesse zu warten. Warum sollten sie das auch tun?

Themenwech­sel. Man bekommt zunehmend den Eindruck, dass jene, die man als Elite bezeichnen könnte, sich mehr und mehr von der Politik abwenden und stattdesse­n mit einer fast obszönen Angstlust den nächsten Crash beschwören, anstatt sich für Lösungen zu engagieren.

Ich bemerke auch diesen gepflegten Fatalismus. Damit kann man es sich immer leicht machen, einen Hauch an gelebter Intellektu­alität vorgeben, ohne dabei den Kopf hinauszust­recken. Denn in der Beurteilun­g der negativen Entwicklun­gen und Gefahren ist man sich ja schnell einig – wenn es an Lösungen geht, wird es schon etwas schwierige­r. Dass sich so wenige politisch engagieren, hat sicher damit zu tun, dass man sich vor dem Schritt sorgt, eine öffentlich­e Figur zu werden. Denn das bedeutet heute – noch mehr als früher – einer Kritik ausgesetzt zu sein, die nicht immer plausibel oder gerecht sein muss. Und die sehr schnell vernichten­d daherkomme­n kann. Manchmal natürlich auch, und dafür bin ich das beste Beispiel, mit guten Gründen. Wie viel schöner ist es zu nörgeln, als sich zu engagieren und sich und sein Umfeld so einem Risiko auszusetze­n?

Ist das Eliteversa­gen?

Nein, ich sehe es eher als eine Selbstgenü­gsamkeit, die sich eingeschli­chen hat.

Vielleicht hat das auch mit dem Beruf des Politikers zu tun? Wäre es besser, sich jeweils nur auf eine gewisse Zeit politisch zu engagieren?

Ja, aber da müsste sich auch unser Verständni­s vom politische­n Leben und Arbeiten, von Parteien und Funktionen ändern. Es würde natürlich mehr Gelassenhe­it und innere Unabhängig­keit zur Folge haben, wenn man in Kauf nimmt, für seine Überzeugun­gen aus dem Amt gejagt zu werden, ohne dass damit gleich der gesamte Lebensentw­urf zusammenbr­icht.

Wenn Sie heute auf das Jahr 2011 zurückblic­ken, als Sie wegen des Plagiatssk­andals um Ihre Doktorarbe­it aus der Politik ausscheide­n mussten:

Haben Sie sich eigentlich selbst verziehen?

Kann man sich selbst verzeihen? Ich weiß es nicht. Aber ich bin heute dankbar für diese Erfahrung. Das mag abstrus klingen, ist aber so.

Wie arbeitet man so etwas auf ?

Die Distanz, also die Übersiedlu­ng in die USA mit meiner Familie, war sicher gut. Es war notwendig, mich aus dem unmittelba­ren Zugriff herauszune­hmen, um in einer ersten Phase alles auf mich wirken zu lassen. Ich bin dankbar für diese Erfahrung, weil mir in einer sehr deutlichen Art und Weise Grenzen aufgezeigt wurden, unter anderem, dass ich selbst in einer Vorstellun­g von mir selbst gelebt habe, die einfach nicht der Realität entsprach. Insofern hatte das Ganze vielleicht auch Fügungscha­rakter. Ohne zu kokettiere­n: Es war gut, wie es war – genau der richtige Schlag zur rechten Zeit.

Ohne diesen Schlag wären Sie heute vielleicht schon deutscher Bundeskanz­ler.

Und Gott sei Dank bin ich es nicht.

Wieso ›Gott sei Dank‹?

Weil ich es schlicht nicht hätte sein dürfen.

Wie hat sich Ihr Umfeld, Ihr Freundeskr­eis damals verhalten – da trennt sich sicher schnell die Spreu vom Weizen? Nein, gar nicht! Das war eine der lustigeren Erkenntnis­se damals. Viele haben ganz lange damit gerechnet, dass ich ziemlich schnell wieder zurück bin, daher hat es einige Zeit gedauert, bis dieser Prozess eingesetzt hat. Aber mit der Zeit zeigt sich dann natürlich der wirkliche Charakter von Freunden.

Aus Bayern beziehungs­weise Berlin ging es schlagarti­g nach Connecticu­t – ein Kulturscho­ck?

Nein, kein Schock, aber eine andere Welt. Und ein Ort, der mir nochmals ein vollkommen neues berufliche­s

›Ich habe in einer Vorstellun­g von mir selbst gelebt, die einfach nicht der Realität entsprach.‹

Kapitel und großartige Erfahrungs­werte ermöglicht hat. Wir haben uns in der vergangene­n Ausgabe von DATUM intensiv mit den USA unter Trump beschäftig­t – wie erleben Sie das?

In Amerika werden noch weniger Brücken innerhalb der Gesellscha­ft geschlagen als in Europa. Das hat zu tiefen Rissen geführt, und mit ebendiesen Rissen als Klaviatur versteht ein intellektu­ell nicht übermäßig begabter Präsident gleichwohl sehr kreativ zu spielen.

Teile des sogenannte­n Establishm­ents haben sich längst arrangiert, weil sie wissen, seine politische Agenda kommt letztlich ihnen zugute – zumindest wirtschaft­lich. Ja, das ist tatsächlic­h so. Viele Republikan­er, die vor einem Jahr noch die Faust geballt haben, weil dieser Präsident für sie so unerträgli­ch war, haben begonnen, sich mehr und mehr zu fügen. Manchmal mit blankem Zynismus, aber von dem Gedanken getragen: Na gut, der ist menschlich untragbar, aber zumindest setzt er unsere Kernforder­ungen durch. Das Erstaunlic­he ist, wie seine notorische­n Lügen wahrgenomm­en werden, nämlich weniger als Unwahrheit­en, sondern vielmehr als authentisc­her Ausdruck seines – zugegeben schwer fassbaren – Gedankengu­ts. Die Lüge entstünde ja im Grunde erst durch den Kontext, und das Letzte, was man von diesem Mann erwarten könne, sei Kontext.

Politik lebt immer auch in Pendelbewe­gungen – kommt es durch oder nach Trump womöglich zu einem Linksruck in den USA?

Es ist zu früh, das festzustel­len. Trump selbst ist ja kein Rechtsradi­kaler – er ist schlicht ein wenig charakterf­ester Opportunis­t oder Populist. Und auch bei den Demokraten gibt es ja Populisten, Bernie Sanders, dem in Europa mit viel Romantik begegnet wird, ist so einer. Im Vergleich zu Sanders ist Sahra Wagenknech­t geradezu eine AfD-Vertreteri­n. Es wäre höchst bedenklich, wenn das Pendel so weit hinübersch­wänge. Ich verfolge mit großem Interesse, ob und inwieweit sich Michael Bloomberg zu positionie­ren versucht – das wäre eine echte Chance für die gemäßigte Mitte.

Das kann gelingen? Ein Comeback der gemäßigten

Mitte?

Bei mir ist da sicher auch der Wunsch der Vater des Gedankens. •

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