›Kann man sich selbst verzeihen?‹
Der Fatalismus der Eliten, die Kreativität von Trump und warum die Plagiatsaffäre zur rechten Zeit kam: Der deutsche Ex-Politiker Guttenberg im Gespräch.
Der deutsche Ex-Politiker Guttenberg im Gespräch.
Meine Güte, das ist doch der KT‹, tuschelt die deutsche Touristenfamilie, als Karl-Theodor zu Guttenberg in der Lobby eines Wiener Ringstraßenhotels telefonierend auf und ab geht. Obwohl sein unrühmliches Ausscheiden aus der deutschen Politik bereits sieben Jahre her ist – für viele Deutsche ist Guttenberg immer noch ein Star, und das ebenso jähe wie selbstverschuldete Ende seiner Politkarriere nach dem Plagiatsskandal um seine Doktorarbeit macht einige wehmütig. Für andere wiederum ist er schlicht ein betrügerischer Blender. Nun ist Guttenberg Berater mit Lebensmittelpunkt in den USA – und er ist gut gebuchter Vortragsreisender. Ein gemeinsamer Auftritt mit dem österreichischen Finanzminister Hartwig Löger war der Grund für seinen Wien-Besuch. Vor dem Abflug bleibt noch Zeit für ein DATUM-Gespräch.
Deutschland bereitet sich merklich auf die Zeit nach Angela Merkel vor und tut sich offenbar etwas schwer damit …
Dabei hätte man sich diese Überlegung ruhig schon vorausschauend vor einigen Jahren machen können, denn Politik ist nun einmal tatsächlich nicht auf Unendlichkeit ausgelegt. Und hoffentlich ohne gleich der Ruchlosigkeit geziehen zu werden: Es würde allen Parteien gut tun, immer wieder in Alternativen zu denken. Sie haben zu Jahresende dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder gewissermaßen mangelnde Qualifikation attestiert. Mit welcher Motivation?
Ich habe mit Blick auf seine Kandidatur zum CSU-Parteivorsitzenden gesagt, dass er noch nicht das Format einiger seiner großen Vorgänger hat und dass ich mir Manfred Weber für diese Position hätte vorstellen können. Dies war die Meinungsäußerung eines Wählers und Parteimitglieds, was von einigen, insbesondere auch Kommentatoren, offensichtlich als Gotteslästerung ausgelegt wurde. Oder es gehört sich aus Sicht dieser Leute nicht, als Mensch mit Schwächen – und davon habe ich wahrlich
mehr als genug – auf etwaige Schwächen eines anderen hinzuweisen. Gottlob gibt es weder in Parteien noch für einige Medien ein Meinungsmonopol. Aber ich wünsche Markus Söder ohne Ironie allen Erfolg und würde mich freuen, wenn ich meine heutige Ansicht irgendwann revidieren muss.
Deutschland befindet sich also in einer Übergangsphase – wo sehen Sie da die wesentliche Bruchlinie?
Vielleicht überraschenderweise in einer Äußerung, die Angela Merkel selbst getätigt hat – und das auch noch in einem Bierzelt in München: Sie meinte, ich zitiere sie jetzt sehr frei, dass Europa sein Schicksal selbst in die Hand nehmen muss, und hat dabei auch die Verantwortung Deutschlands einbezogen. Nun waren die vergangenen 13 Jahre zweifellos von viel Verantwortung durch Deutschland geprägt, aber nicht zwingend, was einige große Linien in außenpolitischen Fragen anbelangt. Darin, das noch proaktiver anzugehen, besteht in meinen Augen eine Option jeder künftigen Regierung, jeder künftigen Parteiführung.
Weniger von der gelernten deutschen Zurückhaltung auf der Weltbühne?
Genau. Verantwortung für Europa und entsprechend für die Welt. Angesichts der Umbrüche, die wir erleben, kann man sich nicht mehr zurücklehnen und sagen, dass niemand auf deutsche Führung warten würde – und dabei immer wieder den Blick auf unsere Historie bemühen. Im Gegenteil: Die Erwartungshaltung vieler internationaler Partner geht dahin, dass Deutschland Führungsverantwortung zeigt, und zwar eine, die über das Scheckbuch und bisherige Engagements hinausreicht.
Der Vorwurf an die Regierung Merkel steht im Raum, dass man es verabsäumt habe, die von Emmanuel
Macron ausgehende Dynamik in Bezug auf eine Weiterentwicklung der Europäischen Union zu nutzen.
An diesem Vorwurf ist etwas dran. Natürlich kann man es sich einfach machen und auf die langwierige Regierungsbildung hinweisen. Aber es gab ja eine im Amt befindliche Regierung, und fest steht für mich, dass Macrons Rede an der Sorbonne ein lang erwarteter streitbarer Impuls war, der dringend einer Antwort aus Berlin bedurfte. Und diese Antwort kam bis vor Kurzem nicht, und als sie kam, fiel sie vergleichsweise dürftig aus. Das Schicksal, das Macron derzeit ereilt, ist natürlich primär selbst geschaffen, aber auch dem Umstand geschuldet, dass aus Berlin allzu wenig kam.
Inmitten der vollen Konzentration auf den Brexit hat also die Achse Berlin-Paris versagt?
Von exklusiven Achsen in Europa halte ich nichts. Aber mit dem Motto ›Crisis Management first‹ macht man es sich ebenfalls zu einfach. Eigentlich war die Europäische Union in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten stets von Krisenmanagement geprägt. Und dann kommt – endlich einmal – einer mit Impulsen, die über Ad-hoc-Reaktionen hinausreichen, und die erste Ausrede lautet, man müsse sich zunächst um die innenpolitische Lage kümmern. Die zweite lautet, man müsse sich erst einmal um den Brexit kümmern – und erst dann könne man sich an die großen strukturellen Fragen heranwagen. Ich glaube, die Logik wäre umgekehrt gewesen. Das hätte vielleicht manchen Dialog um den Brexit nicht erleichtert, aber doch auch mit einer gegebenenfalls neuen Perspektive versehen, und das hätte auch auf die Briten eine andere Wirkung gehabt.
Wir erleben in Echtzeit eine Renaissance des Nationalismus, der Europa schon oft in den Abgrund geführt hat. Gibt es so etwas wie einen gesunden Nationalismus?
Ich würde mich gerne von dem Begriff ›gesunder Nationalismus‹ trennen – es gibt mit Sicherheit ein gesundes nationales Empfinden und einen gesunden Patriotismus, der in keiner Weise funktionierende europäische Organisationsformen ausschließt und durchaus in so etwas wie einen europäischen Patriotismus führen kann, ohne, dass dabei die nationale und regionale Identifikation infrage gestellt werden muss. Diese Parallelität kann es geben. Aus meiner eigenen banalen Erfahrung: Mein europäischer Patriotismus ist in den vergangenen sieben Jahren, in denen ich nicht in Europa gelebt habe, fraglos gewachsen. Wurde mein Patriotismus für jene Länder, in denen ich aufgewachsen bin, dadurch beschädigt? Im Gegenteil – diese Parallelität wurde nur stärker.
Sind Sie ein Befürworter der Devise ›Mehr Europa‹, also Bundesstaat statt Staatenbund?
Ich bin vor allem dafür, dass man sich der Realität stellt und sich von manchen romantischen Vorstellungen trennt. Dazu zählt etwa ein Europa ein und derselben Geschwindigkeit, ein Europa der gänzlich Gleichen. Wir hatten und haben ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten, im Europa der Sechs, der Neun, der Zwölf oder der 28. Das Europa der konzentrischen Kreise gibt es längst, auch wenn wir es nicht zugeben wollen. Der Euro ist ja so ein Kreis. Und wenn man versucht, den Spagat zwischen Realität und Traumbild zu schaffen, scheitert
›Macrons derzeitiges Schicksal ist primär selbst geschaffen – aber aus Berlin kam auch allzu wenig.‹
man zwangsläufig bei der Vermittlung. Also kurz gefasst und nicht ausreichend begründet: Ja, dort, wo es Notwendigkeit und Einigkeit gibt, kann man die europäische Ebene gar nicht genug stärken. Und dort, wo man gerne das zur Floskel verkommene Wort Subsidiarität murmelt, muss man es auch ernst nehmen. Man wird jedenfalls produktiver sein, wenn man sich an den Realitäten entlanghantelt und nicht in einer Traumwelt lebt.
Von außen betrachtet wird Politik immer noch ein Stück unmöglicher. Fehlt Ihnen die aktive politische Arbeit? Meine Lust, mich diesem Mahlstrom noch einmal zu unterwerfen, hält sich in sehr messbaren Grenzen. Man verliert nicht seine politische Leidenschaft, aber sehr wohl seine Leidenschaft am politischen Leben – insbesondere angesichts der doch sehr veränderten Entscheidungsrhythmen und der immer größeren Schwierigkeiten, Entscheidungen mit Substanz zu unterfüttern –, weil einem schlicht die Zeit nicht mehr gegeben wird. Da kann ich auch Ihren Berufsstand nicht aus der Verantwortung nehmen. Wenn man das alles einmal kritisch hinterfragt und überlegt, wie viel Substanz man in Politik und Medien eigentlich zulässt, wenn schon die nächste Sau durchs Dorf getrieben wird, dann kommt man zum Schluss: Das ist ein wahnsinniger Teufelskreis! Mit einem Monatsmagazin wie DATUM können Sie sich einen anderen Zugang leisten. Aber alle anderen, die im Minutentakt Nachrichten produzieren wollen – obwohl sie es ja nicht müssen – befeuern eine Dynamik, die auch der Qualität der Politik nicht dienlich ist.
Der Journalismus steckt da ja selbst in einer Falle.
Soziale Netzwerke wie Facebook und ihre Algorithmen belohnen alles, was reizt, aufregt, wütend macht. Wie erleben Sie diesen Wandel?
Facebook und andere müssten endlich zur Erkenntnis kommen, dass sie tatsächlich Medien sind – das löst zwar bei Weitem nicht alle Probleme, wäre aber zumindest eine Anlehnung an die Realität. Dieses strategische Herumeiern dient langfristig weder Facebook selbst noch einer gesunden gesellschaftlichen Entwicklung. Da sind gewisse soziale Netzwerke meiner Meinung nach sehr viel mehr in die Pflicht zu nehmen. Leider findet die Debatte in einem intellektuell hohlen Raum statt, und sie ist zudem sehr von Reflexen geprägt.
Gerade bei der Digitalisierung sind zunehmend tiefe Gräben zu erkennen – den einen kann es nicht schnell genug gehen, die anderen aktivieren sämtliche Beharrungskräfte …
Vor allem fehlt es an wechselseitigem Verständnis. Faktisch bewegen sich beide Welten – also die klassische, in einer liberalen Demokratie gestaltete Staatsordnung und die digitale Gründerwelt – auf zwei unterschiedlichen Planeten. Und die Ahnungslosigkeit über den jeweils anderen ist wirklich atemberaubend. Die digitalen Utopisten sind teilweise völlig konzeptlos, was kulturelle, gesellschaftliche oder geopolitische Auswirkungen ihrer Technologien betrifft, wenn ihr Rollout einmal über das Silicon Valley hinausgeht. Gleichzeitig ist das fehlende Verständnis bezüglich der Grundlagen für richtige regulative Herausforderungen auf der anderen Seite ebenso frappierend. Wir lachen hämisch, wenn sich US-Senatoren im Gespräch mit Mark Zuckerberg blamieren, aber glauben Sie, dieser Diskurs würde in manchen europäischen nationalen Parlamenten ganz anders verlaufen?
Über Merkels ›Neuland‹ hat sich die digitale
Community auch lustig gemacht.
Dabei war es nur ehrlich. Entlarvend ehrlich. Und sie zählt zu den ganz wenigen, die so etwas zum Anlass nehmen, sich wirklich in der Tiefe mit dem Themenkomplex zu befassen. Ob das in die richtigen politischen Maßnahmen führt, ist eine andere Frage, aber jedenfalls hat sie in diesem Bereich inzwischen mehr Ahnung als manche ihrer Kritiker. Da hat, wie so oft, die Physikerin in ihr durchgeschlagen.
In der deutschsprachigen Start-up-Szene hört man oft, es mangelt primär an Risikokapital …
So vereinfacht ist das kompletter Quatsch! Fehlendes Risikokapital ist bestenfalls das Symptom der europäischen Mentalität. Und diese Mentalität hat sehr viel damit zu tun, wie sehr man bereit ist, Risiko in Kauf zu nehmen, beziehungsweise auch Scheitern in Kauf zu nehmen. Damit tun wir uns in Mitteleuropa weiterhin verdammt schwer. Wenn jemand bei uns sein Unternehmen an die Wand fährt, ist er immer noch stigmatisiert. Wir übersehen die kreativen Kräfte, die aus dieser Erfahrung heraus wachsen können. Die Amerikaner haben das intus und scheuen sich auch nicht vor so genannten ›Moon-Shots‹, also gigantischen Entwicklungssprüngen. Das Gegenteil ist das chinesische Modell – sehr stark staatlich gesteuert. Beide Bereiche haben ihre Schwächen, aber wir Europäer können etwa bei einigen digitalen Entwicklungssprüngen
›Die digitalen Utopisten sind völlig konzeptlos, was die kulturelle, gesellschaftliche oder geopolitische Auswirkung ihrer Technologien betrifft.‹
weder China noch den USA das Wasser reichen – nicht einmal ansatzweise.
Was sind dann die europäischen Qualitäten, auf die wir uns konzentrieren sollten?
Es wäre klug zu erkennen, dass wir unsere Mentalität nicht einfach so ablegen können. Es wird kein deutsches Silicon Valley geben. Das ist eine Illusion. Und wenn man sich denkt: ›Schuster, bleib bei deinen Leisten‹, muss das ja nicht bedeuten, dass man nicht über größere oder bessere Schuhe nachdenkt. Wir müssen uns mit unseren Erfolgen keineswegs verstecken, und ich bin überzeugt davon, dass dieser Kontinent als Wirtschafts- und Kulturraum auch in Zukunft seinen Platz in der Welt haben wird. Aber wir müssen uns davon verabschieden, so kleinteilig zu denken. Kraft hat immer auch mit Skalierbarkeit und der Breite der Schultern zu tun. Wir dürfen in vielen Bereichen als Europäer durchaus breitschultrig auftreten – und sollten dies auch schleunigst tun. Unseren Wettbewerbern in China und den USA fehlt die Rührung, auf unsere Abstimmungsprozesse zu warten. Warum sollten sie das auch tun?
Themenwechsel. Man bekommt zunehmend den Eindruck, dass jene, die man als Elite bezeichnen könnte, sich mehr und mehr von der Politik abwenden und stattdessen mit einer fast obszönen Angstlust den nächsten Crash beschwören, anstatt sich für Lösungen zu engagieren.
Ich bemerke auch diesen gepflegten Fatalismus. Damit kann man es sich immer leicht machen, einen Hauch an gelebter Intellektualität vorgeben, ohne dabei den Kopf hinauszustrecken. Denn in der Beurteilung der negativen Entwicklungen und Gefahren ist man sich ja schnell einig – wenn es an Lösungen geht, wird es schon etwas schwieriger. Dass sich so wenige politisch engagieren, hat sicher damit zu tun, dass man sich vor dem Schritt sorgt, eine öffentliche Figur zu werden. Denn das bedeutet heute – noch mehr als früher – einer Kritik ausgesetzt zu sein, die nicht immer plausibel oder gerecht sein muss. Und die sehr schnell vernichtend daherkommen kann. Manchmal natürlich auch, und dafür bin ich das beste Beispiel, mit guten Gründen. Wie viel schöner ist es zu nörgeln, als sich zu engagieren und sich und sein Umfeld so einem Risiko auszusetzen?
Ist das Eliteversagen?
Nein, ich sehe es eher als eine Selbstgenügsamkeit, die sich eingeschlichen hat.
Vielleicht hat das auch mit dem Beruf des Politikers zu tun? Wäre es besser, sich jeweils nur auf eine gewisse Zeit politisch zu engagieren?
Ja, aber da müsste sich auch unser Verständnis vom politischen Leben und Arbeiten, von Parteien und Funktionen ändern. Es würde natürlich mehr Gelassenheit und innere Unabhängigkeit zur Folge haben, wenn man in Kauf nimmt, für seine Überzeugungen aus dem Amt gejagt zu werden, ohne dass damit gleich der gesamte Lebensentwurf zusammenbricht.
Wenn Sie heute auf das Jahr 2011 zurückblicken, als Sie wegen des Plagiatsskandals um Ihre Doktorarbeit aus der Politik ausscheiden mussten:
Haben Sie sich eigentlich selbst verziehen?
Kann man sich selbst verzeihen? Ich weiß es nicht. Aber ich bin heute dankbar für diese Erfahrung. Das mag abstrus klingen, ist aber so.
Wie arbeitet man so etwas auf ?
Die Distanz, also die Übersiedlung in die USA mit meiner Familie, war sicher gut. Es war notwendig, mich aus dem unmittelbaren Zugriff herauszunehmen, um in einer ersten Phase alles auf mich wirken zu lassen. Ich bin dankbar für diese Erfahrung, weil mir in einer sehr deutlichen Art und Weise Grenzen aufgezeigt wurden, unter anderem, dass ich selbst in einer Vorstellung von mir selbst gelebt habe, die einfach nicht der Realität entsprach. Insofern hatte das Ganze vielleicht auch Fügungscharakter. Ohne zu kokettieren: Es war gut, wie es war – genau der richtige Schlag zur rechten Zeit.
Ohne diesen Schlag wären Sie heute vielleicht schon deutscher Bundeskanzler.
Und Gott sei Dank bin ich es nicht.
Wieso ›Gott sei Dank‹?
Weil ich es schlicht nicht hätte sein dürfen.
Wie hat sich Ihr Umfeld, Ihr Freundeskreis damals verhalten – da trennt sich sicher schnell die Spreu vom Weizen? Nein, gar nicht! Das war eine der lustigeren Erkenntnisse damals. Viele haben ganz lange damit gerechnet, dass ich ziemlich schnell wieder zurück bin, daher hat es einige Zeit gedauert, bis dieser Prozess eingesetzt hat. Aber mit der Zeit zeigt sich dann natürlich der wirkliche Charakter von Freunden.
Aus Bayern beziehungsweise Berlin ging es schlagartig nach Connecticut – ein Kulturschock?
Nein, kein Schock, aber eine andere Welt. Und ein Ort, der mir nochmals ein vollkommen neues berufliches
›Ich habe in einer Vorstellung von mir selbst gelebt, die einfach nicht der Realität entsprach.‹
Kapitel und großartige Erfahrungswerte ermöglicht hat. Wir haben uns in der vergangenen Ausgabe von DATUM intensiv mit den USA unter Trump beschäftigt – wie erleben Sie das?
In Amerika werden noch weniger Brücken innerhalb der Gesellschaft geschlagen als in Europa. Das hat zu tiefen Rissen geführt, und mit ebendiesen Rissen als Klaviatur versteht ein intellektuell nicht übermäßig begabter Präsident gleichwohl sehr kreativ zu spielen.
Teile des sogenannten Establishments haben sich längst arrangiert, weil sie wissen, seine politische Agenda kommt letztlich ihnen zugute – zumindest wirtschaftlich. Ja, das ist tatsächlich so. Viele Republikaner, die vor einem Jahr noch die Faust geballt haben, weil dieser Präsident für sie so unerträglich war, haben begonnen, sich mehr und mehr zu fügen. Manchmal mit blankem Zynismus, aber von dem Gedanken getragen: Na gut, der ist menschlich untragbar, aber zumindest setzt er unsere Kernforderungen durch. Das Erstaunliche ist, wie seine notorischen Lügen wahrgenommen werden, nämlich weniger als Unwahrheiten, sondern vielmehr als authentischer Ausdruck seines – zugegeben schwer fassbaren – Gedankenguts. Die Lüge entstünde ja im Grunde erst durch den Kontext, und das Letzte, was man von diesem Mann erwarten könne, sei Kontext.
Politik lebt immer auch in Pendelbewegungen – kommt es durch oder nach Trump womöglich zu einem Linksruck in den USA?
Es ist zu früh, das festzustellen. Trump selbst ist ja kein Rechtsradikaler – er ist schlicht ein wenig charakterfester Opportunist oder Populist. Und auch bei den Demokraten gibt es ja Populisten, Bernie Sanders, dem in Europa mit viel Romantik begegnet wird, ist so einer. Im Vergleich zu Sanders ist Sahra Wagenknecht geradezu eine AfD-Vertreterin. Es wäre höchst bedenklich, wenn das Pendel so weit hinüberschwänge. Ich verfolge mit großem Interesse, ob und inwieweit sich Michael Bloomberg zu positionieren versucht – das wäre eine echte Chance für die gemäßigte Mitte.
Das kann gelingen? Ein Comeback der gemäßigten
Mitte?
Bei mir ist da sicher auch der Wunsch der Vater des Gedankens. •