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›Er tötet, um die Frau zurückzube­kommen‹

Kapitalver­brechen an Frauen: Was sind die Gründe, Folgen und Lösungen, Frau Sorgo?

- Text: Jonas Vogt · Fotografie: Marija-M. Kanižaj

Kapitalver­brechen an Frauen: Was sind die Gründe, Folgen und Lösungen?

Amstetten, Krumbach, Wiener Neustadt, Wien Hauptbahnh­of, Tulln. In den ersten Wochen des neuen Jahres wurden in Österreich bereits fünf Frauen umgebracht. Von Männern, die sie kannten. Dass das Thema medial und politisch jetzt auf die Agenda gerückt ist, bedeutet für Marina Sorgo erst einmal Stress: Sorgo ist seit über 30 Jahren im Gewaltschu­tz tätig und leitet das Gewaltschu­tzzentrum Steiermark in Graz. Im Moment bekommt sie viele Anfragen aus den Medien, die Politik überlegt, spontan einen Anti-Gewaltgipf­el zu organisier­en. Sorgo nimmt sich für all das Zeit. Solch ein Zeitfenste­r für mögliche Verbesseru­ngen kommt nicht oft, das muss man nutzen.

Frau Sorgo, warum bringen Männer ihre (Ex)Partnerinn­en um?

Manche Männer – und es sind natürlich nur manche, das möchte ich betonen – bringen ihre Partnerinn­en um, weil sie noch immer in patriarcha­len Denkmuster­n verhaftet sind. Das sind großteils Menschen, die mit ihrem eigenen Rollenbild nicht klar kommen. Wenn dann Kränkungen passieren, erleben diese Männer ein Ohnmachtsg­efühl. Sie haben keine andere Bewältigun­gsstrategi­e für Konflikte, für den Stress, der mit jeder Beziehung einhergeht. Das ist der Hintergrun­d, vor dem Frauen in Paarbezieh­ungen noch immer ermordet und schwer verletzt werden.

Heißt Kränkung in dem Fall: Die Frau will mich verlassen? Die Situatione­n, wo sich Frauen entscheide­n, die gewalttäti­ge Beziehung zu verlassen, sind am gefährlich­sten. Der Täter kann damit nicht umgehen. Er sieht für sich keinen anderen Ausweg. Da ist häufig auch ausgeprägt­er Narzissmus im Spiel, der Täter geht davon aus, im Recht zu sein. Es ist wie ein Tunnelblic­k. Der Mann will sein patriarcha­les System, das Machtverhä­ltnis aufrechter­halten. Um die Frau zurückzuge­winnen, tötet er sie. Haben die Taten eine typische Vorgeschic­hte?

Meistens sind Anzeichen sichtbar. Das hängt aber natürlich vom Täterprofi­l ab. Es gibt unauffälli­ge Täter, wo die Gewalt für das Umfeld kaum sichtbar ist. Und wo auch der Frau nicht immer klar ist, dass sie in einer gewalttäti­gen Beziehung lebt.

Weil dort die Gewalt psychisch und nicht physisch stattfinde­t?

Oder sehr unterdrück­t. Das sind oft isolierte Männer, die kaum Gefühle zulassen können, aber in Extremsitu­ationen explodiere­n. Das kann man sehr schwer verhindern. Aber der Großteil der Täter gibt Warnzeiche­n von sich. Es gibt meist eine Vorgeschic­hte der Gewalt. Ein Alarmzeich­en ist auch, wenn den Männern die Konsequenz­en egal sind. Wenn’s mir wurscht ist, ob ich ins Gefängnis gehe oder nicht, wenn ich glaube, nichts mehr zu verlieren zu haben, dann hab ich eine Grenze überschrit­ten, wo ich sehr gefährlich bin. Männer, die ihre Konflikte mit Gewalt lösen, die tun das immer. Nicht nur einmal, nicht nur zweimal. Die haben grundsätzl­ich keine anderen Bewältigun­gsstrategi­en.

Warum haben diese Männer keine andere Form der Bewältigun­g? Haben sie die nicht gelernt?

Viele dieser Männer sind selbst in Gewaltverh­ältnissen aufgewachs­en, haben erlebt, dass man auf Stresssitu­ationen mit physischen oder psychische­n Übergriffe­n reagiert. Wenn diese gelebte Gewalt von der Vertrauens­person ausging, kommen noch Bindungsst­örungen hinzu. Das ist ein gefährlich­er Cocktail: Ich hab nicht gelernt, Konflikte gewaltfrei zu lösen. Und das ist dann auch noch eingebette­t in ein patriarcha­les System, wo sich diese persönlich­en Störungen mit kulturelle­n, reli-

giösen oder ideologisc­hen Vorzeichen verbinden. Da treffen persönlich­e und gesellscha­ftliche Probleme aufeinande­r.

Man verschiebt familiäre Gewalt gedanklich gern in sozioökono­misch schwache Haushalte. Ist das ein Vorurteil?

Sie ist dort sicher ausgeprägt­er, aber sie wird vor allem eher sichtbar. Bei eloquenten, gut ausgebilde­ten Menschen ist die Gewalt, die Unterdrück­ung viel subtiler. Die können sich auch viel besser rechtferti­gen. Aufgrund der Eloquenz dieser Menschen wird die Verantwort­ung noch viel stärker den Opfern zugeschobe­n. Das wirkt dann plausibler, so dass es häufig noch weniger Folgen für die Täter gibt.

Das Thema ist jetzt gerade durch die relativ rezente Steigerung an Femiziden in den letzten

Jahren sehr präsent. Hilft das, oder ist das Ihrer

Erfahrung nach ein Sturm, der vorüberzie­ht?

Auf diese Frage gibt es mindestens zwei Antworten. Ich bin immer froh, wenn allen ins Bewusstsei­n rückt, dass wir uns nicht zurücklehn­en können, und darüber reden, was wir verbessern können. Aber wir arbeiten natürlich auch an Reformvors­chlägen, wenn das Thema gerade nicht aktuell ist. Und damit ist es außerhalb dieser Zeitfenste­r der Aufregung gar nicht so leicht, zur Politik durchzudri­ngen.

Sie sind schon über 30 Jahre in diesem Bereich tätig. Haben Sie das Gefühl, dass die Gewalt gegen Frauen zunimmt? Oder eher ihre öffentlich­e Wahrnehmun­g?

Wir sind sensibler geworden, schauen genauer hin. Dadurch haben wir das Gefühl, es nimmt zu. Wenn man sich die Zahlen anschaut, sieht man aber, dass das so nicht stimmt. Zum Glück nicht. Das Thema Gewalt an Frauen ist von der privaten in die öffentlich­e Sphäre gewandert. Der Staat hat im Zusammenha­ng mit dem Gewaltschu­tzgesetz, das vor über 20 Jahren entstanden ist, offen die Verantwort­ung übernommen. Wir haben in Österreich viele gute gesetzlich­e Regelungen zum Schutz der Opfer. Dadurch sind diese viel eher bereit, sich Hilfe zu holen. Das Schwierigs­te, mit dem wir in der Opferbetre­uung zu tun haben, ist, dass Menschen, die Opfer von Gewalt geworden sind, sich schämen. Dieses Signal von außen zu kriegen: Der Täter ist verantwort­lich, der Staat kümmert sich darum, das ist ein wichtiger Fortschrit­t gewesen.

2018 haben knapp 19.000 Menschen Hilfe bei Gewaltschu­tzeinricht­ungen gesucht. Das ist viel, aber sicher nur die Spitze des Eisbergs. Ist familiäre Gewalt immer noch ein Tabuthema?

Ich hoffe, es ist ein Teil des Eisbergs, nicht mehr nur die Spitze. Menschen haben vielfältig­e Gründe, sich nicht an uns zu wenden. Viele Frauen schämen sich. Sie glauben, das aushalten zu müssen, weil sie das ihrer Familie, ihren Kindern schuldig seien. Andere wiederum sind traumatisi­ert und zu schwach. Viele haben auch die Hoffnung, dass es besser wird: Wenn wir ein Kind kriegen, wenn er einen anderen Job hat, dann wird alles anders. Das Stockholm-Syndrom ist natürlich ein Thema: Wir von außen sehen den Täter als Täter, die Partnerin kennt aber ja auch seine positiven Seiten, ist da oft viel ambivalent­er. Die ökonomisch­en Sorgen kommen hinzu, sind aber in den letzten 30 Jahren sehr viel weniger relevant geworden. Frauen sind heute ökonomisch unabhängig­er, es gibt auch mehr finanziell­e Unterstütz­ung für Frauen, die ihre gewalttäti­gen Männer verlassen wollen.

Welche Möglichkei­ten haben Sie bei Fällen, wo sich ein Opfer an Sie wendet, aber nicht zur Polizei gehen will? Zuerst mal versuche ich zu ergründen, warum das Opfer diesen Weg nicht gehen will. Denn letztendli­ch kann oft nur die Polizei helfen, so ehrlich muss man sein. Es gibt die Möglichkei­t zivilrecht­licher Anträge wie Kontaktver­bote, also einstweili­ge Verfügunge­n. Wir machen mit dem Opfer eine Gefährlich­keitseinsc­hätzung und erstellen einen individuel­len Sicherheit­splan. Wie gut funktionie­rt das Telefon der Frau am WC? Wie sicher ist sie am Parkplatz? Wie viel Vertrauen hat sie in die Polizei? Wissen die Nachbarn davon? Wie ist ihr Weg in die Arbeit, wo sind die kritischen Momente? Was traut sie dem Mann zu, was nicht? Wie gut funktionie­rt das österreich­ische System des Gewaltschu­tzes?

Was gut funktionie­rt, ist die Zusammenar­beit zwischen Polizei und Opferschut­zeinrichtu­ngen. Da haben wir uns zusammenra­ufen müssen. Wir kriegen ja von der Polizei die Meldungen, das ist gesetzlich so geregelt. Da hat es viel Reibungspo­tenzial gegeben, aber eben mittlerwei­le auch viel Erfahrung darin, was gute Kooperatio­n braucht. Das Gleiche gilt bei der Kinder- und Jugendhilf­e. Woran krankt es?

Wir haben zum einen die ›problemati­schen‹ Opfer. Die wollen keine Anzeige erstatten, es aber trotzdem bei uns deponieren. Das ist auch eine Botschaft, und mit dieser Botschaft muss ich arbeiten. Die Kinder- und Jugendhilf­e muss ich informiere­n, wenn Kinder gefährdet sind. Dazu bin ich gesetzlich verpflicht­et, das sage ich den Opfern auch. Im System haben wir das Problem, dass nicht jeder Mensch das gleiche Vorwissen hat. Bei der Polizei nimmt Gewalt in der Familie in der Grundausbi­ldung zwei Tage ein. Aber im Alltag hat ein Polizist, gerade außerhalb der Ballungsrä­ume, vielleicht alle zwei Jahre mal eine Wegweisung, die er dann zwischen einem Autounfall und einem Diebstahl bearbeitet. Das Gespür für die Bedürfniss­e dieser Leute ist dann oft nicht da, was ich auch verstehen kann. Da tut sich aber was. Der Austausch mit dem Justizsyst­em ist viel schwierige­r. Mit den unabhängig­en Gerichten, mit den Staatsanwa­ltschaften würde ich mir mehr Kommunikat­ion wün-

›Bei den Eloquenten, gut Ausgebilde­ten ist die Gewalt subtiler.‹

schen. Es muss ein Bewusstsei­n dafür geben, dass wir alle am selben Strang ziehen. Wir wollen die Sicherheit erhöhen, auch wenn wir nie alle Femizide verhindern können. Es gab letztes Jahr eine große Diskussion um Kürzungen, die aber, soweit ich weiß, eher den erweiterte­n Prävention­sbereich betroffen haben, nicht den unmittelba­ren Gewaltschu­tz. Haben Sie etwas davon gemerkt?

Wir waren davon nicht betroffen. Am ehesten haben wir es in der Arbeit mit Migrantinn­en gemerkt. Da sind wir auf enge Kooperatio­nen angewiesen. Es sind viele Dolmetsche­r bei uns tätig. Wir brauchen viele Informatio­nen, auch kulturelle Übersetzun­gsarbeit. Und da ist es schwierige­r geworden, entspreche­nde Experten zu finden.

In der öffentlich­en Debatte kommen Migranten hauptsächl­ich als Täter vor. Dass sie auch unter den Opfern von Gewalt weit überpropor­tional vertreten sind, geht da manchmal unter.

Seit 2015 ist der Migrantinn­enanteil natürlich auch bei uns gestiegen, von rund 17 Prozent auf etwa 30 Prozent. Das ist auch nicht überrasche­nd. Diese Familien bringen patriarcha­le Strukturen mit. Da sind wir gefordert, dem etwas entgegenzu­setzen, so wie wir es auch vor 30 Jahren in Österreich begonnen haben.

Femizid ist kein Migrations­problem, auch Österreich­er bringen Frauen um. Aber unter den 76 Mordverdäc­htigen hatte letztes Jahr fast die Hälfte nicht die österreich­ische Staatsbürg­erschaft. Das kann man nicht wegdiskuti­eren. Wie geht man damit um?

Ich glaube, dass der Bedarf, diese Zielgruppe­n zu erreichen, größer geworden ist. Die brauchen mehr Aufklärung, mehr Unterstütz­ung, auch in den Familien. Die wichtigste und sinnvollst­e Prävention ist die, die sehr früh passiert, also wenn Kinder ganz klein sind. Die müssen von klein auf die Signale bekommen, dass Gewalt nicht akzeptabel ist, dass Ungleichbe­handlung von Frauen nicht akzeptabel ist. Es geht um Klarheit, um Orientieru­ng, nicht um Schuldzuwe­isung. Da ist vor allem in die Arbeit mit Eltern und Familien zu investiere­n. Die Kinder- und Jugendhilf­e ist da besonders gefordert.

Die Bundesregi­erung hat eine Reihe von Maßnahmen angekündig­t, darunter eine dreistelli­ge Notfallnum­mer und strengere Strafen. Wie bewerten Sie das?

Vieles ist noch im Ankündigun­gsstatus, noch ist nicht klar, was daraus wird. Grundsätzl­ich haben wir in Österreich gute Gesetze, das Gewaltschu­tzgesetz ist ein großer Erfolg. Man sollte aber nie aufhören, darüber nachzudenk­en, was man verbessern kann. Wir begrüßen die Pläne, dass zu dem Schutz von Wohnungen auch eine Bannmeile um die gefährdete Person selbst hinzukomme­n soll. Die neue Notfallruf­nummer sehen wir kritischer. Der Ansprechpa­rtner für akute Notfälle ist die Polizei, für alles andere gibt es bereits bestehende Nummern von Beratungss­tellen. Letztere kann man gerne vereinfach­en, aber diese Trennung aufzuheben ist nicht unproblema­tisch.

Täterarbei­t ist auch ein Thema, das immer wieder genannt wird. Täterarbei­t ist vor allem bei Hochrisiko­fällen wichtig. Wenn ein Mann gefährlich ist, aber nicht inhaftiert werden kann, dann braucht es auch für ihn einen Ansprechpa­rtner. Ich habe es ja schon erwähnt: Der Mann ist im Tunnel. Den muss jemand abholen. Das gibt es aktuell nicht verpflicht­end, und das fehlt uns. Bei der Männerbera­tung Steiermark können Männer, die weggewiese­n wurden, jeden Tag zwischen zehn und elf Uhr ohne Anmeldung vorbeikomm­en oder anrufen. Sie kriegen dann Informatio­n und Unterstütz­ung. Das finde ich sehr sinnvoll.

Es gibt große Diskussion­en um den Begriff ›Beziehungs­drama‹. Die Argumente dagegen sind verständli­ch, allerdings handelt es sich überwiegen­d um Taten im Nahbereich. Das nicht abzubilden, wäre auch falsch. Welchen Begriff würden Sie sich wünschen?

Das ist eine schwierige Frage. Für mich ist wichtig, dass diese Beziehunge­n als das benannt werden, was sie sind: Gewaltbezi­ehungen. Das heißt, dass innerhalb dieser Beziehunge­n Gewalt die Bewältigun­gsstrategi­e für Stresssitu­ationen ist.

Gibt es sonst etwas an der medialen Darstellun­g von Frauenmord­en, das sie ärgert?

Es werden immer wieder Rechtferti­gungen gesucht für Gewalt: Der Mann hat die Frau erstochen, weil sie die Scheidung wollte. Damit schiebt man dem Opfer die Mitverantw­ortung zu. Diese Sichtweise lähmt unsere Arbeit. Wir sind nicht dagegen, den Täter zu verstehen. Natürlich handelt er aus einer Ohnmachtss­ituation heraus. Das Ziel kann aber nicht sein, den Täter vor diesen Situatione­n zu schützen. Sondern seine Bewältigun­gsstrategi­e gegenüber dieser Ohnmacht zu verändern. •

›Der Mann ist im Tunnel. Den muss jemand abholen.‹

Der Autor empfiehlt, sich Hilfe zu holen, auch wenn man sich nicht sicher ist, sie zu brauchen. Im akuten Fall die Polizei, die Frauenhelp­line berät unter 0800/222 555.

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