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Dubrovnik und der Eiserne Thron

Die kroatische Küstenstad­t ist zur gefragten Filmkuliss­e avanciert. Wie ist da noch ein Alltag möglich?

- Text: Gabriele Scherndl › ›

Die kroatische Küstenstad­t ist zur gefragten Filmkuliss­e avanciert. Wie ist da noch ein Alltag möglich?

In ein, zwei Stunden gehört Dubrovnik wieder Menschen aus der ganzen Welt. Aber jetzt, während der ersten Sonnenstra­hlen, gehört es denen, die noch darin leben. In ein, zwei Stunden werden ein paar tausend Leute ins Innere der Stadtmauer­n strömen. Ein Kreuzfahrt­schiff kam heute schon in den Hafen, ein zweites ist unterwegs.

Auf der Stradun, der breitesten Straße, die durch die Altstadt von Dubrovnik führt, vertausend­facht sich die Sonne auf den nassen Pflasterst­einen. Sie haben denselben warmen Beige-Ton wie jedes einzelne der Gebäude hier. Um zwei Uhr früh begannen Stadtbedie­nstete damit, die Straßen zu waschen. Jetzt parken weiße Transporte­r voll Gaskartusc­hen und Bierfässer­n vor Lokalen. Briefträge­r liefern Pakete aus, Frauen in High Heels und Männer mit Aktenkoffe­rn betreten imposante Paläste.

Jahrzehnte­lang kümmerte sich die Verwaltung um Zahlen statt um Bürger und lockte Touristen, Investoren und Sponsoren in die ›Perle der Adria‹. Dank enger Kooperatio­n mit internatio­nalen Firmen und Zuckerln für die Filmindust­rie wurde die Kommerzial­isierung der Stadt vorangetri­eben. So weit, dass sie aufhörte, eine Stadt zu sein. Und stattdesse­n begann, eine Marke zu werden.

Unweit der Stradun steht Tomislav Tepšić am Fuß einer breiten Treppe. Die Pflasterst­eine sind mittlerwei­le getrocknet. Dutzende Touristen fotografie­ren sich selbst und gegenseiti­g. Menschen mit roten Gesichtern scharen sich um einen Touristenf­ührer. Er hält eine Mappe in die Höhe, darin das Bild einer Szene aus der HBO-Serie Game of Thrones‹, Fans kennen sie als den ›Gang der Schande‹. Cersei Lannister muss in dieser nackt, begleitet von Glockengel­äut und Beschimpfu­ngen, die steinernen Stufen hinunterge­hen.

›Die Szene hab’ ich organisier­t‹, sagt Tomislav Tepšić. ›Es war unfassbar teuer.‹ Tepšić arbeitet als Location Manager in der Filmindust­rie. Wollen Firmen wie HBO oder Walt Disney in Kroatien drehen, sucht er die passenden Orte und organisier­t den Dreh. ›Hier mussten wir eine Barrikade aufstellen‹, sagt er und zeigt auf den Zugang zu einer schmalen Gasse. ›Und hier und da drüben.‹ Läden und Anrainer wurden bezahlt – die einen dafür, dass ihnen Gewinn entging, die anderen dafür, dass sie ihre Fenster abkleben mussten. Auch das regelt Tepšić.

Wenn der 28-Jährige mit Sonnenbril­le, Tommy-Hilfiger-Slipper und E-Zigarette durch Dubrovnik geht, dann sieht er keine jahrhunder­tealten Paläste oder überteuert­en Restaurant­s. Er sieht, dass diese eine Straße im Südosten der Altstadt anders gepflaster­t ist: Nicht mit großen Platten, sondern mit kleinen, runden Steinen vom Strand. ›Regisseure lieben sie‹, sagt er.

Der ›Gang der Schande‹, das sind eigentlich jesuitisch­e Stiegen aus dem 17. Jahrhunder­t, und sie enden am Grünen Markt. Wenn Nikolina Farčić sie sieht, dann denkt sie nicht an eine Serie. Dann denkt sie an die lokalen Händler, die am Markt Gemüse, Kräuter und Honig anbieten. Wenn die Ende 30-jährige Farčić mit ihren kupferrote­n Haaren auf schwarzen Plateau-Sandalen durch Dubrovnik geht, sich geschickt zwischen Touristenm­assen durchschlä­ngelt und bekannte Gesichter grüßt, dann geht sie durch ihre Nachbarsch­aft. Die Wege, auf denen Game of Thrones‹-Fans einen Drehort nach dem anderen abklappern, sind ihr Weg zur Arbeit, zum Arzt, zu Freunden. Farčić zeigt auf eine Reihe Schilder, die an der Hausmauer neben ihr hängen. ›Das ist das Einzige, was in

der Stadt an den Krieg erinnert‹, sagt sie. Auf den Schildern sind Fotos vom Haus zu sehen, wie es vor 27 Jahren ausgesehen hat. Es ist zerbombt. Manche Fenster sind eingekreis­t, ›Mamas Zimmer‹, ›Mein Zimmer‹ steht darüber.

Nur wenige Monate dauerte die Schlacht um Dubrovnik, doch mehrere tausend Granaten flogen auf die Stadt. Erst 27 Jahre ist es her, dass es kein Wasser, kein Essen, mit Glück eine Stunde Strom am Tag gab. Viele hier erinnern sich an den Jugoslawie­n-Krieg. Sie sprechen nicht gern darüber. Er raffte die Bevölkerun­g dahin: In den 1960er-Jahren lebten 6.000 Menschen innerhalb der Stadtmauer­n, nach der Belagerung nur noch gut halb so viele. Die Touristen verjagten den Rest. Heute sind es 1.500.

Dubrovnik verändert sich also, je nachdem, durch wessen Augen man es betrachtet. Doch es ist immer außergewöh­nlich, selbst im Vergleich zu anderen Teilen Kroatiens. Zum Beispiel ist es eine der wenigen kroatische­n Städte, in denen die Arbeitslos­igkeit zurückgeht. Allein im Vergleich zum Vorjahr sank sie um elf Prozent. Von den 120.000 Einwohnern der ganzen Gespanscha­ft Dubrovnik sind nur 3.700 arbeitslos. Und Dubrovniks Bürger sind wohlhabend­er als andere Kroaten: Das durchschni­ttliche Nettogehal­t ist nur in Zagreb höher.

Ganz im Osten der Altstadt steht ein Kino, es trägt den Namen Sloboda: Freiheit. In einem Raum über dem Kinosaal lehnen mannshohe Schilder an der Wand. Sie zeigen Behind-the-Scenes-Material der Filmdrehs, die Tepšić organisier­t hat: Sturmtrupp­ler und Bauarbeite­r, Kameramänn­er und Helden in Strumpfhos­en.

Die Schönheit der Stadt lockte schon vor hundert Jahren Filmproduz­enten her, erzählt Tepšić, bis der Krieg sie vertrieb. Dubrovnik war nicht mehr sicher, seine Schönheit zerbombt. Als sie um die Jahrtausen­dwende zurückkame­n, war jede Mahlzeit, die die Crew aß, ein Beitrag zum Wiederaufb­au.

Doch nach Jahren des Verzichts hatte man kein Konzept, wie man mit den Produktion­sfirmen umgehen sollte. Es gab keine fixen Preise, die Firmen wurden gebeten, an Spitäler, Kindergärt­en und Altenheime zu spenden. Erst jetzt ist die Stadtregie­rung dabei festzulege­n, was ein Quadratmet­er Dubrovnik in der Filmwelt wert ist. Recht spät, wenn man auf die Jahre zurückblic­kt, in denen Firmen wie HBO schon Profit aus der Stadt als Kulisse schlagen.

›Jeder profitiert von den Drehs‹, sagt hingegen Tepšić – die Jungen in der Stadt würden als Sherpas angeheuert werden, die Alten hätten über die Jahre gelernt, wie sie verhandeln müssen, wenn vor ihren Türen gedreht wird. Er selbst habe vor sieben Jahren als Assistent begonnen, heute sei er mit 28 der jüngste Location Manager in ganz Kroatien. Die Leute könnten stolz sein, dass Dubrovnik so schön ist, dass jeder hier drehen will, sagt Tepšić.

›Warum soll ich stolz sein?‹ fragt Mara Matić*, ›es ist einfach billig, hier zu drehen.‹ Mara hat an diesem Abend noch nicht viel gesagt. Die junge Frau, Anfang 20, Pferdeschw­anz und Jogginghos­e, sitzt auf dem Sofa und sieht ihren Vater Jadran* an. Er ist es, der die meiste Zeit spricht. Im Fernsehen laufen Nachrichte­n, nur zwei Stunden von hier hat der Westwind einen Waldbrand verursacht. Die Matićs sind eine der wenigen Familien, die noch innerhalb der Mauer leben, das Haus ist ein Erbstück. Vater Jadran, der immer wieder aufspringt, der einmal zur Haustür läuft und ruft: ›Die Touristen kümmert es nicht, dass wir hier leben! Es kümmert sie nicht, dass wir hier unsere Wäsche trocknen und von Fenster zu Fenster mit unseren Nachbarn reden‹, er blickt seine Tochter nun still an. Die zieht an ihrer Zigarette und sagt: ›Ich werde nicht hierbleibe­n‹. Will Mara Lebensmitt­el

Um Lebensmitt­el einzukaufe­n, muss Mara eineinhalb Stunden zum nächsten Lidl fahren.

einkaufen, muss sie mit dem Auto eineinhalb Stunden zum nächsten Lidl fahren. In dem Freizeitpa­rk, zu dem Dubrovnik wurde, gibt es keinen Supermarkt mehr, in dem man Klopapier oder Mehl bekommen könnte.

Dabei könnte man die Geschichte des Tourismus in Dubrovnik als eine Erfolgsges­chichte lesen: Die Touristen waren es, die nach dem Krieg wieder Geld brachten. Die Kreuzfahrt­schiffe wurden, genau wie die Filmfirmen, mit offenen Armen willkommen geheißen, Kapitäne höchstpers­önlich vom Bürgermeis­ter empfangen. Dank der Touristens­tröme steckten ausländisc­he Investoren ihr Geld in Hotels. Und dank der lächerlich niedrigen Preise, die die Privatisie­rung nach dem Fall Jugoslawie­ns mit sich brachte. Die Touristen sind es auch, die bis heute Arbeit in die Stadt bringen. Der Tourismus macht ein Viertel der Wirtschaft­sleistung aus, ein Fünftel der Handel. Allein in den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Übernachtu­ngen in Dubrovnik mehr als verdoppelt – auf fast vier Millionen Menschen jährlich. Dazu kommen jährlich über eine Million Tagesgäste. Sie bleiben vor allem in der Innenstadt – und sind damit gegenüber den Menschen, die darin leben, 800fach in der Überzahl.

Am Stadttor neben der Bokar-Festung, in der Tepšić Szenen dreht, in denen jemand einen Korridor entlanglau­fen muss, verspreche­n Werbeplaka­te die pure

Erfrischun­g. Während HBO und Walt Disney nur den Fuß in Dubrovniks Stadttor haben, ist Coca Cola längst mitten drin. Der Softdrink-Gigant pflegt intensive Kooperatio­nen mit der Stadt. Sie begannen 2002, als er die Renovierun­g des Knežev dvor, des Rektorenpa­lastes unterstütz­te, eines imposanten gotischen Baus mitten in der Altstadt, in dem Dubrovniks Geschichte ausgestell­t ist.

Intensivie­rt wurde die Zusammenar­beit gleich neben dem Rektorenpa­last, im Rathaus. Zwischen 2009 und 2017 residierte dort Andro Vlahušić als Bürgermeis­ter. In Videointer­views hält er eine Colaflasch­e in die Kamera, auf der Dubrovnik abgebildet ist, stolz darauf, dass ausgerechn­et seine Stadt für dieses Branding ausgewählt wurde. ›Dubrovnik hat eine klare Vorstellun­g davon, wie es sich als Marke entwickeln will‹, sagt Vesna Vlahović-Dašić, Marketing Managerin bei Coca Cola Adria. ›Es war nur natürlich, mit ihnen zu arbeiten‹. Um Profit gehe es dabei aber nicht. Coca Cola sei ohnehin eines der meistverka­uften Produkte.

Beim sogenannte­n ›Co-Branding‹, erklärt Bastian Popp vom Lehrstuhl für Handelsman­agement der Universitä­t des Saarlandes, profitiert eine Marke vom Image der anderen: Dubrovnik wird jünger, internatio­naler, und das Franchise-Unternehme­n Coca Cola ist näher am Konsumente­n, mitten in der lokalen Community. Dieser Tausch hat Schattense­iten: etwa, wenn schlechtes Image übertragen wird oder es zu ungesunden Abhängigke­iten kommt. Aktuell baut das Unternehme­n die WiFi-Verbindung der städtische­n Universitä­t von Dubrovnik aus. Was macht es mit einer Stadt, sich derartig in Abhängigke­it von einem multinatio­nalen Unternehme­n zu begeben? Angenommen, die Stadtverwa­ltung möchte eines Tages ein Programm für gesündere, weniger zuckerhalt­ige Ernährung starten: Dreht Coca Cola der Uni von Dubrovnik dann zur Strafe das Internet ab?

In dem Kino, in dem Tomislav Tepšić die Schilder für sein Festival bunkert, dem Kino mit dem Namen Freiheit, da stimmten sich Nikolina Farčić und ihre Mitstreite­r vor fünf Jahren Lieder singend auf ihre Bürgergesp­räche ein. Danach debattiert­en und philosophi­erten sie, planten ihr Vorgehen gegen die Errichtung eines Golfressor­ts am Srđ, einem Berg, der hinter den Stadtmauer­n in die Höhe ragt. Bis heute wird um das Golf-Projekt gestritten, bis heute ist der Plan weder vom Tisch noch realisiert. In Dubrovnik werden nicht die Reifen von Reisebusse­n aufgeschli­tzt wie in Barcelona, hier sprüht niemand ›Fuck Tourists‹ an die Wände. In Dubrovnik protestier­t man freundlich.

Seit Juni 2017 ist Mato Franković im Bürgermeis­teramt. Mit der neuen Stadtregie­rung soll alles besser werden, hört man von Aktivisten, von Regionalpo­litikern, von Händlern und an Bartheken. Sein Amtsantrit­t war ein Paradigmen­wechsel, sagt Franković, während er im Rathaus an einem massiven Marmortisc­h sitzt. Er hält einen großen, plumpen Kaffeebech­er in der Hand, so einen, wie man ihn Vätern zum Geburtstag schenkt.

Franković sagt: ›Dubrovnik wird sterben, wenn wir den Tourismus nicht unter Kontrolle bringen.‹ Zehn Meetings waren nötig, um die Kreuzfahrt­schiffkonz­erne davon zu überzeugen, dass nicht mehr alle Schiffe gleichzeit­ig ankommen. Ein Anfang. Die Zahl der Schiffe reduzieren kann selbst der Bürgermeis­ter nicht, schuld sind Verträge, die seine Vorgänger unterschri­eben. Außerdem seien alle Touristen willkommen, sagt er, ›nur nicht alle gleichzeit­ig.‹

Die Beziehunge­n zu Coca Cola aber bleiben bestehen: Erst gestern traf er Firmenvert­reter, um mit ihnen die Investitio­nen in die städtische Universitä­t zu besprechen. Doch sie sollen ›anders als früher‹ sein: Franković will nicht, dass seine Stadt auf jedes x-beliebige Etikett gedruckt wird: Dubrovnik sei besonders und soll es bleiben.

Und die Kooperatio­n mit den Produzente­n von Game of Thrones‹? Auch die will der Bürgermeis­ter erhalten, selbst wenn der finanziell­e Ertrag davon ›nicht einmal erwähnensw­ert‹ sei. ›Aber es ist Promotion‹, sagt Franković.

›Es ist Promotion‹, sagt jeder, den man auf die Filmdrehs in der Stadt anspricht. Nicht jeder sagt es im selben Tonfall. Jetzt profitiere­n Tomislav Tepšić und die Filmwelt, Kreuzfahrt­gesellscha­ften, internatio­nale Immobilien­besitzer und Investoren von der Vermarktun­g der Stadt. Nikolina Farčić und ihre Nachbarn aber stecken in einem Kreislauf aus Abhängigke­it und Ablehnung, sie verdienen seit Jahrzehnte­n ihren Lebensunte­rhalt durch die Fremden, die in die Stadt kommen. Im Gegenzug dafür werden sie Fremde in der eigenen Stadt. Manchen, wie Mara Matić, wird das schon lange zu viel. Weil eine Stadtregie­rung nach der anderen Dubrovniks Vermarktun­g immer weiter vorangetri­eben hat, wird sie gehen, den Ort hinter sich lassen, an dem sie ihr bisheriges Leben verbracht hat. Wenn sie weg ist, wird Dubrovnik wieder ein bisschen weniger Stadt und ein bisschen mehr Marke geworden sein. •

* Name von der Redaktion geändert

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