Dubrovnik und der Eiserne Thron
Die kroatische Küstenstadt ist zur gefragten Filmkulisse avanciert. Wie ist da noch ein Alltag möglich?
Die kroatische Küstenstadt ist zur gefragten Filmkulisse avanciert. Wie ist da noch ein Alltag möglich?
In ein, zwei Stunden gehört Dubrovnik wieder Menschen aus der ganzen Welt. Aber jetzt, während der ersten Sonnenstrahlen, gehört es denen, die noch darin leben. In ein, zwei Stunden werden ein paar tausend Leute ins Innere der Stadtmauern strömen. Ein Kreuzfahrtschiff kam heute schon in den Hafen, ein zweites ist unterwegs.
Auf der Stradun, der breitesten Straße, die durch die Altstadt von Dubrovnik führt, vertausendfacht sich die Sonne auf den nassen Pflastersteinen. Sie haben denselben warmen Beige-Ton wie jedes einzelne der Gebäude hier. Um zwei Uhr früh begannen Stadtbedienstete damit, die Straßen zu waschen. Jetzt parken weiße Transporter voll Gaskartuschen und Bierfässern vor Lokalen. Briefträger liefern Pakete aus, Frauen in High Heels und Männer mit Aktenkoffern betreten imposante Paläste.
Jahrzehntelang kümmerte sich die Verwaltung um Zahlen statt um Bürger und lockte Touristen, Investoren und Sponsoren in die ›Perle der Adria‹. Dank enger Kooperation mit internationalen Firmen und Zuckerln für die Filmindustrie wurde die Kommerzialisierung der Stadt vorangetrieben. So weit, dass sie aufhörte, eine Stadt zu sein. Und stattdessen begann, eine Marke zu werden.
Unweit der Stradun steht Tomislav Tepšić am Fuß einer breiten Treppe. Die Pflastersteine sind mittlerweile getrocknet. Dutzende Touristen fotografieren sich selbst und gegenseitig. Menschen mit roten Gesichtern scharen sich um einen Touristenführer. Er hält eine Mappe in die Höhe, darin das Bild einer Szene aus der HBO-Serie Game of Thrones‹, Fans kennen sie als den ›Gang der Schande‹. Cersei Lannister muss in dieser nackt, begleitet von Glockengeläut und Beschimpfungen, die steinernen Stufen hinuntergehen.
›Die Szene hab’ ich organisiert‹, sagt Tomislav Tepšić. ›Es war unfassbar teuer.‹ Tepšić arbeitet als Location Manager in der Filmindustrie. Wollen Firmen wie HBO oder Walt Disney in Kroatien drehen, sucht er die passenden Orte und organisiert den Dreh. ›Hier mussten wir eine Barrikade aufstellen‹, sagt er und zeigt auf den Zugang zu einer schmalen Gasse. ›Und hier und da drüben.‹ Läden und Anrainer wurden bezahlt – die einen dafür, dass ihnen Gewinn entging, die anderen dafür, dass sie ihre Fenster abkleben mussten. Auch das regelt Tepšić.
Wenn der 28-Jährige mit Sonnenbrille, Tommy-Hilfiger-Slipper und E-Zigarette durch Dubrovnik geht, dann sieht er keine jahrhundertealten Paläste oder überteuerten Restaurants. Er sieht, dass diese eine Straße im Südosten der Altstadt anders gepflastert ist: Nicht mit großen Platten, sondern mit kleinen, runden Steinen vom Strand. ›Regisseure lieben sie‹, sagt er.
Der ›Gang der Schande‹, das sind eigentlich jesuitische Stiegen aus dem 17. Jahrhundert, und sie enden am Grünen Markt. Wenn Nikolina Farčić sie sieht, dann denkt sie nicht an eine Serie. Dann denkt sie an die lokalen Händler, die am Markt Gemüse, Kräuter und Honig anbieten. Wenn die Ende 30-jährige Farčić mit ihren kupferroten Haaren auf schwarzen Plateau-Sandalen durch Dubrovnik geht, sich geschickt zwischen Touristenmassen durchschlängelt und bekannte Gesichter grüßt, dann geht sie durch ihre Nachbarschaft. Die Wege, auf denen Game of Thrones‹-Fans einen Drehort nach dem anderen abklappern, sind ihr Weg zur Arbeit, zum Arzt, zu Freunden. Farčić zeigt auf eine Reihe Schilder, die an der Hausmauer neben ihr hängen. ›Das ist das Einzige, was in
der Stadt an den Krieg erinnert‹, sagt sie. Auf den Schildern sind Fotos vom Haus zu sehen, wie es vor 27 Jahren ausgesehen hat. Es ist zerbombt. Manche Fenster sind eingekreist, ›Mamas Zimmer‹, ›Mein Zimmer‹ steht darüber.
Nur wenige Monate dauerte die Schlacht um Dubrovnik, doch mehrere tausend Granaten flogen auf die Stadt. Erst 27 Jahre ist es her, dass es kein Wasser, kein Essen, mit Glück eine Stunde Strom am Tag gab. Viele hier erinnern sich an den Jugoslawien-Krieg. Sie sprechen nicht gern darüber. Er raffte die Bevölkerung dahin: In den 1960er-Jahren lebten 6.000 Menschen innerhalb der Stadtmauern, nach der Belagerung nur noch gut halb so viele. Die Touristen verjagten den Rest. Heute sind es 1.500.
Dubrovnik verändert sich also, je nachdem, durch wessen Augen man es betrachtet. Doch es ist immer außergewöhnlich, selbst im Vergleich zu anderen Teilen Kroatiens. Zum Beispiel ist es eine der wenigen kroatischen Städte, in denen die Arbeitslosigkeit zurückgeht. Allein im Vergleich zum Vorjahr sank sie um elf Prozent. Von den 120.000 Einwohnern der ganzen Gespanschaft Dubrovnik sind nur 3.700 arbeitslos. Und Dubrovniks Bürger sind wohlhabender als andere Kroaten: Das durchschnittliche Nettogehalt ist nur in Zagreb höher.
Ganz im Osten der Altstadt steht ein Kino, es trägt den Namen Sloboda: Freiheit. In einem Raum über dem Kinosaal lehnen mannshohe Schilder an der Wand. Sie zeigen Behind-the-Scenes-Material der Filmdrehs, die Tepšić organisiert hat: Sturmtruppler und Bauarbeiter, Kameramänner und Helden in Strumpfhosen.
Die Schönheit der Stadt lockte schon vor hundert Jahren Filmproduzenten her, erzählt Tepšić, bis der Krieg sie vertrieb. Dubrovnik war nicht mehr sicher, seine Schönheit zerbombt. Als sie um die Jahrtausendwende zurückkamen, war jede Mahlzeit, die die Crew aß, ein Beitrag zum Wiederaufbau.
Doch nach Jahren des Verzichts hatte man kein Konzept, wie man mit den Produktionsfirmen umgehen sollte. Es gab keine fixen Preise, die Firmen wurden gebeten, an Spitäler, Kindergärten und Altenheime zu spenden. Erst jetzt ist die Stadtregierung dabei festzulegen, was ein Quadratmeter Dubrovnik in der Filmwelt wert ist. Recht spät, wenn man auf die Jahre zurückblickt, in denen Firmen wie HBO schon Profit aus der Stadt als Kulisse schlagen.
›Jeder profitiert von den Drehs‹, sagt hingegen Tepšić – die Jungen in der Stadt würden als Sherpas angeheuert werden, die Alten hätten über die Jahre gelernt, wie sie verhandeln müssen, wenn vor ihren Türen gedreht wird. Er selbst habe vor sieben Jahren als Assistent begonnen, heute sei er mit 28 der jüngste Location Manager in ganz Kroatien. Die Leute könnten stolz sein, dass Dubrovnik so schön ist, dass jeder hier drehen will, sagt Tepšić.
›Warum soll ich stolz sein?‹ fragt Mara Matić*, ›es ist einfach billig, hier zu drehen.‹ Mara hat an diesem Abend noch nicht viel gesagt. Die junge Frau, Anfang 20, Pferdeschwanz und Jogginghose, sitzt auf dem Sofa und sieht ihren Vater Jadran* an. Er ist es, der die meiste Zeit spricht. Im Fernsehen laufen Nachrichten, nur zwei Stunden von hier hat der Westwind einen Waldbrand verursacht. Die Matićs sind eine der wenigen Familien, die noch innerhalb der Mauer leben, das Haus ist ein Erbstück. Vater Jadran, der immer wieder aufspringt, der einmal zur Haustür läuft und ruft: ›Die Touristen kümmert es nicht, dass wir hier leben! Es kümmert sie nicht, dass wir hier unsere Wäsche trocknen und von Fenster zu Fenster mit unseren Nachbarn reden‹, er blickt seine Tochter nun still an. Die zieht an ihrer Zigarette und sagt: ›Ich werde nicht hierbleiben‹. Will Mara Lebensmittel
Um Lebensmittel einzukaufen, muss Mara eineinhalb Stunden zum nächsten Lidl fahren.
einkaufen, muss sie mit dem Auto eineinhalb Stunden zum nächsten Lidl fahren. In dem Freizeitpark, zu dem Dubrovnik wurde, gibt es keinen Supermarkt mehr, in dem man Klopapier oder Mehl bekommen könnte.
Dabei könnte man die Geschichte des Tourismus in Dubrovnik als eine Erfolgsgeschichte lesen: Die Touristen waren es, die nach dem Krieg wieder Geld brachten. Die Kreuzfahrtschiffe wurden, genau wie die Filmfirmen, mit offenen Armen willkommen geheißen, Kapitäne höchstpersönlich vom Bürgermeister empfangen. Dank der Touristenströme steckten ausländische Investoren ihr Geld in Hotels. Und dank der lächerlich niedrigen Preise, die die Privatisierung nach dem Fall Jugoslawiens mit sich brachte. Die Touristen sind es auch, die bis heute Arbeit in die Stadt bringen. Der Tourismus macht ein Viertel der Wirtschaftsleistung aus, ein Fünftel der Handel. Allein in den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Übernachtungen in Dubrovnik mehr als verdoppelt – auf fast vier Millionen Menschen jährlich. Dazu kommen jährlich über eine Million Tagesgäste. Sie bleiben vor allem in der Innenstadt – und sind damit gegenüber den Menschen, die darin leben, 800fach in der Überzahl.
Am Stadttor neben der Bokar-Festung, in der Tepšić Szenen dreht, in denen jemand einen Korridor entlanglaufen muss, versprechen Werbeplakate die pure
Erfrischung. Während HBO und Walt Disney nur den Fuß in Dubrovniks Stadttor haben, ist Coca Cola längst mitten drin. Der Softdrink-Gigant pflegt intensive Kooperationen mit der Stadt. Sie begannen 2002, als er die Renovierung des Knežev dvor, des Rektorenpalastes unterstützte, eines imposanten gotischen Baus mitten in der Altstadt, in dem Dubrovniks Geschichte ausgestellt ist.
Intensiviert wurde die Zusammenarbeit gleich neben dem Rektorenpalast, im Rathaus. Zwischen 2009 und 2017 residierte dort Andro Vlahušić als Bürgermeister. In Videointerviews hält er eine Colaflasche in die Kamera, auf der Dubrovnik abgebildet ist, stolz darauf, dass ausgerechnet seine Stadt für dieses Branding ausgewählt wurde. ›Dubrovnik hat eine klare Vorstellung davon, wie es sich als Marke entwickeln will‹, sagt Vesna Vlahović-Dašić, Marketing Managerin bei Coca Cola Adria. ›Es war nur natürlich, mit ihnen zu arbeiten‹. Um Profit gehe es dabei aber nicht. Coca Cola sei ohnehin eines der meistverkauften Produkte.
Beim sogenannten ›Co-Branding‹, erklärt Bastian Popp vom Lehrstuhl für Handelsmanagement der Universität des Saarlandes, profitiert eine Marke vom Image der anderen: Dubrovnik wird jünger, internationaler, und das Franchise-Unternehmen Coca Cola ist näher am Konsumenten, mitten in der lokalen Community. Dieser Tausch hat Schattenseiten: etwa, wenn schlechtes Image übertragen wird oder es zu ungesunden Abhängigkeiten kommt. Aktuell baut das Unternehmen die WiFi-Verbindung der städtischen Universität von Dubrovnik aus. Was macht es mit einer Stadt, sich derartig in Abhängigkeit von einem multinationalen Unternehmen zu begeben? Angenommen, die Stadtverwaltung möchte eines Tages ein Programm für gesündere, weniger zuckerhaltige Ernährung starten: Dreht Coca Cola der Uni von Dubrovnik dann zur Strafe das Internet ab?
In dem Kino, in dem Tomislav Tepšić die Schilder für sein Festival bunkert, dem Kino mit dem Namen Freiheit, da stimmten sich Nikolina Farčić und ihre Mitstreiter vor fünf Jahren Lieder singend auf ihre Bürgergespräche ein. Danach debattierten und philosophierten sie, planten ihr Vorgehen gegen die Errichtung eines Golfressorts am Srđ, einem Berg, der hinter den Stadtmauern in die Höhe ragt. Bis heute wird um das Golf-Projekt gestritten, bis heute ist der Plan weder vom Tisch noch realisiert. In Dubrovnik werden nicht die Reifen von Reisebussen aufgeschlitzt wie in Barcelona, hier sprüht niemand ›Fuck Tourists‹ an die Wände. In Dubrovnik protestiert man freundlich.
Seit Juni 2017 ist Mato Franković im Bürgermeisteramt. Mit der neuen Stadtregierung soll alles besser werden, hört man von Aktivisten, von Regionalpolitikern, von Händlern und an Bartheken. Sein Amtsantritt war ein Paradigmenwechsel, sagt Franković, während er im Rathaus an einem massiven Marmortisch sitzt. Er hält einen großen, plumpen Kaffeebecher in der Hand, so einen, wie man ihn Vätern zum Geburtstag schenkt.
Franković sagt: ›Dubrovnik wird sterben, wenn wir den Tourismus nicht unter Kontrolle bringen.‹ Zehn Meetings waren nötig, um die Kreuzfahrtschiffkonzerne davon zu überzeugen, dass nicht mehr alle Schiffe gleichzeitig ankommen. Ein Anfang. Die Zahl der Schiffe reduzieren kann selbst der Bürgermeister nicht, schuld sind Verträge, die seine Vorgänger unterschrieben. Außerdem seien alle Touristen willkommen, sagt er, ›nur nicht alle gleichzeitig.‹
Die Beziehungen zu Coca Cola aber bleiben bestehen: Erst gestern traf er Firmenvertreter, um mit ihnen die Investitionen in die städtische Universität zu besprechen. Doch sie sollen ›anders als früher‹ sein: Franković will nicht, dass seine Stadt auf jedes x-beliebige Etikett gedruckt wird: Dubrovnik sei besonders und soll es bleiben.
Und die Kooperation mit den Produzenten von Game of Thrones‹? Auch die will der Bürgermeister erhalten, selbst wenn der finanzielle Ertrag davon ›nicht einmal erwähnenswert‹ sei. ›Aber es ist Promotion‹, sagt Franković.
›Es ist Promotion‹, sagt jeder, den man auf die Filmdrehs in der Stadt anspricht. Nicht jeder sagt es im selben Tonfall. Jetzt profitieren Tomislav Tepšić und die Filmwelt, Kreuzfahrtgesellschaften, internationale Immobilienbesitzer und Investoren von der Vermarktung der Stadt. Nikolina Farčić und ihre Nachbarn aber stecken in einem Kreislauf aus Abhängigkeit und Ablehnung, sie verdienen seit Jahrzehnten ihren Lebensunterhalt durch die Fremden, die in die Stadt kommen. Im Gegenzug dafür werden sie Fremde in der eigenen Stadt. Manchen, wie Mara Matić, wird das schon lange zu viel. Weil eine Stadtregierung nach der anderen Dubrovniks Vermarktung immer weiter vorangetrieben hat, wird sie gehen, den Ort hinter sich lassen, an dem sie ihr bisheriges Leben verbracht hat. Wenn sie weg ist, wird Dubrovnik wieder ein bisschen weniger Stadt und ein bisschen mehr Marke geworden sein. •
* Name von der Redaktion geändert