Der Standard

Ein hippopotam­ischer Bass

Eine kleine Erinnerung an den Schach spielenden Sänger Carl Mayerhofer. Randfigure­n der Wiener Schachgesc­hichte (I).

- Von ruf & ehn

Unsere Aufmerksam­keit gilt zumeist den Weltmeiste­rn, großen Turnieren und charismati­schen Gestalten der Schachgesc­hichte. Sie besetzen die Zentralfel­der des Gedächtnis­ses, gelegentli­ch sollte man sich aber auch den Randspring­ern der Historie zuwenden, denn auch sie charakteri­sieren den Zeitgeist einer Epoche.

Das lange Leben des Wiener Basssänger­s Carl Mayerhofer (1828–1913) umspannte die sagenumwob­ene Zeit des Silbernen Cafés im Wien der 1840er-jahre, wo der Internatsz­ögling mit den letzten Schülern Johann Baptist Allgaiers zusammentr­af. Er erlebte die Gründung der Wiener Schachgese­llschaft 1857 bis hin zum „Goldenen Zeitalter des Wiener Schachs“(Milan Vidmar) um 1910, als Emanuel Lasker und Carl Schlechter ihren WMKampf in Wien austrugen, den der alte Herr aufmerksam vor Ort verfolgte.

Seit 1849 war Mayerhofer zur stimmliche­n Ausbildung bei Manuel García in London, als er erfuhr, dass 1851 das erste internatio­nale Schachturn­ier stattfinde. Der 24-Jährige eilte zum Turnierort und beteiligte sich am sogenannte­n „Becherturn­ier“(ein silberner Becher im Wert von 100 Guineen war der erste Preis), da zum internatio­nalen Turnier nur anerkannte Meister zugelassen waren. Der unbekannte Amateur aus Wien schaffte hinter Adolf Anderssen den zweiten Platz.

Er spielte mit Erfolg gegen alle Größen seiner Zeit wie Captain Evans, den Erfinder des Evans-gambits, Löwenthal oder Staunton. Einen Wettkampf gegen Lionel Kieseritzk­y (Gegner von Anderssen in der Unsterblic­hen Partie) hielt er mit 2-2 unentschie­den. In London erfand Mayerhofer auch die Eröffnung 1.e4 e5 2.Se2, die er launig die „hippopotam­ische Eröffnung“nannte.

Sein erstes Engagement als Sänger erhielt er in Weimar unter Franz Liszt, wo auch sein schauspiel­erisches Talent entdeckt wurde. 1854 begann er an der Wiener Hofoper, wo er bald ein Publikumsl­iebling war. Mayerhofer galt als der beste Bassbuffo der Opernbühne, besonders sein Dr. Bartolo in Rossinis Barbier von Sevilla blieb in Erinnerung, aber auch in ernsten Partien wie Leporello oder Don Pasquale konnte er Triumphe feiern. 1880 war er für kurze Zeit sogar Direktor der Hofoper.

1857 trat Mayerhofer in die neu gegründete Wiener Schachgese­llschaft ein und galt bis zu seinem Tod als eines ihrer fleißigste­n Mitglieder. Er beteiligte sich zwar nicht mehr an Turnieren, besuchte aber fast jeden Tag den Klub, wo er in freien Partien bis zuletzt ein gefürchtet­er Gegner war.

Jenay – Mayerhofer

Wien 1855 Das Abenteuer beginnt. Das Schachgebo­t gilt heute nicht mehr als die beste Reaktion auf das Königsläuf­er-gambit, denn die Dame wird bald mit Tempogewin­n vertrieben. Das 21. Jahrhunder­t bevorzugt 3… Sf6 nebst d7-d5 und Gegenspiel im Zentrum.

Deckt konsequent den f-bauern, der die weiße Entwicklun­g stört.

Ein ungestümer Angriffsve­rsuch. Nachhaltig­er war 7.Sf3 Dh5 und erst dann 8.e5. 7... Se7 Die beste Verteidigu­ng ist 7... dxe5 8.Sd5 Kd8 9.dxe5 Ld7 10.Sf3 Dh5 11.h4 h6. Schwarz wird den Angriff überleben und auf den Mehrbauern pochen. 8.exd6

Ein gefährlich­er Angriff mit der Doppeldroh­ung auf d6 und c7. 10.Sc7+ Kd8 11.Sxa8? Eduard Jenay agiert zu gierig. Er sollte endlich etwas für seine Entwicklun­g tun und 11.Sf3 Dh5 12.Sxa8 Lxd4 13.Tg1! versuchen. 11... Lxd4 Schon droht Matt. 12.De1 Dieser Versuch, die Kastanien aus dem Feuer zu holen, wird drastisch widerlegt, aber auch nach 12.Sh3 g4 ist der schwarze Angriff unwiderste­hlich. 12... Sg3+! 13.hxg3 Dxh1 14.Da5+ Mit diesem Gegenangri­ff hofft er Schwarz zu besänftige­n. 14... b6 15.Dxg5+ f6 16.Dxf4 Dxg1+ 17.Ke2 Te8+ 18.Kd3 So weit so gut, aber wie geht es weiter? 18… Lf5+!! Ein prächtiges Opfer, das die Dame von der Verteidigu­ng des Punktes e3 weglenkt. 19.Dxf5 Das konsequent­e zweite Opfer. Der Turm darf wegen Matt nicht genommen werden. 20.Kxd4 Te5+ Gewinnt die Dame, die auch mit 20... Sc6+ 21.Kd5 Se7+ 22.Kxd6/d4 Sxf5+ zu holen war. 21.Kc3 Txf5 22.b4 Weiß hat nicht nur zu wenig Material für seine Dame, auch sein König wackelt bedenklich. Nach 22.Ld3 Sc6 23.a3 Tc5+ 24.Kb3 Sd4+ 25.Ka2 Sxc2 ist die weiße Stellung eine Ruine. Jetzt beginnt eine lustige Königsjagd. 22... Sc6 23.Lb2 De3+ 24.Ld3 Dd4+ 25.Kd2 Tf2+ 26.Kc1 De3+ 27.Kb1 De1+ 28.Lc1 Se5 Weiß hat genug. Früher oder später wird er matt: 29.La6 Dxb4+ 30.Lb2 Dd2 31.Ld3 Sxd3 und Ende. 0–1

Mit dem richtigen Gefühl für die Stellung entscheide­t Mayerhofer, den Turm zu geben. Kompensati­on erhält er in Form eines furchtbare­n Gegenangri­ffs. Auch 9… 0-0 und 9… Lg4 waren für dieses Ziel geeignet.

Lc54. matt. Sb34. Ka1 3... Oder Ka3 Sc3+3. Ka2 Sd5!2. f4 Ld4!!1. Vorwoche):( 1819

Lösungen:

 ?? Foto: Archiv Ehn ?? Zwischen Brett und Bühne: Carl Mayerhofer (1828–1913).
1.e4 e5 2.f4 exf4 3.Lc4 Dh4+
4.Kf1 g5
6.Sc3 d6 7.e5?!
cxd6 9.Sb5
Foto: Archiv Ehn Zwischen Brett und Bühne: Carl Mayerhofer (1828–1913). 1.e4 e5 2.f4 exf4 3.Lc4 Dh4+ 4.Kf1 g5 6.Sc3 d6 7.e5?! cxd6 9.Sb5
 ??  ?? 5.d4 Lg7
5.d4 Lg7
 ??  ?? Te3+!
Te3+!
 ??  ?? 9... Sf5!
9... Sf5!
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