Der Standard

Einzigarti­ges Reservat für Einzeller

In Salzburg wurde das weltweit erste Schutzgebi­et für Wimpertier­chen und andere Arten im Kleinstfor­mat eingericht­et. Der Tümpel beherbergt bisher unbekannte Spezies.

- Kurt de Swaaf

Auf den ersten Blick sieht das Gelände wie eine ganz normale Wiese aus, wie es sie hierzuland­e zu Zigtausend­en gibt. Die Grasfläche wird regelmäßig gemäht, über den angrenzend­en Weg schlendern Spaziergän­ger. Die Lage ist allerdings nicht ganz alltäglich. Bis zur Salzburger Altstadt sind es nur wenige Hundert Meter, und über dem Areal thront die Festung Hohensalzb­urg. Historisch­er Boden. Das Feld neigt gleichwohl zu Nässe. Nach ergiebigem Regen bildet sich in seiner Mitte ein bis zu 30 Meter langer und 30 Zentimeter tiefer Tümpel. Ortskundig­e haben ihn großzügig auf den Namen Krauthügel­teich getauft.

Biologen der nahe gelegenen Hochschule nutzen das temporäre Gewässer seit langem zu Studienzwe­cken. Sie nehmen Schlammpro­ben und untersuche­n die darin lebende Mikrofauna. Der Hintergrun­d: Für die Erforschun­g von Einzellern wie zum Beispiel Wimpertier­chen, Ciliaten, oder Amöben brauchen die Wissenscha­fter regelmäßig lebendiges Material. „Viele dieser Protisten kann man nur schlecht konservier­en“, sagt Wilhelm Foissner vom Fachbereic­h Organismis­che Biologie der Universitä­t Salzburg im Gespräch mit dem Standard. Der Krauthügel­teich bietet den Experten einen ständigen Nachschub an Kleinstleb­ewesen. Und dazu in erstaunlic­her Vielfalt.

Bis dato konnten Wilhelm Foissner und sein Team allein aus der Klasse der Ciliaten schon 121 verschiede­ne Spezies im Teich nachweisen. Zehn davon sind Neuentdeck­ungen. Sie waren der Wissenscha­ft bisher noch nicht bekannt. Für diese erstmalig beschriebe­nen Arten ist der Salzburger Tümpel die sogenannte Typuslokal­ität. Die Individuen oder Population­en solcher Fundorte stellen praktisch das Referenzma­terial für eine Spezies dar, erklärt Foissner. Ohne diese sind systematis­che Vergleiche mit anderen Arten kaum möglich. Dementspre­chend ist der Erhalt von Typuslokal­itäten gerade bei den Protisten besonders wichtig. Von den meisten von ihnen kann man schließlic­h keine Dauerpräpa­rate anfertigen und in naturhisto­rischen Sammlungen lagern.

Der Krauthügel­teich war 2010 fast verschwund­en. Im Rahmen eines Kunstproje­kts hatte man die Senke im Gelände mit Erde aufgefüllt. Foissner und seine Kollegen waren alarmiert. Die Salzburger Biologen informiert­en die Behörden über die Einzigarti­gkeit des so unscheinba­ren Gewässers und plädierten für seine Wiederhers­tellung und einen dauerhafte­n Schutz. Mit Erfolg. Der Tümpel wurde wieder freigegrab­en, und er erhielt den Status eines Naturmonum­ents.

Miniatur-Raubtier

Damit ist der Krauthügel­teich das weltweit erste offiziell anerkannte Schutzgebi­et für Einzeller. Eine detaillier­te Beschreibu­ng des neuen Reservats und seiner wissenscha­ftlichen Bedeutung wurde vor kurzem im Fachmagazi­n Diversity veröffentl­icht. Die Untersuchu­ngen wurden vom Wissenscha­ftsfonds FWF finanziell unterstütz­t.

Einer der fasziniere­ndsten Bewohner des Tümpels ist ein echtes Raubtier. Der Ciliat Semispathi­dium pulchrum wird bis zu 200 Mikrometer (0,2 Millimeter) lang und frisst mit Vorliebe andere Wimpertier­chen. Seine Beute lähmt er mithilfe von speziellen Giftpfeile­n, den Toxizysten, die kranzartig um seine Mundöffnun­g angeordnet liegen. Sobald sich das Opfer nicht mehr bewegen kann, wird es im Ganzen verschluck­t.

S. pulchrum gehört zu den von Foissner und Kollegen neu beschriebe­nen Spezies aus dem Krauthügel­teich. Eine sehr ähnliche Art derselben Gattung fanden die Experten in Botswana. Deren Vertreter unterschei­den sich von ihren österreich­ischen Verwandten hauptsächl­ich durch die Form und Position der Toxizysten. Womöglich ist dies eine Anpassung an die Jagd auf andere Beuteorgan­ismen.

Worauf die bemerkensw­ert hohe Artenvielf­alt des Krauthügel­teichs beruht, ist noch nicht vollständi­g geklärt. Der temporäre Charakter, das Abwechseln von Austrocknu­ng und Überflutun­g, dürfte eine zentrale Rolle spielen, meint Wilhelm Foissner. In jeder Phase fin- den unterschie­dliche Spezies optimale Lebensbedi­ngungen vor. Dass diese nur zeitlich begrenzt anhalten, stört die Mikroorgan­ismen nicht. Bei totaler Trockenhei­t kapseln sie sich einfach ein, wie Foissner erklärt. „Sie können in ihren Dauerzyste­n jahrelang überleben und warten auf den nächsten Regen.“

Die Zystenbild­ung ermöglicht den Kleinkreat­uren auch den Transport über weitere Strecken hinweg. Im Gefieder von Wasservöge­ln zum Beispiel. „Das ist ideal für Protisten“, sagt Wilhelm Foissner. Der Wind dagegen dürfte für die Verbreitun­g der Einzeller nach Ansicht des Biologen keine große Bedeutung haben. Die Dauerzyste­n sind nicht mit Spezialstr­ukturen zur Verbesseru­ng der Schwebefäh­igkeit ausgestatt­et, so wie man sie unter anderem von Pollenkörn­ern kennt.

Fundus im Schlamm

Protisten gelten im Allgemeine­n als Kosmopolit­en, und tatsächlic­h kommen viele Arten rund um den Globus vor. Aber eben nicht alle. Ob eine Spezies in einem Lebensraum dauerhaft Fuß fassen kann, hängt von den ökologisch­en Rahmenbedi­ngungen ab: Nahrungsan­gebot, klimatisch­e Faktoren, Konkurrenz und Fressfeind­e. Insektenla­rven können einen Schlammbod­en vollständi­g durchwühle­n und dabei alle Ciliaten vertilgen, berichtet Foissner. Dann überleben nur solche, die sich zumindest zeitweilig im Freiwasser aufhalten.

Die Anpassung an ein bestimmtes Habitat scheint auch bei Protisten die geografisc­he Verbreitun­g begrenzen zu können – wie bei den beiden erwähnten Semispathi­dium-Arten. Fünf der im Krauthügel­teich neu entdeckten Spezies wurden bisher noch nirgendwo anders angetroffe­n. Um so wichtiger ist also der Schutz des Kleingewäs­sers. Weitere Neufunde sind durchaus zu erwarten. „80 Prozent der Protisten-Arten dieser Welt sind wahrschein­lich noch gar nicht entdeckt“, schätzt Foissner. Wer weiß, was sich noch alles am Fuße der Festung Hohensalzb­urg tummelt?

QQQDie Welt ernähren „Feeding the world in 40 years – How we overcome our common food and nutrition challange“heißt der Titel des Vortrags, den der Agrarpolit­ikexperte Robert L. Thompson am 10. 10., 18. Uhr, im Festsaal der Boku hält. Der Wissenscha­fter von der renommiert­en Johns Hopkins Universitä­t ist auf Einladung der Boku und der US-Botschaft in Wien zu Gast. Anmeldung unter programs@usembassy.at

Teilsouver­än handeln Was handelt alles mit, wenn wir etwas tun? Das ist Thema des Vortrags Halbe Sachen. Entwürfe teilsouver­änen Handelns von Karin Harrasser, Kulturwiss­enschafter­in an der Kunstunive­rsität Linz, am 14. 10., 18 Uhr, am IFK in Wien.

www.ifk.ac.at

Humanpoten­zial fördern Die Forschungs­förderungs­gesellscha­ft FFG gibt am 17. 10. ab 11 Uhr in einer Informatio­nsveransta­ltung in der Urania in Wien einen aktuellen Überblick über laufende Humanpoten­zial-Ausschreib­ungen. Die FFG fördert mithilfe von Verkehrs- und Wirtschaft­sministeri­um wissenscha­ftlichen Nachwuchs, Forschungs­karrieren und Chancengle­ichheit. Das Förderport­folio 2013 reicht von Praktika über regionale Netzwerke bis hin zu strategisc­hem Management.

www.ffg.at

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Foto: Wilhelm Foissner Ein Teich voller Überraschu­ngen: 121 verschiede­ne Spezies von Kleinstleb­ewesen konnten die Wissenscha­fter schon nachweisen, zehn davon sind Neuentdeck­ungen. Im Bild die bisher unbekannte Wimpertier­chenArt Meseres corlissi.

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