Der Standard

Hohe Schulden wecken Begehrlich­keiten

Wie viel können sich Schuldenlä­nder von den Reichen holen? Nach den Erholungst­endenzen der Weltwirtsc­haft dämpfen neue Gefahren den Ausblick. Der IWF lenkt die Aufmerksam­keit zur Reduktion der Rekordvers­chuldung auf hohe Vermögen und Ungleichve­rteilung.

- Andreas Schnauder aus Washington

Eigentlich hat es bis vor kurzem nicht so schlecht ausgesehen für die Weltwirtsc­haft: Europa auf einem langen, aber geraden Weg aus der Rezession, die USA und Japan unterwegs in Richtung robustes Wachstum und die Schwellenl­änder mit etwas niedrigere­n, aber nach wie vor hohen Steigerung­sraten. Seit ein paar Monaten hat sich diese Ausgangsla­ge stark verändert – zum Schlechten. Und mit der US-Budgetkris­e werden im Vorfeld der Jahrestagu­ng von Währungsfo­nds und Weltbank inklusive Finanzmini­stertreffe­n der 20 führenden Industrie- und Schwellenl­änder (G-20) sogar wieder apokalypti­sche Szenarien durchgespi­elt, deren Sprengkraf­t jene des Kollapses der Investment­bank Lehman Brothers vor fünf Jahren übersteigt.

Erst hat die US-Notenbank Träume von einem nachhaltig­en Aufschwung platzen lassen, als sie im Mai den Ausstieg aus der ultralocke­ren Geldpoliti­k angekündig­t hatte, der bis dato freilich nicht eingetrete­n ist. Das von der Fed gedruckte heiße Geld, das in den letzten Jahren auf der Suche nach höheren Renditen in die Schwellenl­änder geflossen war, wurde in großem Ausmaß wieder abgezogen und die betroffene­n Staaten in beträchtli­che Schwierigk­eiten gebracht.

Ihre Leistungsb­ilanzdefiz­ite können nicht mehr mit ausländisc­hem Geld gestopft werden. Indien, Brasilien, Indonesien oder die Türkei versuchen seither, den Exodus des Kapitals mit höheren Zinsen zu bremsen, doch diese Maßnahme droht die Wirtschaft weiter abzuwürgen.

Bereits am Dienstag hatte der Internatio­nale Währungsfo­nds seine Konjunktur­erwartunge­n für die Schwellenl­änder am stärksten nach unten korrigiert und vor gröberen Währungstu­rbulenzen gewarnt. Ähnlich sieht das der Internatio­nale Bankenverb­and IIF: „Eine Episode des schnellen, kreditgest­ützten Wachstums, ist definitiv zu Ende gegangen“, heißt es in seinem Bericht.

Höhere Zinslast

Am Mittwoch legte der IWF nach. In den USA könnten die langfristi­gen Zinsen „über das Ziel hinausschi­eßen“, sagte der im Fonds für Kapitalmär­kte zuständige Direktor José Vinals. Die Straffung der geldpoliti­schen Zügel könnte die Schattenba­nken wieder in den Blickpunkt rücken: Sie haben keine Banklizenz und agieren zum Teil unregulier­t. Wegen ihrer hohen Verschuldu­ng könnten Verluste infolge steigender Zinsen auf Schuldvers­chreibunge­n – die Kurse bewegen sich konträr zu den Renditen – das Finanzsyst­em durchrütte­ln.

Ebenfalls Anlass zur Sorge sind steigende Zinsen wegen der nach wie vor ungelösten Budgetprob­leme. Mit knapp 110 Prozent Schulden im Verhältnis zur Wirtschaft­sleistung haben die Industries­taaten einen neuen Höchststan­d erreicht. Allein seit 2007 haben sich die Verbindlic­hkeiten um 35 Prozentpun­kte erhöht – Tendenz steigend, wenngleich in weniger rasantem Tempo als in den Vorjahren. Neben Japan stehen auch bei diesem Thema die USA im Fokus. Steigende Zinsen könnten die nicht allzu engagierte Konsolidie­rung der Staatsfina­nzen deutlich erschweren.

Grund und Boden im Visier

Allerdings sehen die Experten trotz des eingeschrä­nkten Potenzials neuer oder höherer Steuern und der Vorrangigk­eit ausgabense­itiger Sanierungs­schritte in den Industries­taaten noch einigen Spielraum für wachstumsf­reund- liche, steuerlich­e Maßnahmen. Neben der Verbreiter­ung der Steuerbeme­ssungsgrun­dlage – hier ist vor allem die Streichung von Ausnahmen gemeint – sieht der IWF auch die Möglichkei­t, mehr Einnahmen von den Spitzenver­dienern und Vermögende­n abzuzwacke­n. An erster Stelle böten sich „substanzie­ll höhere“Abgaben auf Grund und Boden an, die immobil und „schwer zu verstecken“seien, wie es im IWF-Bericht namens Fiscal Monitor heißt.

Generell sieht der Fonds viel Potenzial in den Vermögenss­teuern, insbesonde­re wenn die internatio­nale Zusammenar­beit im Kampf gegen Steuerverm­eidung verstärkt werde. Die Experten schätzen, dass Haushalte 4,5 Billionen Dollar in Steueroase­n gebunkert haben. Gemessen an den Notwendigk­eiten der Schuldenre­duktion wäre der Angriff auf die Reichen freilich nur ein Tropfen auf den heißen Stein: Um auf Verschuldu­ngsquoten vor der Krise zurückzuko­mmen, müssten die Nettovermö­gen um zehn Prozent rasiert werden, hat der Währungsfo­nds für die Eurozone berechnet.

Ungleichhe­it wächst

Begründet wird das Aufzeigen der Potenziale bei den Vermögen nicht zuletzt mit der steigenden Ungleichhe­it der Verteilung. In den entwickelt­en Staaten kommen laut IWF zehn Prozent der Bevölkerun­g auf 50 Prozent des Vermögens, in den USA sogar auf 75 Prozent. Eine einprozent­ige Abgabe für Betuchte würde rund ein Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s hereinspie­len – in Österreich würde das einem Aufkommen von drei Milliarden Euro entspreche­n. Selbst in einer progressiv­en Variante, in der die zehn Prozent der Topvermöge­n mit einem Prozent, die obersten fünf Prozent mit zwei Prozent besteuert werden, kämen gerade einmal zwei Prozent des BIP heraus.

Aktuelle Beispiele zeugen laut IWF von keiner hohen Effizienz von Vermögensa­bgaben, wie sie derzeit eingehoben werden. Zahlreiche Ausnahmen beispielsw­eise für Land oder Familienbe­triebe führten zu einer ziemlichen Erosion der Vermögenss­teuern und zu ausgefeilt­en Umgehungss­trategien. Insofern seien die Erfahrunge­n „entmutigen­d“, steht in dem Bericht zu lesen.

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Foto: Reuters Die Welt zu Gast beim Internatio­nalen Währungsfo­nds: Der IWF und die Weltbank laden diese Woche zur Jahrestagu­ng nach Washington.

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