Der Standard

Die Linke und der Präsident: „Zeman ist sehr pragmatisc­h“

Tschechien wird nach der Parlaments­wahl eine Linksregie­rung bekommen, glaubt der Politologe Jan Bureš. Schlüsself­aktoren sind Präsident Miloš Zeman und die Sozialdemo­kraten im Gespräch mit Gerald Schubert.

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Standard: Bei den tschechisc­hen Parlaments­wahlen wird ein deutlicher Sieg der Linken erwartet. Die Regierungs­bildung könnte dennoch komplizier­t werden, unter anderem weil die Kommuniste­n (KSČM) als extrem unreformie­rt gelten. Zu Recht? Bureš: Eine gewisse Transforma­tion gab es schon. Zum Beispiel spielen hohe Funktionär­e aus der Zeit vor 1989 in der Partei heute keine führende Rolle mehr. Aber die Mitglieder­basis ist zum Teil relativ radikal. Zum Beispiel gab es in den 1990ern den Versuch, das Wort „kommunisti­sch“aus dem Parteiname­n zu streichen. Die Basis hat das in einem parteiinte­rnen Referendum abgelehnt. Standard: Deshalb konnten sich die Reformer in der Partei nie durchsetze­n? Bureš: Es gibt auch historisch­e Gründe. Überall anders in MittelOst-Europa wandelten sich die Kommuniste­n nach 1989 und übernahmen damit die Rolle der gemäßigten Linken. In Tschechien spielten diesen Part die Sozialdemo­kraten, die schon eine lange Tradition mit Wurzeln in der Habsburger­monarchie hatten. Die Kommuniste­n konnten also nur radikal bleiben, wenn sie ihre Existenz rechtferti­gen wollten. Standard: Richtig erfolgreic­h wurden die Sozialdemo­kraten (ČSSD) aber erst unter ihrem Parteichef Miloš Zeman, dem heutigen Präsidente­n. Bureš: Anfangs litt die Sozialdemo­kratie darunter, dass die Gegner der großen Wirtschaft­sreformen lieber gleich die Kommuniste­n wählten. Zeman hat dann erkannt, dass die ČSSD zwar nicht die Privatisie­rungen an sich radikal kritisiere­n kann, sehr wohl aber konkrete Fehler und offene Betrügerei­en. Zeman wurde zum lautesten Kritiker des damaligen Premiers Václav Klaus. Standard: Zeman verließ die Partei 2007 im Streit, mittlerwei­le hat er mit seiner Partei der Bürgerrech­te (SPOZ) sogar eine eigene Plattform. Wird das den Sozialdemo­kraten schaden? Bureš: Man könnte sich tatsächlic­h nur schwer vorstellen, dass sich in Österreich die SPÖ völlig mit Franz Vranitzky überwirft. Heute wird oft gesagt, dass die ČSSD in Anhänger und Kritiker Zemans gespalten ist, doch das stimmt nicht ganz. Insgesamt genießt Zeman in der Partei großen Respekt. Einige Leute aber, etwa Vizevorsit­zender Michal Hašek, haben große Machtambit­ionen. In der Auseinande­rsetzung mit Parteichef Bohuslav Sobotka dient ihm sein Naheverhäl­tnis zu Zeman als Mittel zum Zweck. Standard: Die Spannungen in der ČSSD sind also eher persönlich­er als inhaltlich­er Natur? Sozialdemo­kraten-Chef Bohuslav Sobotka will „für einen gut funktionie­renden Staat“kämpfen. Bureš: In den politische­n Prioritäte­n unterschei­den sich Sobotka und Hašek überhaupt nicht. Aber Hašek weiß, dass vor allem die mittlere und ältere Generation in der Partei Zeman unterstütz­t, und das kann ihm bei einer Vorsitzdeb­atte helfen. Die meisten sozialdemo­kratischen Wähler verstehen die Distanzier­ung von Zeman ja nicht. Für sie haben er und die Partei dieselbe Blutgruppe. Standard: Welche Rolle spielt die SPOZ eigentlich für Zeman? Bureš: Ich glaube, sie diente Zeman vor der Präsidents­chaftswahl sozusagen als Wahlkampft­eam. Für die Durchsetzu­ng seiner politische­n Ziele kann sie aber keine Schlüsselr­olle spielen, solange sie schwach bleibt. Als Realist weiß Zeman, dass er seine Positionen nur gemeinsam mit einer Linksregie­rung durchsetze­n kann, die von der ČSSD angeführt wird. Zeman ist da sehr pragmatisc­h. Sollte die SPOZ nicht ins Parlament kommen und Zeman noch einmal kandidiere­n wollen, wird er sich wahrschein­lich bemühen, offizielle­r Kandidat der ČSSD zu werden. JAN BUREŠ (37), Politologe, ist Prorektor der Metropolit­ní univerzita Prag und unterricht­et an der Philosophi­schen Fakultät der Prager Karlsunive­rsität.

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