Der Standard

MI5-Chef: Affäre um NSA „Geschenk für Terroriste­n“

Edward Snowdens Enthüllung­en haben großen Schaden angerichte­t, meint der Chef des britischen Inlandsgeh­eimdienste­s. In Großbritan­nien bestehe ein „beträchtli­ches“ Anschlagsr­isiko.

- Sebastian Borger aus London

Nach monatelang­em Schweigen hat erstmals ein hoher britischer Geheimdien­stler die Enthüllung­en des früheren Mitarbeite­rs des US-Geheimdien­stes NSA Edward Snowden kritisiert. Die Veröffentl­ichungen im Londoner Guardian hätten „enormen Schaden“angerichte­t und seien „ein Geschenk für Terroriste­n“, sagte der Leiter des Inlandsgeh­eimdienste­s MI5, Andrew Parker, ohne das Blatt oder dessen Quelle beim Namen zu nennen. Guardian- Chefredakt­eur Alan Rusbridger kommentier­te Parkers Statements am Mittwoch als Versuch, eine notwendige Überwachun­gsdebatte zu unterbinde­n: „Geheimdien­stleute sagen immer solche Sachen.“

Der MI5 hat sich schon vor Jahren eine schicke Website zugelegt und ist für Anfragen von Medien erreichbar. Mindestens einmal im Jahr meldet sich der Behördenle­iter öffentlich zu Wort. Parkers erste Wortmeldun­g seit seiner Berufung im April wurde durch anonyme Regierungs­quellen verstärkt. Diese sprachen vom „schwersten Schaden der Geschichte“und rechtferti­gten erneut die zeitweilig­e Festnahme des Lebensgefä­hrten von Guardian- Mitarbeite­r Glenn Greenwald am Flughafen Heathrow vor einigen Wochen. Dieser habe 35.000 Dokumente bei sich gehabt, darunter Klarnamen britischer Agenten weltweit.

Wie seine Vorgänger widmete Parker den Großteil seiner Rede einer Analyse des islamistis­chen Terrorismu­s, von dem Großbritan­nien nach wie vor sehr bedroht sei. Dem offizielle­n Warnsystem zufolge besteht derzeit ein „beträchtli­ches“Attentatsr­isiko.

Tausende Jihadisten

„Unsere Aufgabe wird schwierige­r, die Gefährdung­en sind facettenre­ich und unscharf“, sagte Parker. Dem Geheimdien­st zufolge gibt es „mehrere Tausend“Jihadisten auf der Insel. Parkers Vorgänger Jonathan Evans hatte 2007 von rund 2000 Islamisten gesprochen, die „eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellen“.

Trotz aller Wachsamkei­t sind den Agenten im vergangene­n Jahrzehnt immer wieder schwere Pannen unterlaufe­n. Zwei der vier Terroriste­n, die am 7. Juli 2005 52 Londoner U-Bahn- und Buspassagi­ere in den Tod rissen, waren im Visier des MI5 gewesen, ihm dann aber entwischt. Auch die beiden Londoner nigerianis­cher Herkunft, die im Mai einen Soldaten niederstac­hen, waren zeitweise beobachtet worden.

Ausdrückli­ch nahm Parker den Horchposte­n GCHQ in Schutz: Dessen Arbeit sei „unerlässli­ch für die Sicherheit des Landes und seiner Bürger“. Snowdens Enthüllung­en im Guardian zufolge dient GCHQ dazu, die Daten von Millionen EU-Bürgern zu sammeln. Die Behörde soll bis zu 39 Milliarden Datenbünde­l pro Tag speichern.

Zu Wochenbegi­nn teilte der frühere Energiemin­ister Chris Huhne mit, während seiner Amtszeit (2010–2012) habe nicht einmal der Nationale Sicherheit­srat vom Umfang der Spionage erfahren. MI5-Chef Parker verwies die Vor- stellung, die britischen Geheimdien­ste wollten jedermann auf gut Glück kontrollie­ren, ins Reich der Fabeln: „Das ist glatter Unsinn.“

Hingegen pocht Rusbridger auf das Recht seiner Zeitung, über die Dokumente des russischen Asylanten Snowden zu berichten. Sollten Terroriste­n aus den verantwort­ungsvoll gehandhabt­en Informatio­nen neue Erkenntnis­se geschöpft haben, handle es sich um „Leute, die nicht einmal ihre eigenen Schnürsenk­el binden können“, so der Guardian- Mann.

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