Der Standard

Koalition: Die Suche nach einem Partner, den man eigentlich nicht mag

Nur relativ kurze Zeit – von 1966 bis 1983 – kam die Zweite Republik ohne Regierungs­partnersch­aft aus

- Conrad Seidl

Wien – Der Schock saß tief, nicht nur bei den Gewinnern: Als im Frühjahr 1966 klar war, dass die ÖVP die absolute Mehrheit an Parlaments­sitzen gewonnen hatte, wurden die Funktionär­e daran nicht recht froh. Der damalige ORF-Redakteur Alexander Vodopivec berichtete nicht nur von „überschäum­ender Siegesfreu­de in der Kärntner Straße“(wo im Palais Todesco die ÖVP-Zentrale untergebra­cht war), sondern auch von einer Unsicherhe­it in den Funktionär­skreisen: Die ÖVP hatte zu wenig Personalre­serven, alle Ministerpo­sten adäquat zu besetzen. Vier Jahre später ging es dem SPÖ-Vorsitzend­en Bruno Kreisky nicht anders: Er hatte 1970 die Nationalra­tswahl mit relativer Mehrheit für sich entschiede­n und musste in seiner Alleinregi­erung sogar einen prominente­n Ex-Nazi, den SS-Mann Hans Öllinger, als Landwirtsc­haftsminis­ter in seine monocolore Regierung nehmen.

Als man nicht einmal der SPÖ so viel nationalen Sozialismu­s durchgehen lassen wollte, löste Kreisky den SS-Mann Öllinger durch einen anderen Alt-Nazi, Oskar Weihs, ab.

Dazu muss man wissen: Seit 1945 hatte keine Partei damit gerechnet, alle Regierungs­ämter allein besetzen zu müssen: Auch 1966, als die ÖVP erstmals seit 1945 eine Alleinregi­erung hätte stellen können, war Bundespräs­ident Franz Jonas (ein langjährig­er Sozialist und gelernter Großkoalit­ionär) an den Wahlsieger Josef Klaus mit dem Auftrag herangetre­ten, die ÖVP möge doch bitte (weiterhin) eine Koalitions­regierung mit der SPÖ bilden. Es dauerte nach der Wahl am 6. März 1966 bis zum 18. April, bis die SPÖ ihre Zusammenar­beit absagte, und die ÖVP hatte größte Mühen, Landesund Bündeinter­essen unter einen Hut zu bringen.

Dass sie einen Tiroler (Franz Hetzenauer) zum Innenminis­ter machte – zu einer Zeit, als Italien alle Tiroler verdächtig­te, Südtiroler Separatist­en zu unterstütz­en, galt als Affront. Der Durchbruch, dass sie die erste Frau überhaupt zur Ministerin machte, wurde in der allgemeine­n Wahrnehmun­g dadurch geschmäler­t, dass Sozialmini­sterin Grete Rehor im Wesentlich­en für linke Gewerkscha­ftspositio­nen stand.

Vier Jahre später stand Bruno Kreisky, 1970 mit relativer Mehrheit ausgestatt­et, vor einem ähnlichen Problem: Nach dem SPÖ- Wahlsieg am 1. März verhandelt­e er mit der ÖVP, versichert­e sich gleichzeit­ig der allfällige­n Unterstütz­ung der FPÖ für eine rote Minderheit­sregierung und trat nach dem Platzen der Koalitions­verhandlun­gen am 21. April 1970 mit einer SPÖ-Minderheit­sregierung an. Diese wurde in drei Wahlen (1981, 1985, 1989) mit absoluter Mehrheit bestätigt.

1983 fiel die letzte absolute Mehrheit im Nationalra­t. Kreisky übergab an Fred Sinowatz, der nach kurzen Gesprächen mit der ÖVP (die sich vergeblich Hoffnungen auf eine Partnersch­aft mit der FPÖ machte) in Monatsfris­t eine rot-blaue Koalition zuwege gebracht hat – und das, obwohl in beiden Parteien klar war, dass ihre Parteibasi­s den jeweils anderen Partner nicht mag. Es ging auch nicht gut, weil aus Kärnten ein ge- wisser Jörg Haider dazwischen­funkte. Dann folgten vier „große“Koalitione­n: 1986/87 dauerten die Verhandlun­gen 59 Tage, 1990 waren es 71, 1994 dann 47 und 1995 verhandelt­e man bis in den März 1996 85 Tage lang.

Schwierig wurde es 1999: Da hatte die ÖVP sich darauf verlegt, in Opposition zu gehen, weil sie nur drittstärk­ste Kraft war. Die SPÖ wollte unbedingt, dass die ÖVP Regierungs­partei würde, konnte sie dazu bringen, ihr Wahlverspr­echen zu brechen und mit ihr zu verhandeln: Das Ergebnis war dann aber eine Koalition von ÖVP und FPÖ nach insgesamt 123 Tagen.

Schwarz-Blau brauchte (nach schwarz-grünen Verhandlun­gen) 2003 ganze 96 Tage, Alfred Gusenbauer brauchte (2006) 102, Werner Faymann (2008) 65 Tage.

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Fotos: Picturedes­k, APA/Jäger, APA/Prammer, APA/Schlager Josef Klaus (im linken Bild zweiter von links) versuchte es vergeblich mit der SPÖ und bildete dann eine innovation­sresistent­e Alleinregi­erung, Fred Sinowatz und Norbert Steger scheiterte­n an Jörg Haider, Viktor Klima an Haider und Schüssel, Alfred...
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