Der Standard

„Die Natur wird deutlich zu uns sprechen“

Ohne Ozeane wäre die Temperatur auf der Erde im Vergleich zur vorindustr­iellen Zeit um 36 Grad höher, sagt Klimaforsc­her Hans Joachim Schellnhub­er. Wieso vor allem Österreich auf erneuerbar­e Energien setzen sollte, erklärt der Deutsche David Krutzler.

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Standard: Renommiert­e Forscher haben den jüngsten Bericht des UN-Weltklimar­ats als zu optimistis­ch kritisiert. Dabei wird in der Veröffentl­ichung des Intergover­nmental Panel on Climate Change (IPCC) festgehalt­en, dass der von Menschen beeinfluss­te Klimawande­l unverminde­rt weitergeht. Was ist Ihre Meinung? Schellnhub­er: Die Aussagen sind klar genug. Der Klimawande­l ist real, er ist menschgema­cht, und er hat drastische Folgen. Aber tendenziel­l ist der Klimaberic­ht so angelegt, dass er eher konservati­v ist. Es muss mit so vielen Ländern verhandelt werden. Und da können Sie sich sicher sein, dass jeder Ausreißer hin zum Dramatisch­en eliminiert wird. Das finde ich aber nicht so schlecht. Denn dann können Sie sich darauf verlassen, dass es mindestens so kommen wird. Beim Meeresspie­gel etwa wird bis 2100 als Obergrenze von einem Anstieg bis zu einem Meter gesprochen. Weil hier nach wie vor das Abschmelze­n von Grönland und der Antarktis nicht richtig eingepreis­t ist, besteht aber das Risiko, dass der Anstieg noch heftiger ausfällt. Standard: Mit welchem Beispiel würden Sie die Klimaverän­derung erklären? Schellnhub­er: 2012 ist eine Arbeit von Levitus et al. erschienen. Da hat man die Erwärmung des Ozeans von null bis 2000 Meter Tiefe von 1955 bis 2010 abgeschätz­t. Durch den erhöhten Treibhause­ffekt wurde eine Erwärmung von 0,09 Grad Celsius verzeichne­t – im Mittel über den ganzen Ozean verteilt. Jetzt muss man nur den Energiegeh­alt dieser 0,09 Grad Celsius umrechnen. Stellen wir uns vor, der Ozean würde mit einem Rülpser diese Wärme in die Atmosphäre entlassen. Das würde die obersten zehn Kilometer – also die Schicht, in der wir leben und in der das Wetter stattfinde­t – schlagarti­g um 36 Grad Celsius erhöhen. 36 Grad Celsius! Standard: Dieser Rülpser aber nicht passieren. Schellnhub­er: Das ist auch nur eine Umrechnung der Energiemen­gen. Aber es macht deutlich, dass diese Wärme schon unter unserer Bettdecke gespeicher­t ist. Wenn nur ein Bruchteil davon, etwa beim nächsten Wetterphän­omen El Niño, freigesetz­t wird, dann wird auch die Lufttemper­atur wieder deutlich nach oben gehen. Erst dann werden die Leute wieder sagen: „Aha, jetzt sind sie da, die neuen Temperatur­rekorde.“

wird Standard: In Österreich wurden in diesem Sommer erstmals über 40 Grad Celsius gemessen. Schellnhub­er: Auch in Japan wurde der Rekord mit 41 Grad Celsius gebrochen. Insgesamt ist der Ozean in der letzten Dekade aber in der Kaltphase eingestell­t. Das sind natürliche Schwankung­en. Aber da schlummert leider ein ungeheures Wärmepoten­zial. Standard: Die Erderwärmu­ng hat in den vergangene­n 15 Jahren eine Pause eingelegt. Was antworten Sie Klimaskept­ikern, die mit diesen Zahlen argumentie­ren? Schellnhub­er: 93 Prozent der Erderwärmu­ng gehen in den Ozean, nur zwei Prozent gehen in die Atmosphäre. Als Physiker werde ich nie nervös, wenn die globale Erwärmung ein bisschen flattert. Das ist, wie wenn Sie kontinuier­lich einen Raum heizen. Es kann eine Phase geben, wo sich der Boden, die Decke und die Wände aufwärmen. Die Hülle ist quasi das Meer und die Zimmerluft die Atmosphäre, die Sie spüren. Aber wenn die Wände die Wärme weitergebe­n, dann geht die Tempera- tur im Raum deutlich nach oben. Das ist keine Zauberei. Das sind Wärmeflüss­e in einem thermodyna­mischen System. Standard: Kann man den Anstieg der Temperatur und des Meeresspie­gels noch verhindern? Schellnhub­er: Der Ozean ist träge, bis der sich einmal durchmisch­t, dauert es 1000 Jahre. Man kann ausrechnen, wenn man die Erderwärmu­ng auf 1,5 Grad Celsius begrenzen könnte – wir hätten dann noch einen Spielraum von 0,6 Grad –, dann würde der Meeresspie­gel noch um 0,5 Meter ansteigen, sich dann aber stabilisie­ren. Wenn die Erwärmung zwei Grad erreicht, setzt sich der Anstieg viele Jahrhunder­te fort. Das wäre unumkehrba­r. Davon ist derzeit auszugehen, der CO - Ausstoß wird jährlich größer. Die Natur wird sehr deutlich zu uns sprechen. Für die Existenz der Malediven etwa ist es wohl schon zu spät. Diese Inseln sind eigentlich verloren. Standard: Wie kann man Schadensbe­grenzung betreiben? Schellnhub­er: Alle Länder müssten so etwas Ähnliches wie Dänemark und Deutschlan­d versuchen und auf erneuerbar­e Energien und Energieeff­izienz setzen. Vorangehen müssen die reichen Länder. In Österreich gibt es Wasserkraf­t, Biomasse, Windenergi­e, Sonnenener­gie, eine niedrige Arbeitslos­enquote, hervorrage­nde Unis. Österreich könnte locker die Energiewen­de hinlegen. Es müssten zehn Pionierlän­der zeigen, dass eine grüne Industrie entwickelt werden kann. Sie müssten den Kohlenstof­f verbannen. Das wird das Modell der nächsten industriel­len Revolution sein. Kommen wird die sowieso. Die Frage ist nur, ob es dann nicht schon zu spät ist. Standard: Glauben Sie nicht, dass sich Lobbys querlegen werden? Schellnhub­er: Die zwölf größten Konzerne der Welt sind im Öl- oder Transportg­eschäft tätig. Wenn ich CEO von Shell wäre, würde ich den Klimawande­l auch nicht wahrhaben wollen. Aber wenn Sie mit den Managern privat reden, geben alle zu: Ihr habt Recht! HANS JOACHIM SCHELLNHUB­ER (63) ist seit 1992 Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolge­nforschung in Deutschlan­d. Er war Gast des von Günter Geyer initiierte­n Zukunftsdi­alogs der Vienna Insurance Group in Wien.

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Foto: privat Schellnhub­er: „Malediven sind verloren.“

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